Tage Alter Musik – Almanach 2013

Es ist hier die Formation der Gebrüder Alqhai, die Accademia del Picaere, zu nennen. Sie spielten die Matinee am Pfingstsamstag im Reichssaal und brachten spanische Musik aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Von jedweder Aufregung keine Spur spannten sie den Hörer von Anfang an auf die Fol- ter: Immer mehr steigerten sie sich, ausgehend von höchstem künstlerischen Niveau, im Verlauf des Konzerts mit Werken von de Cabezón, Arcadelt, Or- tiz, Selma y Salaverde, Sanz und Bearbeitungen bzw. Originalstücken von Fahmi Alquai. Mit verblüf- fender Stilsicherheit, hoher Kunstfertigkeit, instru- mentaler Eloquenz und technischer Souveränität zeigte diese Formation, dass sie etwas zu sagen hat und hinterließen einen atemberaubenden Eindruck. Das Nachtkonzert in der Minoritenkirche barg Über- raschungen, denn Les haulz et les bas führte mit dem Programm ihrer gleichlautenden Aufnahme „Ad modum tubae“ in die Zeit der mittelalterlichen Alta Capella. Die sechs Instrumentalisten zeigten sowohl ihren Humor als auch ihr erstaunliches Kön- nen souverän, auf höchstem künstlerischem Level und voll sprühendem Spielwitz. Und Punkt Mitter- nacht stoppten sie, um ihr Geburtstagskind Michael Metzler mit einem spontan gesungenem und vom Publikum mitinterpretierten „happy birthday“ hoch- leben zu lassen. Selbst um drei Uhr morgens pack- ten sie im Festivallokal nochmals ihre Instrumente aus und spielten den Anwesenden Gästen noch auf. Ein weiteres Geburtstagskind stellte die Leiterin des Ensembles Gli Incogniti, Amandine Beyer, in der fol- genden Matinee am Sonntagmorgen, wieder im Reichssaal, vor: Die Cembalistin Anna Fontana. Amandine Beyer beschäftigt sich intensiv mit der jeweiligen Literatur, das liest man sowohl im Pro- grammheft, das hört und spürt man aber vor allem im Konzert. Doch weit von akademischer Spitzfin- digkeit oder gar dem gefürchteten Elfenbeinturm wird hier mitreißend musiziert. Nun, man brachte Werke des Orpheus Britannicus, Henry Purcell, und des Neapolitaners Nicola Matteis, der ab 1672 in England wirkte. Matteis war definitiv seiner Zeit als Komponist weit voraus und komponierte im Ge- burtsjahr Bachs, was erst Jahrzehnte später en vo- gue werden sollte, mit tänzerisch anmutenden Stil- elementen, „von denen einige direkt einer universa- len Folklore entstiegen zu sein scheinen, einfach und bezaubernd“, wie das Amandine Beyer im Tex- theft ausdrückt. Matteis lässt den Hörer staunen und verunsichert ihn immer wieder durch Einfälle, die verrückt oder fast depressiv wirken und frappie- rend an Carlo Gesualdo erinnern. Wie dem auch sei: Das Miteinander in der Gruppe ist vorbildlich, kaum habe ich eine derartige Harmonie erlebt, wie sie beispielsweise zwischen Amandine Beyer und Yoko Kawakubo (2. Violine) herrschte. Das Ensemble agierte zu Herzen gehend schön, absolut überzeu- gend, souverän und über jedwede Kritik erhaben. Dies war sicherlich eines der besten Konzerte im Laufe der vergangenen 29 Jahre hier in Regensburg. Amandine Beyer, Violine, Frankreich. So lautete die Überschrift über der Matinee am Pfingstmontag, erstmals in der Evangelischen Bruderhauskirche St. Ignatius dargeboten. Vorzutragen waren die Soloso- nate und -partita BWV 1005 und 1006 sowie Jo- hann Georg Pisendels Solosonate a-moll. Mit wel- cher Humilitas, eine Eigenschaft, die man in unserer narzisstischen, auf Selbstverwirklichung getrimm- ten Zeit schwer vermisst, die Künstlerin an die Kom- position herangeht, liest man in ihrem Einführungs- text. Für