Tage Alter Musik – Almanach 2014

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Wenn aber eine Choreographin Regie führt, möchte sie wohl – wie es die Regensburger Aufführung zeigte – auch ihre choreographischen Fähig- keiten einbringen. Francesca La Cava hatte ihre vierköpfige Tanzgruppe, „Gruppo e-Motion“, aus der Abruzzen- Hauptstadt L’Aquila mitgebracht, und ihr fiel der Hauptanteil der Inszenie- rung zu. Kein Vor- und Zwischenspiel, keine Arie, keine kontemplative Ruhe- insel, wie sie die Musik vorsieht, blieb ohne getanzten Kommentar. Schnell stellte sich heraus, dass sich der Bewe- gungskanon der Tänzerinnen und Tänzer mit einem eng begrenzten Rah- men begnügte. Es dominierten schnel- le Läufe, konvulsivische Zuckungen, plötzliches Zusammensacken, Flagel- lanten-Bewegungen, kleine Hebungen und Überwürfe, begleitet von ange- deuteten Zweikämpfen. Sollte die Choreographie die seelischen Zustän- de der Agierenden andeuten, so ging das deutlich schief; nicht einmal als Kontrapunkt zur psychischen Befind- lichkeit der Protagonisten taugten die immer wieder gleichen, auf die Dauer ermüdenden Bewegungsabläufe. Mühe, Klangfülle zu erreichen Eingeleitet wurde der Abend mit der „Music for ,The Tempest‘“, die Matt- hew Locke für die gleichnamige semi- opera verfasste. Das Orchester „La Ri- sonanza“ hatte einige Mühe, Klangfül- le, wie sie für Lockes Ouvertüren-Tanz- sätze angebracht sind, zu erreichen. Trotz relativ hoher Stimmung wollte sich instrumentaler Glanz länger nicht einstellen. Erst bei der dritten „Musick“, „Curtain Tune“ (Vorhang- Melodie), hatten sich die sieben Musi- ker freigespielt; nur die Theorbe hatte Mühe, sich bemerkbar zu machen. Wäre die Abfolge der insgesamt 40 instrumentalen und vokalen Num- mern – Orchester, Solisten und Chor – nicht immer wieder von quälend lan- gen bodenakrobatischen Zappeleinla- gen der Tanztruppe unterbrochen worden, hätte es eine spannungsrei- che Aufführung werden können. Zwi- schen das Ende der Musik von Matt- hew Locke und den Beginn der Oper hatte die Regisseurin/Choreographin eine Einlage platziert: Zwei Tänzerin- nen vergnügten sich fast zehn Minu- ten mit demAufblasen und Platzenlas- sen von rosa Herzchen-Luftballons; es durfte zu Quietschetönen auch Luft aus denselben abgelassen werden. Die- weil sah man Dido armwringend auf einem roten Plüsch-Puffel. Es müssen auch Änderungen an Purcells Musik vorgenommen worden sein, denn eine derartige Fülle an kurzatmigen, -zig- mal wiederholten Vierton-Ostinato- Bässen passt nicht zu Purcell. Erfreuliche Sänger Die sängerischen Leistungen beweg- ten sich auf hohem Niveau, allen vor- an die Dido von Raffaella Milanesi, die mit herb-dunklem Sopran-Timbre und variablen Ausdrucksnuancen Liebe und Schmerz sehr glaubhaft zu gestal- ten wusste. Die Partie des Aeneas ist zu klein, um die Leistung des österreichi- schen Baritons Richard Helm würdi- gen zu können. Didos Vertraute Belin- da hatte in Stefanie True eine ausgegli- chene höhensichere Interpretin. Iason Marmaras machte die Bass-Partie der Zauberin mit hellem Bariton darstelle- risch und sängerisch zur Karikatur. Seine Hexen, die Choristinnen Micha- ela Antenucci (Sopran) und Anna Bes- si (Alt), setzten positive Akzente wie auch der „Coro Costanza Porta“ (Ein- studierung: Antonio Greco). Dirigent und Cembalist Fabio Bonizzoni liebt die große Geste und leitete sicher von seinem Instrument aus. OPER Tanz zu „Dido und Ae- neas“: Das ging schief. Das sängerische Niveau war bei der Aufführung in Regens- burg aber erfreulich hoch. Henry Purcell mit Zappelbewegungen ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON GERHARD HELDT, MZ Eine Szene aus „Dido & Aeneas“, von „La Risonanza & Coro Costanzo Porta“ in Regensburg präsentiert Fotos: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● AKTUELL IM NETZ ● ➲ Sehen Sie mehr! Weitere Informationen zu den Tagen Alter Musik finden Sie im Internet: ➤ www.mittelbayerische.de REGENSBURG. Die Musik Spaniens in der Barockzeit lebt von einer Mi- schung aus christlichen, maurischen, jüdischen und weiteren Einflüssen. Deutlich wurde dies bei den vom En- semble „El Mundo“ vorgetragenen Stü- cken aus der Feder von Juan de Aranes, Juan Hidalgo und Antonio de Salazar in der St.