Tage Alter Musik – Almanach 2014

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Doch beim „Festkonzert aus dem Vene- dig des Frühbarock“, das die Gruppe Concerto Palatino in der nächtlichen Do- minikanerkirche veranstaltet, entspricht dieser Erwartung nur Weniges wie die majestätische Psalmvertonung „Deus, Deus meus“ von Andrea Gabrieli. Nicht betont repräsentativ und kraftvoll er- klingen hier Werke von ihm, seinem Neffen Giovanni sowie von Giovanni Battista Grillo, sondern mit einer Delika- tesse, die eher einem Musizieren „da ca- mera“ entspricht. Zart gestützt von Orgel und Theorbe verbreiten die Posaunenstimmen in aus- gewählten Instrumentalkanzonen einen wohl gerundeten, mattgolden schim- mernden Dunkelglanz, dem die Zinken mit leichtbeweglichem Spiel hellere, ins Silbrige spielende Lichter hinzufügen. In wechselnden Gruppierungen konzertie- ren dabei Chöre in weiträumigem oder auch kurzgliedrigemDialog. Der gedeckte Gesamtton der Auffüh- rung ist auch inhaltlich bedingt: Die ve- nezianische Pestepidemie 1575-1577 bil- det den Hintergrund des Programms mit einer Vielzahl von Psalmvertonungen, in denen die Themen Sünde, Reue und Bu- ße dominieren. Bis in die Altus- und Can- tuspartien hinauf werden sie ausschließ- lich von Männerstimmen artikuliert, die inhaltsbezogen oft nur von Continuo- klängen grundiert werden, bisweilen aber auch in üppigeren Bläserklang ein- gebettet sind. Weiche, geschmeidige Li- nien formen Instrumentalisten und Sän- ger in ruhigem Zeitfluss, aus dem heraus sich der Textvortrag freilich auch be- schleunigen und zu größerer Dringlich- keit steigern kann. Wo menschliche Zer- knirschung mit so viel Edelklang einher- geht, dürfte das „Miserere, Domine“ wohl ein offenes göttliches Ohr finden. Mattgoldener Glanz ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON GERHARD DIETEL, MZ FRÜHBAROCK Concerto Palatino spielte venezianische Musik aus der Zeit um 1600. REGENSBURG. Das barocke Italien feierte seine Feste musikalisch mit Opern oder Serenaden, die Franzosen bevorzugten große Motetten, die Briten die Ode. Jubi- läen des Königshauses, Ereignisse des öf- fentlichen Lebens: Zwischen 1660 und 1820 wurden dafür Oden komponiert. Hervé Niquet und sein Ensemble Le Con- cert Spirituel aus Frankreich kamen mit Oden von Henry Purcell zu den Tagen Alter Musik in die Dreieinigkeitskirche. „Celebrate this Festival“ heißt der mehrdeutige Titel, der durchaus auch auf 30 Jahre „Tage Alter Musik Regens- burg“ Bezug nimmt. Die Texte stecken voller Hinweise auf Musik, Musikinstru- mente und Natur, was Purcell die schönsten Vorlagen gibt. Virtuosität und Schlichtheit stehen nahe beieinander. Das Orchester war farbig besetzt, Blas- instrumente, Theorben, und so weiter. Niquet ließ die solistischen Passagen mit allen Chorsängern einer Stimme singen, zum Beispiel von vier Sopranen und Bas- so continuo bei „Bid the Virtues“. Diese Aufführungspraxis passte sehr gut zur Birthday Ode for Queen Mary, wo sich beim Zuhören durchaus Gänsehaut ein- stellte, wo beim Duett „Sound the Trum- pet“, bei dem übrigens keine Trompete spielte, zwei Altstimmen über sehr leb- haftem Bc. agieren und wo der Schluss- satz „See Nature, rejoicing“ sich aus ei- nemDuett zumChorsatz entwickelt, ele- gant und absolut überzeugend interpre- tiert. Die Begräbnismusik für Queen Mary war intensiv gespielt, das Sekundmotiv des Marsches insistierend, der Schluss- chor sanft und hell. Die mächtige Ode for St. Cecilia’s Day, „Hail, bright Ceci- lia!