Tage Alter Musik – Almanach 2014

Kein Hochglanzfestival geplant Tage Alter Musik Regensburg feiern 30-Jähriges mit mehr Musik Am Anfang waren fünf Konzerte und ein Workshop an drei Tagen, darunter bereits eine Premiere: 1984 gastierte bundesweit erstmals das - immer noch aktive - „Boston Museum Trio“. Mindestens eine Europa- oder Deutschlandpremiere gab es jedes Mal, über hundert bis dato. Inzwischen sind die vier „Tage Alter Musik Regensburg“ (TAM) um Pfingsten ein begehrtes Originalklangfestival mit internationalem Renommee und traumhafter Auslastung – fast alle Konzerte sind ausverkauft -, die Verkaufsausstellung im alten Salzstadel eine der größten in Süddeutschland. Ein „Hochglanzfestival“ sollte TAM nie werden, so Ludwig Hartmann, der künstlerische Leiter der TAM im Interview mit BR Klassik. Zusammen mit Stephan Schmid und dem inzwischen ausgeschiedenen Christof Hartmann – alle drei ehemalige Regensburger Domspatzen – planten sie das Festival und setzten es ein Jahr später um. Auch zum 30. Jubiläum heuer blieb das Originalklangfestival seinem Credo treu, nämlich „Alte Musik vom Mittelalter bis zur Romantik in exemplarischen und innovativen Interpretationen lebendig werden zu lassen“, so das Vorwort zum Programmheft. Dem Jubiläum geschuldet waren neben dem opulenteren Festivalführer auch drei Zusatzkonzerte, die an den vier Tagen untergebracht wurden. Man konnte also fast rund um die Uhr handverlesene Alte Musik hören, noch dazu in atemberaubenden Räumen: die „Alte Kapelle“ etwa erwies sich als Rokoko-Rausch; die Ägidienkirche zeigte im Gegensatz dazu gotische Zurückhaltung – idealiter passend zum aufgeführten Repertoire: Zum Jubiläum gastierte wieder eine Solistin, die Mittelalterexpertin Corina Marti, blockweise alternierend an Blockflöten inklusive Doppelflöte und am rekonstruierten Cembalo-Ahn Clavisimbalum, einer klanglichen Verzauberung, changierend zwischen Cembalo und Hackbrett. Die aufgeführ- ten Werke aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert entstammten überwiegend den Codices Faenza und London, zusammengeführt unter dem Titel „I dilettosi fiori“ mit mehrstimmig wirkender Einstimmigkeit und beginnender Polyphonie. Mit feiner, meister- lich kontrollierter Abstufung und Phrasierung tönte Marti die Schichten, die Gesprächsstimmen ab, zog einen organischen Bogen über das Kantilenenband. Für heutige Ohren klingt diese Musik exotisch und zeitlos-meditativ, vor über sechshundert Jahren waren die mehrstimmige Triebe ansetzenden Monodien „Dernier Cri“. Corina Marti versetzte tatsächlich in eine andere Welt und der zwar ernüchternde Beifall war verdient stark. Schön, dass auch solche außergewöhnlichen Programme Gehör fin- den. Die Entdeckung von Repertoire, Interpretation und Ensembles sind eine Spezialität der TAM. Mit „VOCES8“ gastierte nach „Stile Antico“ wiederum ein exzellentes Vokalensemble mit Renaissance-Vokalmusik aus Großbritannien. Erstmals in Europa wurden zudem die sechs „Neuen Brandenburgischen Konzerte“ aufgeführt: Der 2011 verstorbene Musikwissenschaftler und Barockoboist Bruce Haynes instrumentierte und „komponierte“ umstrittenerweise Kantatensätze von Bach, gemäß der barocken Praxis, Kantaten instrumental aufzuführen. Ausführende war die kanadische „Bande Montréal Baroque“, die am letz- ten Festivaltag mit fünf „Kantaten über Leben und Tod“ für Solistenquartett ein zweites Mal Bach spielte. Der Einstieg mit „Christ lag in Todesbanden“ gelang bereits auf einem überwältigenden Niveau, das schlicht nicht haltbar war. Die Vokalbesetzung mit nur vier jungen, zum Quartettklang verschmelzenden Solostimmen, die Intensität, die aus jedem Ton ström- te, die Beredtheit und der notwendige Mut zum Atemholen, die feine Nuancierung und Farbgebung gestalteten aus der Musik ein dreidimensionales Barockkunstwerk. Kein Geheimtipp mehr, aber gern gehört ist die Alte Musik aus der Neuen Welt. Mit Instrumentalsätzen und Liedern aus Südeuropa und Lateinamerika gestaltete sich die Regensburger Premiere des Ensembles „El Mundo“ nicht ganz so rund wie etwa bei Corina Marti. Dennoch – mit Ensembleleiter Richard Savino, Kastagnetten-Meister und Bass-Barde Paul Shipper, zwei stark besetzten Geigen, Cello und Cembalo und zwei stimmschönen, aber unterschiedlichen Sopranen wurde die Matinee ein vitales, tanzfreudiges, Ciaconna-reiches Zeit- und Landschaftsgemälde und die Don-Quijote- esken, mit Barockgitarre selbst begleiteten Balladen von Juan Hidalgo ließen an Murillo-Szenen denken. Wie ein Sonnenaufgang wirkte am selben Abend die „Curtain Tune“ in Matthew Lockes Music for „The Tempest“ zeitgleich zum sich teilenden Theatervorhang, eine durchdachte, wirkungsvolle Ouvertüre. Zweimal nacheinander gaben Fabio Bonizzoni, die Solisten, der Coro Costanzo Porta und La Risonanza eine ausgeprägte Inszenierung von Purcells Oper „Dido & Aeneas“. Regie führte die Choreografin Francesca La Cava und der moderne Tanz nahm den größten Raum ein. Mit musikloser Tanzpantomime begann und endete die Inszenierung. Ein zunehmend aggressiveres Spiel mit Luftballonherzen stimmte ein, der Don-Giovanni- eske Schluss des mitagierenden Chores geleitete aus: für sich zwar intensiv wirkend, aber den innerlichen Nachklang am Ende unterbindend. Mehrmals hielt die Musik in einem überraschenden instrumentalen Ostinato-Kreisen für zusätzliche Tanzszenen – insgesamt ein zweischneidiger Ansatz, der dem Werk gab und nahm. La Cava gesellte den Hauptrollen Tänzer als seelisch- emotionales Alter ego bei – so der hervorragenden Raffaella Milanesi (Dido) und dem beachtlichen Richard Helm (Aeneas). Am meisten Beifall erhielten La Risonanza und ihr Leiter Fabio Bonizzoni, die in schlanker Sextettbesetzung und trotzdem klang- füllig, nicht immer lupenrein, aber plastisch und expressiv mehr als „nur“ begleiteten. Das prunkvolle klassizistische Theater am Bismarckplatz steuerte eine wohlwollende Akustik zum umjubelten Gelingen bei. Stefanie Knauer

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