-Oswald-Kirche. Die hübsche Programmzusammenstellung, die da- neben noch Vokal- und Instrumental- werke aus Italien und Lateinamerika enthielt, bot thematisch eine breite Pa- lette vom Liebesschmerz bis zu kriege- rischen Auseinandersetzungen und der Religion. Die Streicher, Adam LaMotte, Mau- reen Murchie (Violinen), John Lutter- man (Violoncello) musizierten die kontrapunktisch reichhaltig struktu- rierten Tonschöpfungen weitgehend ohne Vibrato. Prägnant und knapp ist Domenico Scarlattis erklungene „Sym- phonia para empezar“. Vom spieleri- schen Charakter geprägt waren auch die übrigen reinen Instrumentalsätze, etwa eine Folia oder der Fandango San- tiago de Murcias, bei denen sich die Kastagnette, gespielt von Paul Shipper, der zudem auf der Barockgitarre ein lautmalerisches gitarristisches Buffet servierte, als belebendes rhythmisches Element hinzugesellte. Inspiriert ge- staltete Corey Jamason in diesem Fan- dango sein Solo auf dem Cembalo und sorgte für eine bereichernde Klangfar- be. Überhaupt ließen die gewählten Tempi die Musik stets klar und frisch erscheinen. Obwohl einige Stücke in Moll geschrieben waren, wirkten sie nie tieftraurig, eher leicht melancho- lisch. Dies galt besonders für die Pie- cen der Vokalmusik von Francesco Manelli, Rafael Castellanos, Domenico Mazzocchi, Jose Marin, Juan Hidalgo, José de Orejón y Apaparicio und natür- lich für die „Cantata a voce sola con chitarra Espagnola“ von Georg Fried- rich Händel. Die beiden Sopranistin- nen, Jennifer Ellis Kampani und Nell Snaidas, ergänzten sich da, wo beide zusammen sangen, etwa bei Hidalgos „Ay, que sí, ab, que no“ gut. ImSchmelztiegel ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON ULRICH ALBERTS, MZ BAROCK „El Mundo“ präsen- tierte Vokal- und Instrumen- talmusik aus Kastilien. REGENSBURG. Einstimmiges kann man auch allein spielen. Estampies und ähnliche spätmittelalterliche Instru- mentalstücke werden ja üblicherweise mit allerhand Schlagwerk aufgebre- zelt, mit Borduntönen oder elementa- ren Harmonien unterfüttert. Nicht so bei Corina Marti. Die Schweizerin, Do- zentin an der Schola Cantorum Basi- liensis für Flöten und Tasteninstru- mente des Mittelalters, greift zu einer Flöte und los geht’s. Es ist nicht nur die technische Per- fektion oder die Wandlungsfähigkeit des Flötentons, der gefangennimmt. Es ist der magische Fluss der Endlosdimi- nutionen und die souveräne gestalteri- sche Freiheit, die den fehlenden rhyth- mischen Drive der Perkussionsinstru- mente entbehrlich machen. Und die Konzentration auf das Wesentliche, die immer wieder überraschenden Wendungen, die die Spannung auf- rechterhalten. Um Eintönigkeit erst gar nicht aufkommen zu lassen, wand- te sich Corina Marti zwischen den Flö- tenstücken ihrem Tasteninstrument zu, ihrem wohlklingenden Clavisim- balum, spielte intavolierte Vokalmu- sik (Madridgale, Ballate etc.) des ausge- henden 14. Jahrhunderts, unter ande- rem von Guillaume de Machaut, Jaco- po da Bologna und vom fleißigsten Komponisten der Musikgeschichte, Anonymus. Das ist durch ihren Verzie- rungsreichtum übersprudelnde, dabei locker entspannte, meditative Musik zum Genießen, zum Sichtreibenlas- sen. Die