Tage Alter Musik – Almanach 2014

Bachs h-Moll-Messe zur Eröffnung Sehr beeindruckend und gelungen war auch die Aufführung von Bachs h-Moll-Messe, mit der das Festival in der Dreieinigkeitskirche durch Chor und Orchester des Prager „Collegium 1704“ begann. Im 18-köpfigen Chor wirkten auch die Solisten immer mit, das Orchester war mit 29 Musikerinnen und Musikern für den Raum optimal besetzt. Eine blitzblanke Aufführung, präzise und mit Elan musiziert, mit Chor und Orchester in den richtigen Besetzungsgrößen, sowohl im Verhältnis zueinander als auch zum Raum. Allerdings packte den Leiter Vaclav Luks recht häufig der Ehrgeiz, vorzuführen, was seine Musiker so können, und das heißt dann: Tempo. Das zügige Kyrie war noch zu akzeptieren, das Gloria am Rand dessen, was die Feinheiten des Satzes noch erkennen lässt, das Gratias dann aber viel zu schnell. Das ist schlimm, denn in Sätzen wie diesen hat Bach seine ganze Kunst offengelegt, den Inhalt des Textes durch die einzelnen Stimmen auszugestalten und Stück um Stück in seiner Wirkung und Aussage zu steigern. Dafür braucht es Zeit, wie von Masaaki Suzuki exemplarisch vorgeführt, und auf kei- nen Fall sportlichen Ehrgeiz. Da Luks dies in den schwungvoll konzipierten Sätzen der Messe immer wieder passierte, das Sanctus einge- schlossen, bleibt die Frage, womit es die Prager ernster nehmen: mit Bachs Anliegen oder mit der Selbstdarstellung. Leider haben andere Ensembles gezeigt, dass sie nicht einmal die technischen Standards halten können, die ihre CDs versprechen. Le Concert Spirituel unter Hervé Niquet mit einem Programm aus Anthems von Henry Purcell in der Dreieinigkeitskirche: auf CD ist die Gruppe sehr angenehm anzuhören. Für den Chor galt das auch in Regensburg. Die Instrumentalisten, Holz- und Blechbläser und solistisch besetzte Streicher hingegen klangen fahrig und ungenau. Zudem wirkte es grotesk, bei den Streichern nur einen Spieler pro Stimme zu haben: zu schwach, um gegen Chor und Bläser durchzukommen, zu überfordert, um sauber spielen zu können. Sie piepsten wie Schiffbrüchige, deren Rufe im Getöse der Brandung nur leise und sporadisch ans Ufer dringen. Auf CDs machen es die Herrschaften nicht so sparsam. Auch sah man Niquets expressiven, den ganzen Mann fordernden Gesten an, dass er sich mehr von der Größe des Augenblicks hatte hinreißen lassen als von der Verantwortung, für präzises Spiel zu sorgen. Lockerer Musizierstil aus Kanada Bande Montréal Baroque, Kanada. Ja, Kanada. Immer noch Sehnsuchtsland für potenzielle Auswanderer, fern von den Zwängen und Sorgen des Alten Europa. Leider aber auch von den Entwicklungen der Aufführungspraxis und dem Niveau der Spielkultur. Das Orchester-Konzert in der Dreieinigkeitskirche war in mehrfacher Hinsicht eine Enttäuschung. Zunächst funktionierten die Arrangements von Sätzen aus Bach- Kantaten zu „Neuen Brandenburgischen Konzerten“, die das Ensemble vorführte, so nicht. Prominentestes Beispiel für das Misslingen einer Transkription von Vokal zu Instrumental bei Bach ist das immer wieder erprobte Konzert BWV 249 aus den ersten drei Sätzen des Osteroratoriums. Die Sätze eins und zwei, von Bach als Sinfonia für Instrumente gesetzt, ergeben auch als Konzert Sinn. Satz drei aber, der erste Chorsatz des Oratoriums, klingt nicht, wenn Instrumente die Vokalpartien übernehmen. Diese Partien sind von Bach zwingend vokal gedacht und beziehen ihre gesamte Funktion daraus, dass Bach ihre Gestalt aus dem Inhalt der Worte entwickelt hat. Genau das Gleiche in diesem Konzert: BWV 34/1, 74/7, 65/6, 11/1: Musikgewinnung ganz aus dem Textgehalt; rein instrumental bleibt das sinnlos und gelangt nicht zum Klingen. Zumal Bach, anders als Händel, nie aus Vokalsätzen instrumentale machte. Umgekehrt aber sehr wohl, man denke an BWV 110/1 (Unser Mund sei voll Lachens, aus Satz 1 der vierten Orchestersuite) oder 146/2 (Wir müssen durch viel Trübsal, aus dem zweiten Satz des Konzertes BWV 1052). Interessant wäre es gewesen, aus Instrumentalsätzen der Bach-Kantaten, den Sinfonien, Konzerte zu machen, wie das mit BWV 1059 geschehen ist. Damit wäre eine Form erklungen, für die Bach zu seiner Zeit ebenfalls berühmt war, die heute aber noch nicht entdeckt ist: das Orgelkonzert mit Orchesterbegleitung. Leider präsentierten die Kanadier ihre fragwürdigen Konstrukte dann auch noch spieltechnisch so unbefriedigend, auf verwegene Effekte