Tage Alter Musik – Almanach 2014

Mitteilungsblatt NEUE BACHGESELLSCHAFT e. V. BACHS ERBEN, neue Brandenburgische Konzerte, Kunst der Fuge mit Gambe, P.D.Q. Bach: Entdeckungen bei den 30. Tagen Alter Musik Regensburg an Pfingsten 2014 Seit Montag hatten sie im Kloster Michaelstein bei Blankenburg im Harz an ihrem Konzertprogramm gearbeitet. Am Freitagmorgen ging es in der ersten Sommerhitze des Jahres mit dem Bus nach Regensburg. Dort war um 16 Uhr die erste Probe angesetzt, die aufgrund des regen Pfingstreiseverkehrs auf der Autobahn verspätet begann. Am Samstagmorgen, 9.30 Uhr, folgte schon die nächste Probe im Thon-Dittmer- Palais am Haidplatz in der Altstadt. Danach blieb kaum Zeit für einen raschen Mittagsimbiss. Jetzt ist es 13 Uhr; nach und nach versammeln sich die jungen Musiker des Jugendbarockorchesters BACHS ERBEN zur Anspielprobe am Konzertort, dem Reichssaal am Rathausplatz. Die einen haben schon die schwarze Konzertmontur angelegt; die anderen kommen im bunten Freizeitoutfit. Trotz des engen Zeitplanes und der zunehmenden Hitze wirken alle entspannt und gut gelaunt. „Habt Ihr genug Platz zum Tanzen?“, ruft Raphael Alpermann, Cembalist bei der Akademie für Alte Musik Berlin , dem „Patenorchester“ des jungen Ensembles, in die Runde, als die Aufstellung steht. Der erste Einsatz, sogleich bricht Alpermann ab. Da historisch authentisch ohne Dirigent gearbeitet wird, ist Eigenverantwortung gefragt. „Alle atmen mit den Flöten!“ lautet die Anweisung. Neuer Versuch, diesmal klappt’s. Doch bald darauf schaltet sich Alpermann wieder ein: „Das schleppt!“, ruft er und feuert die Musiker mit weitausholenden Gesten an, während er vor dem Orchesterpodium auf und abläuft, dort mit einem Blick, hier mit einer Armbewegung Einfluss nimmt und immer wieder mal laut mitsingt. Das Musizieren ohne Dirigent verlangt den jungen Leuten eini- ges ab: Sie müssen sehr genau aufeinander hören, untereinander Sichtkontakt halten und ihr Tun gestisch verdeutlichen. Doch keine Spur von Mittagsmüdigkeit, trotz der tropischen Temperaturen im historischen, also nicht klimatisierten Saal klingt die Musik frisch und beschwingt. „Viel Spaß wünsch’ ich Euch! Das ist ein toller Raum, wir machen tolle Musik, ihr seid tolle Leute – und wir haben ein tolles Publikum!“ Mit diesen aufmunternden Worten entlässt Alpermann, der als künstlerischer Leiter auch die Probenphase in Michaelstein betreut hat, das Orchester. 2006 gegründet, ist es Deutschlands einziges auf Barockmusik spezialisiertes Jugendensemble, das mittlerweile Auftritte bei renommierten Festivals und Konzertreisen bis nach Südamerika vorweisen kann. Interessenten können sich ab 14 Jahren zum Vorspiel bewerben. Die meisten Mitglieder kommen aus dem mitteldeutschen Raum und Berlin, einige aus den westlichen Ländern. Mit 22 heißt es dann Abschied nehmen, damit der Charakter des Jugendorchesters gewahrt bleibt. Für einige Mitstreiter der ersten Stunde steht also dem- nächst der Abschied an … Aber jetzt ist erst einmal alle Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Konzert gerichtet. Vor der Tür des Reichssaals wartet schon das Publikum auf Einlass. Trotz des Beginns um 14 Uhr ist das Konzert ausverkauft. Einige Familien mit Kindern sind gekommen; es herrscht fröhliche Erwartung. Eigens für Regensburg hat das Orchester sein Programm gestaltet: „Es vereint Musik aus unserer musikalischen Heimat Mitteldeutschland mit Musik der Gastgeberstadt“, wie Orchestermanager Bert Siegmund erklärt. Aus dem Repertoire der Dresdner Hofkapelle hat das Ensemble zwei Werke im Gepäck, deren Urheber unbekannt sind und die seit 250 Jahren heute erstmals wieder erklingen. Eine Ouvertüre mit zwei Hörnern macht den Auftakt: schwungvoll-federnd, aus- drucksstark und super koordiniert. Ein Concerto für zwei Soloviolinen (von den beiden Stimmführern des Orchesters souverän und virtuos gestaltet) erweist sich als spritziges, bei der Hitze geradezu erfrischendes Stück. Es folgt die Hommage an den Konzertort