Goldbergvariationen des spä- tenMittelalters. SOLO Corina Marti zeigt: Es braucht nicht mehr als eine Interpretin. Musik zumGenießen ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON RANDOLF JESCHEK, MZ Corina Marti Foto: altrofoto.de REGENSBURG . Waren die Chorsätze in Bachs Kirchenmusik für ein Solisten- quartett bestimmt? Seit der amerikani- sche Dirigent und Musikwissenschaft- ler Joshua Rifkin diese These aufstellte und – einst auch im Rahmen der Re- gensburger „Tage Alter Musik“ – er- probte, riss die Debatte über seine Spe- kulation nicht ab. Historische Wahr- heit einmal beiseite gelassen: letztlich entscheidet die heutige Aufführungs- praxis, ob dieser Interpretationsansatz überzeugt. Und da hinterliess das Kon- zert der „Bande Montréal Baroque“ in der „Alten Kapelle“ doch einige Frage- zeichen. Soll die solistische Ausfüh- rung von Bachs Chorsätzen gelingen, müsste ein homogener besetztes Vo- kalquartett zur Verfügung stehen als dies mit Odéi Bilodeau (Sopran), Elai- ne Lachica (Alt), Philippe Gagné (Te- nor) und Drew Santini (Bass) der Fall war. Von der durchschlagskräftig auf- trumpfenden (aber nicht immer gut textverständlichen) Sopranstimme wurde der wunderschön lyrische, aber weniger tragende Alt auch später, im Duett „Herr du siehst“ weitgehend zu- gedeckt, und selbst die in ihren Rezita- tiven klar artikulierenden, doch leicht- gewichtiger klingenden Männerstim- men hatten Mühe, sich gegen Odéi Bi- lodeaus dominantes Organ durchzu- setzen. Keine Bindung wollten die vier Singstimmen im Eingangschor von Bachs Osterkantate „Christ lag in To- desbanden“ finden: Bachs Kontra- punkt zerfiel in Brösel. Auch insge- samt machte die gegen den Strich ge- bürstete Interpretation des Werks un- ter Leitung des von der Orgel aus diri- gierenden Eric Milnes einen befremd- lichen Eindruck: Ist es sinnvoll, diese auf einem kernfesten Lutherlied basie- rende Kantate so ätherisch empfind- sam darzustellen, darf ein österliches Halleluja wirklich so verinnerlicht, oder, wollte man es zugespitzt formu- lieren, geradezu anämisch ausfallen? Weit besser stand solch zurückge- nommenes, dezentes Musizieren dem „Actus tragicus“ an, der von Blockflö- ten- und Gambenklängen grundierten Trauerkantate aus Bachs Frühzeit, dem „Gleichwohl der Regen und Schnee vom Himmel fällt“ oder dem „Es ist das Heil uns kommen her“, wo in der Arie „Wir waren schon zu tief gesunken“ Philippe Gagné die lagen- mässigen Grenzen seines Tenors durch affektreiche Gestaltung auszu- gleichen suchte. Ein wenig mono- chrom wirkte die Aufführung in ih- rem Instrumentalpart, in dem zu den gewiss vorzüglichen, wendig musizie- renden Streichern sich zeitweilig zarte Flöten- und Oboentöne gesellten. Im- merhin: im fast weltlich jubelnden Schlusschor von Bachs „Leichtgesinn- ten Flattergeistern“ durfte eine Trom- pete dem Konzertende zusätzlichen Glanz verleihen. Bach, gegen den Strich gebürstet ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON GERHARD DIETEL, MZ KONZERT Bande Montréal Bar- oque präsentierte Kantaten über Leben und Tod. Bande Montréal Baroque sang in der Alten Kapelle. Foto: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● TAGE ALTER MUSIK ➤ Das Festival feierte 2014 sein 30-jäh- riges Bestehen – und präsentierte sich so frisch wie im ersten Jahr.Stephan Schmid, Ludwig Hartmann und Paul Holzgartner sind die drei Macher der Ta- ge Alter Musik. ➤ Die Konzertreihe präsentiert jedes Jahr am Pfingstwochenende internatio- nale Künstler einem Publikum, das aus aller Welt nach Regensburg strömt, um Alte Musik in historischer Kulisse zu ge- nießen. 2014 waren an vier Tagen 14 Vorstellungen zu erleben.

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