Tage Alter Musik – Almanach 2014

dem Programm. Vier Soprane, zwei Alti, vier Tenöre, zwei Bässe, eine Orgel, eine Gambe – und ein Füllhorn wunderbarster Musik! Der Schütz ist sehr sprechend, mit ergreifender Schlichtheit und aus tiefinnerer Überzeugung gestaltet. Die Motetten aus dem Alt-Bachischen- Archiv nehmen die Texte aus Schütz’ Musikalischen Exequien (SWV 279-281) wieder auf – eine tolle Programmidee, hervorragende Stimmen und eine Interpretation, die keine Wünsche offen lässt. Geradezu wie eine Traumsequenz mutet es an, wenn der Chorus II im Lobgesang Simeons Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren aus der Sakristei singt und wie aus einer anderen Welt herüber- weht. Mit Johann Ludwig Bachs Das Blut Jesu Christi gelingt ein ganz verhaltener, innig-zurückgenommener Schluss. Beglückender hätte der Tag nicht ausklingen können! Schon am folgenden Pfingstsonntag um 11 Uhr geht es weiter mit Bach, allerdings in neuem Gewand. Susie Napper, die schon an der Erschaffung der „neuen Brandenburgischen Konzerte“ beteiligt war, bildet mit ihrer Kollegin Margaret Little seit 1985 das Gamben-Duo Les Voix humaines. Um Mélisande Corriveaux und Felix Deak zum Gambenconsort erweitert, führen sie ein Programm auf, das Auszüge aus Bachs Kunst der Fuge, eingerichtet für Diskant-, Alt-, Tenor- und Bass-Viola da gamba, mit Werken englischer, spanischer und italienischer Komponisten kontrastiert bzw. zu einer Einheit aus drei bis vier Stücken verschmilzt. Das mag konstruiert klingen, erweist sich aber als wohl durchdachte Konzeption und funktioniert erstaunlich gut! Ebenso erstaunlich, dass es den vier Musikern bei schwülsten Temperaturen im Reichssaal gelingt, intonatorische Beeinträchtigungen zu vermeiden; langwierige Stimmverfahren sind indes immer wieder notwendig. Faszinierend auch die Erfahrung, wie farbenreich ein Gambenconsort, das im England des 16. Jahrhunderts hoch im Kurs stand und im Gegensatz zu seinem Nachfolger, dem Streichquartett, heute kaum eine Rolle im Musikleben spielt, klingen kann. Dass Mélisande Corriveaux auch einmal zur Flöte greift, ist eine schöne, aber keine notwendige Klangerweiterung. Zu Henry Purcells Fantasia upon One Note in C animiert Napper dann sogar das Publikum, eben diese Note bitte während des gesamten Stückes zu singen und auszuhalten – denn in ganz Regensburg habe sie keinen fünften Musiker finden können, der diesen Part hätte übernehmen können … Das Publikum erbarmt sich, und es entsteht ein merkwürdiger Effekt, ein Grundsummen wie von einem fernen Hummelschwarm, über dem sich die Gambenmelodien virtuos entfalten können. Das macht allen Spaß; die Symmetrie des klug gebauten Programmes beeinträchtigt es jedoch. Um 16 und 20 Uhr folgen zwei weitere ‚bachlose’ Konzerte; im Nachtprogramm um 22.45 Uhr im Leeren Beutel , einem ehemaligen Getreidevorratsspeicher, kommt es dann zu einer Begegnung der besonderen Art: Die Barokksolistene aus Norwegen haben sich nämlich ganz dem musikalischen Spaß verschrieben und funktionieren die kleine Bühne zum Theater um. Auf Telemanns sehr plastisch dargebotene und mit komischen Einlagen gewürzte Burlesque de Quixotte und die (ihm wohl nur zugeschriebene) Schulmeisterkantate , bei der das Publikum den nicht vorhandenen Chor ersetzen muss, folgt die leider viel zu selten aufgeführte Kantate Iphigenia in Brooklyn des P.D.Q. Bach (1807-1742). Er war, wie Bjarte Eike, Barockviolinist und oberster Spaßmacher des Ensembles, ausführt, das „einundzwanzigste von Bachs zwanzig Kindern“. Die Kantate kündigt er als den „musikalischen Höhepunkt des Abends, vielleicht Ihres Lebens“ an. Die Besetzung erfordert einen „Sonderangebots-Kontratenor“, der Sopran-, Alt-, Tenor- und Basspartie bestreiten muss, sowie „Trompetenmundstück, dop- pelte Rohrblätter, Weinflasche, Cembalo und Streichquartett“. Der höchst amüsante musikalische Blödsinn, der sich nun entfaltet, entzieht sich der Beschreibung; man muss ihn live erleben. Noch grotesker wird es im Folgenden mit der Burleske Karneval in Venedig , in der wun- derbare italienische Renaissancemusik verarbeitet ist. Diese leitet über zum Nach-Mitternachtskonzert im Restaurant