mit der Regensburger Sinfonie von Christoph Willibald Gluck, mit zwei Hörnern und Oboen opulent besetzt, sehr klangprächtig. Zum Abschluss Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. IV: wiederum mit hervorragenden Solisten und einem mit Leidenschaft aufspielenden Orchester. Jubelnder Beifall belohnt die jungen Musiker, der so lang anhaltend ausfällt, dass er die zuvor geprobte Abgangsregelung durcheinander bringt. Lauter glückliche Gesichter – im Publikum wie im Orchester: Für letzteres ein voller Erfolg! Und des Namensgebers durchaus wür- dig … Auch das Eröffnungskonzert am Vorabend war Bach gewidmet: Aus Prag waren das Collegium Vocale 1704 & Collegium 1704 angereist, um unter der Leitung ihres Gründers Václav Luks die h-moll-Messe aufzuführen, die vom Bayerischen Rundfunk live übertragen wurde. Aus dem 18-köpfigen Vokalensemble traten die Solisten nicht zu ihren Arien hervor, sondern gestalteten auch einzelne Abschnitte des Chorparts in solistischer Ausführung – eine rundum stimmige Lösung. Vokalisten wie Instrumentalisten musizierten transparent, mit klarer Artikulation und subtiler Ausgestaltung, und boten eine nicht auftrumpfende, sondern eher nach innen gekehrte Interpretation, die nicht laut werden muss- te, um zu überzeugen. An einigen wenigen Stellen – etwa dem Et incarnatus est, das etwas zu diesseitig geriet, dem Sanctus, das zu rasch angelegt war, um in sich ruhen zu können, oder dem abschließenden Dona nobis pacem , das nicht ganz diese Sogwirkung entfaltete, die den Hörer zwingend mitzieht – wäre über die fraglos schöne musikalische Gestaltung hinaus noch eine tiefere Durchdringung des spirituellen Gehalts möglich gewesen. Am Samstagnachmittag um 16 Uhr, also unmittelbar nach BACHS ERBEN , steht dann ein Programm auf dem Plan, das Fragen aufwirft: „Sechs ‚neue Brandenburgische Konzerte’ Nr. 7 – 12“. „Das Problem begann, als Bach starb“, eröffnet Susie Napper, Cellistin des kanadi- schen Ensembles Bande Montréal Baroque ihre Moderation. „Er hinterließ seine geistlichen Werke Carl Philipp Emanuel, der nicht sein Lieblingssohn war. Vielleicht war die geistliche Musik ja auch nicht seine Lieblingsmusik, denn die weltlichen Werke hinterließ er Wilhelm Friedemann, der als Lebemann und Trinker wer weiß was damit tat … Fest steht, dass auf diese Weise viele Instrumentalkompositionen ver- loren gingen. Das war der Ansatz von Bruce Haynes, der sich fragte, warum man nicht einfach ein paar neue Bach-Werke schaffen solle …“ Und so fügte dieser, ein kanadischer Musikwissenschaftler und Barockoboist, in Analogie zum bekannten Parodieverfahren „sechs neue Brandenburgische Konzerte“ aus Kantatensätzen, einer Lutherischen Messe und einem Cembalokonzert zusammen. Fazit: Das kann man gerne machen, muss man aber nicht. Zwar funktioniert das Verfahren (unterschiedlich) gut, d. h. es ergibt durchaus anhörbare Musik. An die- ser Stelle sei Thomaskantor Biller mit seinem Credo zitiert: „Bachs Musik ist so gut, die kann man gar nicht kaputt machen!“ Aber irgend- wann im Verlauf dieser geballten Zusammenstellung scheint doch der Verdacht auf (etwa bei dem Konzert Nr. 10 für zwei Altblockflöten und zwei Blockflöten, mehr noch bei der Nr. 12 für zwei Violen da gamba und zwei Violoncelli), Bach hätte das, wenn er es denn gewollt hätte, doch anders, und zwar besser, stringenter und unverwechselbarer hingekriegt. Mir scheint die Option, doch lieber die hier als ‚Steinbruch’ verwendeten Originalwerke häufiger aufzuführen, die bessere Alternative. Einmal ganz davon angesehen, dass meines Erachtens ein Vokalpart niemals adäquat durch ein Instrument ersetzt werden kann, was hier ja zum Prinzip erhoben wird. Nach einem ‚bachlosen’ Abendkonzert steht am Samstag im Nachtkonzert um 22.45 Uhr mit dem 2004 gegründeten belgischen Ensemble Vox Luminis Musik von Heinrich Schütz und der Bach-Familie (Johann Michael, Johann Christoph, Johann Ludwig, Johann Sebastian) auf

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