getrimmt und dabei schlampig, dass man keine Lust hatte, da länger hinzuhören. Vielleicht waren sie ahnungslos und hatten in Regensburg mehr mit einem fröhlichen Happening gerechnet als mit einem der anspruchsvollsten und konsequentesten Festivals Alter Musik in Deutschland. Aber selbst dann wie ungeprobt zu spielen, das war schon fast ein Affront gegen alle Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis. Eine Zuhörerin fragte ihren Mann, warum das alles so unsauber und schlecht klinge. „Das sind eben diese alten Instrumente“, erhielt sie zur Antwort. So etwas darf heute nicht mehr sein. Zum Glück konnte die „Bande“ die Scharte dann im Bach-Kantaten-Konzert in der Alten Kapelle wieder einigermaßen auswetzen, nicht zuletzt wegen der Gesangssolisten. Die „Bande“ führt Bach-Kantaten, wie einst Rifkin, auch in den Chorsätzen solistisch auf. Das ist akzep- tabel, wenn es so engagierte Sängerinnen und Sänger machen wie Odéi Bilodeau, Elaine Lachica, Philippe Gagné und Drew Santini. So war es lohnend, selten gehörten Stücken wie BWV 9, 18, letztlich auch BWV 4 und 106, einmal wieder live zu begegnen. Purcell im Stadttheater ZumAbschluss des 30-Jahre-Jubiläums gab es eine echte Neuerung: Zum ersten Mal fand eine Aufführung im Theater am Bismarckplatz statt, der Schauspiel- und Opernbühne der Stadt Regensburg. In dem klassizistischen Gebäude empfängt die Besucher ein dezent spätbarocker Zuschauerraum, in seiner Größe ideal für Aufführungen barocker Opern. Purcells „Dido und Aeneas“ war daher genau am richtigen Platz. Da funktionierte akustisch die Mini-Besetzung, mit der das italienische Ensemble „La Risonanza“ zusammen mit dem „Coro Costanzo Porta“ Purcells Oper nach Regensburg gebracht hatte. Auf solche Mini-Besetzungen – im Orchestergraben saßen zwei Geiger, ein Bratscher, der Leiter des Ensembles, Fabio Bonizzoni, am Cembalo, ein Lautenist, eine Cellistin und ein Kontrabassist – hat sich „La Risonanza“ speziali- siert. Ihre Einspielung der Händel-Kantaten bei „Glossa“ kommt damit gut zurecht und entspricht auch den Umständen bei deren Uraufführungen. Es ist gut möglich, dass „Dido und Aeneas“ bei der Uraufführung 1689 in Josias Priests Mädchenpensionat in London- Chelsea in ähnlich bescheidener Größe des Ensembles erklang. Heutige Ohren jedoch sind ein sauberes Spiel gewohnt, und wenn die Musiker dafür nicht hundert Prozent garantieren können, dann sollte man sie nicht alleine lassen. Carlo Lazzaroni, Ana Liz Ojeda (Violine) und Gianni de Rosa (Bratsche) mühten sich redlich und mit Verve, aber ohne die souveräne Intonation, die Solostreicher für Musikgenuss einfach bieten müssen. Auch der stimmkräftige, geschmeidig artikulierende Chor ließ ein ebenbürtiges Streicherensemble nur umso mehr vermissen; wie auch die großartige Klage der Dido (Raffaella Milanesi), der hier der schwebend entrückende Untergrund fehlte, den nur eine Gruppe von Streichern liefern kann. „La Risonanza“ war mit einer Inszenierung und einer Tanzgruppe angereist und bespielte auch die Bühne. Anliegen der Tänzerinnen und Tänzer war es, das Seelenleben der Beteiligten in Körpersprache umzusetzen. Das resultierte in viel Bewegung auf der Bühne, die den Inhalt nun nicht sonderlich erhellte. Das macht bei diesem phänomenalen Stück die Musik auch alleine, und sie ließ sich auch durch das Mini- Orchester nicht davon abhalten. Sehr gut gesungen von Raffaela Milanesi als Dido und Stefanie True als Belinda, ordentlich von Richard Helm als Aeneas und etwas zu überspannt von Iason Marmaras als Zauberin im Hexenterzett. So vergingen die Tage Alter Musik mit einem bunten, inspirierenden, zuweilen auch großformatigen Programm, das die Errungenschaften der Alte-Musik-Szene und der historischen Aufführungspraxis ebenso ins Licht setzte wie deren Probleme und Gefahren. Aber genau das war von Anfang an der Reiz und das Risiko dieses Festivals, als es Ludwig Hartmann und Stephan Schmid 1984 erstmals der Öffentlichkeit vorstell- ten. Mit Erfolg und wachsendem Zuspruch haben sie diesen Kurs beibehalten und ihr Publikum damit zu überzeugen und begeistern gewusst – freie Plätze gab es auch in diesem Jahr nicht zu sehen, obwohl etliche zusätzliche Sitzreihen in die Räume eingebaut waren. Sie werden so weitermachen, sagten sie, so lange es ihre Kräfte erlauben. Da kann man nur wünschen: ad multos annos!

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