des Hauses, An Alehouse Session – Musik aus Tavernen und Wirtshäusern im England des 17. Jahrhunderts betitelt. Musik von Johann Sebastian Bach soll dabei nicht zur Aufführung gekommen sein, auch wenn dieser bekanntlich regelmäßig im Caféhaus konzertierte … Dafür ist am Pfingstmontag das dritte Konzert des Tages um 16 Uhr ganz dem großen Thomaskantor gewidmet: Die Bande Montréal Baroque unter der Leitung von Eric Milnes aus Kanada bringt Kantaten über Leben und Tod (BWV 4, 9, 18, 106, 181) zur Aufführung. Die vier Solisten, die alle eher kleinere, leichte und flexible Stimmen haben, bilden zugleich den Chor. Ob man das mag, ist letztlich eine Geschmacksfrage, aber wenn – wie im Eingangschor in BWV 9, Es ist das Heil uns kommen her – dann vom ‚Chor’, die durchsetzungsfä- hige Sopranstimme ausgenommen, nichts mehr zu hören ist, wäre es wohl doch besser, ein klein besetztes Ensemble anstatt des Solistenquartetts einzusetzen, damit die Strukturen des Chorsatzen nachvollziehbar bleiben. Den kanadischen Sängern gelingt übrigens eine bewundernswert gute deutsche Aussprache. Gerade in den Rezitativen hätte aber eine noch stärkere textliche Durchdringung die Interpretation vertiefen können. Das Orchester überzeugt durch eine sehr sprechende, detaillierte Artikulation. Ob die Alte Kapelle am Kornmarkt mit ihrem überbordenden Rokoko-Glanz die passende Umgebung für eine Aufführung Bachscher Kantaten abgibt, wäre indes zu bedenken. Zum Abschluss der 30. Tage Alter Musik wird ins Theater Regensburg gebeten: Dort gastiert La Risonanza & Coro Costanzo Porto aus Italien mit Henry Purcells Oper Dido und Aeneas . Es ist schon mehrfach angeklungen: Bei diesem kleinen, feinen Festival, das seit 30 Jahren an Pfingsten in Regensburg stattfindet, gibt es vieles zu entdecken, und das keineswegs nur für Bach-Fans. Um die Lust auf die Erkundung neuen Terrains anzuregen, seien meine beiden persönlichen Highlights (neben dem schon erwähnten Schütz-Bach-Abend mit Vox Luminis ) erwähnt: Pfingstsonntag um 20 Uhr begeisterte Le Concert Spirituel , ein 1987 von Hervé Niquet gegründetes Originalinstrumenten-ensem- ble aus Frankreich, mit einem reinen Purcell-Programm. Am Beginn stand die Ode auf den Geburtstag der Queen Mary von 1694, der lei- der schon im Jahr darauf die Musik zum Begräbnis derselben folgen musste. Die „Jubelfeier“ könnte musikalisch nicht glanzvoller und freu- diger ausgestattet sein; sie wurde zum mitreißenden Fest. In fast erschreckendem Gegensatz dazu folgte die äußerst feierlich-würdevolle Orchestereinleitung der Begräbnismusik mit langen, schaurigen Trommelwirbeln; man sah den Trauerzug gleichsam vorüberziehen. Zutiefst empfunden und erfüllt musiziert, wurde sie höchst erfüllend für den Zuhörer. Nach der Pause dann wieder eine Jubel-Ode: die Huldigung an die Heilige Cäcilia, die Schutzpatronin der Musik. Dieser absolut hinreißende Lobpreis Cäcilias war zugleich der schönste Geburtstagsgruß für das Festival zum Dreißigsten! Großer, lang anhaltender Jubel dankte allen gleichermaßen hervorragenden Ausführenden für einen unver- gleichlichen Konzertgenuss. Zu Begeisterungstürmen riss auch das Ensemble El Mundo aus den USA hin, das sich mit Los Reinos de Castilla spanische, italienische und lateinamerikanische Vokal- und Instrumentalmusik des 17. und 18. Jahrhunderts ausgewählt hatte. Bei dem südlichen Feuer, das da am Pfingstmontag um 11 Uhr in der kleinen St.-Oswald-Kirche loderte, erschienen die 35 Grad draußen am Donauufer wie ein mildes Lüftchen. Trotz der vergleichsweise frühen Stunde entfalteten zwei Soprane, ein Bass, der sich auch mit Barockgitarre und Perkussion hören ließ, zwei Geigen, ein Cello, ein Cembalo, Gitarre und Theorbe ein rauschendes Fest der Lebenslust und Musizierfreude, inklusive szenischer Einlagen, das aber auch ganz ruhige und innig-intime Momente entwickeln konnte. Für mich war El Mundo die Entdeckung dieses Festivals. Und Sie haben vielleicht Lust bekommen, Ihre ganz eigenen Entdeckungen zu machen: Die nächsten Tage Alter Musik in der überaus reizvollen Stadt Regensburg finden Pfingsten 2015 statt! Sabine Näher

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