“ kam wuchtig und füllig daher, man vermisste allerdings solistische Stimmen als Abwechslung zu den großen kontra- punktischen Chorsätzen. Manches woll- te nicht richtig in Gang kommen, ande- res dagegen überzeugte –wie „Woudrous Machine!“, eine sich abarbeitende Mu- sikmaschine. Virtuos und schlicht ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON CLAUDIA BÖCKEL, MZ FESTMUSIK Le Concert Spirituel waren mit Oden von Henry Purcell zu Gast. REGENSBURG. Großes Gedränge nach dem Konzert beim CD-Stand: Ein gutes Zeichen, dem Publikum hat’s gefallen. Sogar sehr. Die Begeisterung war ver- ständlich. Voces 8 ist, wie der Name schon verrät, ein achtköpfiges Vokalen- semble, eine Formation der Extraklasse, vielseitig, mit enormer Bühnenpräsenz, mit intelligenten Programmentwürfen. In der vollbesetzten Dominikanerkirche stellten Voces 8 Freitagnacht mit Robert Ramsey (um 1590-1644) einen relativ un- bekannten Komponisten in den Mittel- punkt, mit seinem „Service for four voi- ces“. Das ist schlichte protestantische Musik, dank der Perfektion und ge- schickter Klangregie ein angenehmer, sanfter Hörgenuss. Damit verknüpft wa- ren Thomas Weelkes’ „Gloria“, energi- scher, lebhafter, und Thomas Tomkins’ „When David heard“, das innigste, an- rührendste Stück des Abends. Als Kont- rast gab es zwei heftig bewegte Werke, William Byrds „Sing joyfully“ und Or- lando Gibbons’ strahlendes „O clap your hands“. Doch das war beileibe noch nicht alles. So schön und faszinierend die engli- sche Musik des 16. Jahrhunderts auch ist, Voces 8 blickt als vielseitiges und weltoffenes Ensemble gern über den bri- tischen Tellerrand respektive Kanal und baute drei kontinentale Meisterwerke mit ein, die bereits den Frühbarock im Blickwinkel haben: Hieronymus Praeto- rius’ „Magnificat quinti toni“, ein virtuo- ses doppelchöriges Werk in bester vene- zianischer Tradition, Palestrinas „Magni- ficat primi toni“, achtstimmig, in etwas älterem polyphonen Stil, und Claudio Monteverdis spektakuläres, lautmaleri- sches „Cantate Domino“. Ob betörende Zartheit oder emotions- gesättigte Lebendigkeit, Voces 8 wird al- lem gerecht. Als Gabrielis „Jubilato Deo“ als erste Zugabe ins Rennen geschickt wurde, kannte die Begeisterung in der Dominikanerkirche keine Grenzen mehr, Rachmaninovs magisch-intensi- ves „Bogoroditse Devo“ musste die Ge- müter erst wieder beruhigen. Extraklasse-Abend ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON RANDOLF JESCHEK, MZ VOKALMUSIK Voces 8 aus Groß- britannien zeigten sich vielsei- tig und in Hochform. Junge Musiker haben sich 2006 in der Musikakademie Kloster Michaelstein im Harz als „Bachs Erben“ zusammen- getan. Schirmherrin ist die Akademie für Alte Musik Berlin. Drei „Ausgra- bungen“ aus Bibliotheken konnten sich neben Bachs 4. Brandenburgi- schen Konzert nur schwer behaupten. Zwei hörbar schwierig zu spielende Na- turhörner bestimmten die Ouvertüre F-Dur eines Anonymus; eine Concerto- grosso-Kopie Vivaldischer Prägung war kaum origineller als Glucks „Regens- burger Sinfonie“ A-Dur. Bachs an- Bachs engagierte Erben Soll man’s Konzert nennen? Es ist eine lockere Session, welche die norwegi- schen „Barokksolistene“ zu nächtlicher Stunde im „Leeren Beutel“, bei den Ta- gen Alter Musik, veranstalten. Was das Ensemble aus Telemanns „Don Quixo- te“-Suite und aus dessen „Schulmeis- ter“ macht, bei dem das Publikum sin- gend einbezogen wird, ist fast schon musikalisches Kabarett. Akustische und komödiantische Showeinlagen kommen bei der Barockparodie „Iphi- genia in Brooklyn“ und beim abschlie- ßenden Tribut an venezianischen Kar- neval und Commedia dell’arte hinzu – manch Zwerchfell im Publikum will sich bei der entfalteten Komik kaum mehr beruhigen. (mdg) Lockere Session Barokksolistene bot fast schon musi- kalisches Kabarett. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● ● ●● ●● ● ●● REGENSBURG . „Wenn man das Gefühl hätte, es läuft sich tot, es ist immer das- selbe, müsste man es nicht mehr ma- chen. Aber der Punkt ist überhaupt nicht absehbar.“ Dieses Bekenntnis, das Festivalmacher Stephan Schmid im Vor- feld der 30. Tage Alter Musik abgegeben hatte, bestätigte sich beim Eröffnungs- konzert in der Dreieinigkeitskirche ein- mal mehr aufs Faszinierendste. Unwill- kürlich kamen Erinnerungen an den Auftritt von Joshua Rifkin im Jahr 1997 auf, als dieser mit dem Bach-Ensemble seine revolutionäre Auffassung einer im Chor rein solistisch besetzten h-Moll- Messe in Regensburg präsentierte. Diese Aufführungspraxis hat sich mittlerweile einen festen Platz im gro- ßen Konzert der Bach-Interpretationen gesichert. Dass auch eine weniger radi- kale Besetzung eine zwingende, in ihrer Art nicht weniger kompromisslose Deu- tung zulässt, stellten Václav Luks und sein fabelhaftes Collegium Vocale 1704 jetzt unter Beweis. Der 18-köpfige Chor entwickelte eine homogene, die Stim- men weich aber klar ineinander verzah- nende Präsenz und gab den von Václav Luks mit fließenden Gesten geformten, weiten Bögen eine nie nachlassende in- nere Gespanntheit. Mit ihrer Beweglich- keit bewältigten die Sänger die schnel- len, die Messworte in jubelnde Tongir- landen auflösenden Abschnitte in selbst- verständlicher Leichtigkeit. Von denen gibt es in Luks’ Interpretation einige mehr als gewohnt, weil er in den „alla breve“ notierten, den Viervierteltakt in zwei Halben denkenden Sätzen das Tem- po konsequent anzieht. Die würdevolle Schwere weicht einer luftig-federnden Spiritualität: eineWohltat. Wirkte das instrumentale Klangbild mit zurückhaltenden Holzbläsern und weicher Streicherartikulation im Kyrie noch etwas gedeckt, so hellte es sich im weiteren Verlauf, einer bewussten Far- bendramaturgie folgend, immer weiter auf. Die prachtvollen, beschwingten Tut- ti im Gloria und im Credo wurden von ermüdungsfreien Trompeten funkelnd überstrahlt, Oboe und Flöte atmeten die Gesangssoli wunderbar mit, Fagotte und Horn umknatterten im „Quoniam“ den Bassisten Tobias Berndt, dass es eine wahre Freude war. Tobias Berndt, Hana Blážiková (Sopran), Kamila Mazalova (Alt) und Václav Cížek (Tenor) zeigten keinerlei Probleme damit, zusätzlich zum kompletten Chorpart, in den sie sich immer wieder eingliederten, bra- vouröse, völlig uneitle Soli zu gestalten. In einem lange ausgehaltenen Schlussakkord bündelte sich die ganze Spannung dieses denkwürdigen Festival- auftakts. Wir hielten den Atem an. AUFTAKT Das CollegiumVocale 1704 eröffnete die Tage Alter Musikmit Bachs h- Moll-Messe: Würdevolle Schwere löste sich auf in luftig-federnder Spiritualität. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON JUAN MARTIN KOCH, MZ Das Publikum lausch Blick in die Dreieinigkeitskirche beim Auftakt der Tage Alter Musik mit Bachs Messe in h-Moll: Die Zuhörer erlebten das Colleg ● ➲ Sehen Sie mehr! ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● AKTUELL IM NETZ Weitere Informationen zu den Tagen Al- ter Musik finden Sie bei uns im Internet: ➤ www.mittelbayerische.de

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