sie besteht die Auseinandersetzung, ihr Ringen mit Bach, ein Leben lang und ihr Konzert stellt lediglich eine Momentaufnahme dar. „Sei so- lo“ betitelte Bach seine Solopartiten, du bist allein. Es ist die hohe Schule, die vom Künstler alles for- dert, gnadenlos, schonungslos, erbarmungslos. Und dieser Künstler muss ein Meister sein, vom Format eines Pisendel, für den Bach wohl komponierte und der in seiner leicht narzisstischen (das gab’s also da- mals auch schon) Solosonate alles an Schwierigkei- ten einbaute, was man einem Violinisten zumuten konnte, hoch artifiziell, letztlich aber ohne Wieder- erkennungswert. Wie anders dann Bach, den Pisen- del in keinster Weise ausstechen kann: genial, nichts weniger als das! Amandine Bayer kam, sah und siegte. Sie spielte auf den Saiten meiner Emp- findsamkeit, selten war ich so tief bewegt und am Ende eines Konzerts emotional so ausgelaugt. Die Künstlerin schonte weder sich noch das Auditorium und ging so selbstlos und so erfolgreich an ihre Grenzen. Welch eine Sternstunde! „Das Leben ist ein Meer, der Fährmann ist das Geld: Wer diesen nicht besitzt, schifft übel durch die Welt.“ Auch das stammt aus der Feder Georg Rudolf Weckherlins und beleuchtet nicht nur das Festival und dessen Zukunft, sondern vor allem auch die Zu- kunft der Alten Musik. Am Rande des Festivals gab es immer wieder Möglichkeiten zum Gedankenaus- tausch und was man hier hörte, macht einen betrof- fen und fassungslos. Es fehlt an Geld und Unterstüt- zung, ganze Szenen, ganze Länder brechen weg, die Kunst wird eingefroren, letztlich geopfert. Was, so frage ich mich, ist uns Kunst und Kultur überhaupt noch wert? Offenbar nicht einen Cent mehr. In einer Zeit, in welcher ein zwanzigjähriger Fußballer (der nur gelernt hat, kunstvoll einen Lederball vor sich herzutreten) für einen Vereinswechsel mehr Geld erzielt als ein ganzes Symphonieorchester in einem Lebensalter nicht einspielen kann, ist etwas ganz entschieden in Schieflage geraten. Oder auch nicht: Wer panem et circenses will, der opfert eben alles für creti und pleti. Doch was bleibt tatsächlich vom Glanz eines Pokals? Interessiert man sich auch noch in hundert Jahren für den Meister der Spielzeit 2012/13? Das mag sich jeder selbst beantworten! Dreißig Jahre ist das Regensburger Festival inzwi- schen nun alt und noch immer finanziell nicht im Trockenen. Die Leistungen werden meist ehrenamt- lich erbracht, die Künstler verzichten teilweise auf Teile der Gagen, die sowieso und von vorneherein nicht üppig ausfallen, nicht ausfallen können. Das Publikum wird älter, die Jungen fehlen. Quo vadis, musica antiqua? Robert Strobl Internationales Festival der Laute in Bremen (31.05 – 2.06.2013) Faszination Laute für Groß und Klein D ie Laute, das Instrument, das die abendländi- sche Musik 300 Jahre wesentlich geprägt hat und mit dem die europäische Instrumentalmusik und der Notendruck begonnen haben, fristet in der heutigen Alte-Musik-Szene immer noch ein Schat- tendasein. Der einstigen „Königin der Instrumente“ zu größerer Beliebtheit zu verhelfen, ist das Ziel der „Festivals der Laute“, die die Deutsche Lautengesell- schaft alljährlich an wechselnden Orten veranstal- tet. In diesem Jahr kam das Lautenfestival zum zweiten Mal nach Bremen. Die Hansestadt Bremen, die wegen der deutsch- landweit ältesten und größten Akademie für Alte Musik als „Wiege der europäischen Alte-Musik-Be- wegung“ bezeichnet werden darf, ist in den letzten Les Agrémens, Ltg.: Guy van Waas

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