Tage Alter Musik – Almanach 2014

Bachs Erbe Selbst inzwischen etwas in die Jahre gekommen und dem kulturellen Establishment mehr oder weniger zugehörig, nimmt die Alte-Musik- Szene in letzter Zeit verstärkt die jüngere Generation ins Visier. So beginnt man allmählich, die Nachwuchsarbeit zu vernetzen. Das Festival Retour in Nordrhein-Westfalen ist ein „Leuchtturm“ in dieser Hinsicht, ein weiterer das Jugendbarockorchester Michaelstein mit dem tref- fenden Namen Bachs Erben . Es ist daher mehr als eine wohlwollende Geste der stets experimentierfreudigen Macher der Tage Alter Musik Regensburg, ausgerechnet zum Jubiläum Bachs Erben eingeladen zu haben. Die jungen Musikerinnen und Musiker dankten es im Reichssaal mit begeisternder Spielfreude und einem durchaus beachtlichen Niveau. ZumAuftakt stellten sie zwei anonyme Orchesterwerke vor, die in der Sächsischen Landesbibliothek aufbewahrt werden. Christoph Willibald Glucks „Regensburger“ Sinfonie A-Dur war gleich- sam die Referenz an die Gastgeber. Den Abschluss bildete Bachs viertes Brandenburgisches Konzert, in dem die Solisten Jonas Zschenderlein (Violine), Laura Kießkalt und Tabea Seibert (Blockflöten) besonders aufhorchen ließen. Bachs Erben werden von Raphael Alpermann künstlerisch betreut, die Akademie für Alte Musik Berlin ist Partner des Orchesters. Diese Zusammenarbeit schlägt sich im kon- trastreichen, spritzig mitreißenden Spiel von Bachs Erben nieder. Das Publikum bedankte sich begeistert für dieses außergewöhnliche Konzert. Johann Sebastian Bachs Gesamtwerk ist geradezu unerschöpflich, selbst wenn man davon ausgehen muss, dass ein Großteil seiner Instrumentalmusik verschollen ist. Angesichts des überreichen Festivalangebots verzichtete ich daher auf den Besuch der Aufführung von sechs „neuen Brandenburgischen Konzerten“ in Arrangements von Bruce Haynes (1942–2011), zumal die Interpreten, die kanadische Bande Montréal Baroque unter der Leitung von Eric Milnes (Orgel), am Pfingstmontag ein weiteres Konzert gaben. Dieses Mal standen Kantaten von Bach in solistischer Vokalbesetzung auf dem Programm. Die jungen Sängerinnen und Sänger Odéi Bilodeau (Sopran), Elaine Lachica (Alt), Philippe Gagné (Tenor) und Drew Santini (Bass) hatten erst im März des Jahres den Bruce-Haynes-Wettbewerb gewonnen. Leider war dem Vokalquartett anzumerken, dass es kein aufeinander eingespieltes Ensemble ist: zu inhomogen die Chöre, den Stimmen fehlte es im Tutti gegenüber dem Orchester an Präsenz. Ein positives Votum für die noch immer umstrittene solistische Aufführungspraxis klingt anders! Da auch die Bande Montréal Baroque unter dem sonst zu hörenden Niveau blieb, waren Bachs „Kantaten über Leben und Tod“ – zum Beispiel das Jugendwerk „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ (Actus tragicus) – in der Alten Kapelle allenfalls Hausmannskost. Interpretationen geistlicher Barockmusik von beachtlicher Qualität gab es hingegen von Vox Luminis in der Schottenkirche. Das zwölfköp- fige belgische Vokalensemble, von Masato Suzuki (Orgel) und Ricardo Rodriguez Miranda (Viola da Gamba) begleitet, sang zunächst die „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz. Mit sehr guter Deklamation und expressiver Gestaltung folgten sie unter der Leitung von Lionel Meunier (Bass) den reichen rhetorischen Gesten dieses Schlüsselwerks protestantischer Musik, dem sie anschließend Vertonungen der gleichen Texte der Bach-Familie gegenüberstellten. Die kunstvoll gestalteten Motetten von Johann Michael, Johann Christoph und Johann Ludwig Bach ließen die mitteldeutsche Tradition erkennen, in der Johann Sebastian aufwuchs und die er auf den Zenit führte. Seine Motette „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, mein Jesu“war ebenso Teil des Konzertprogramms wie die großartige doppelchörige Komposition „Das Blut Jesu Christi“ des Cousins Johann Ludwig, mit dem das Nachtkonzert endete. Musikalischer Spaß im Doppelpack Am Sonntagabend spielten die Barokksolistene in gleich zwei Nachtkonzerten zum unterhaltsamen Höhepunkt des Festivals auf. Zunächst widmeten sich die Norweger dem „Early Joke“ in Telemanns „Burlesque de Quixotte“ und der Schulmeister-Kantate mit dem Bariton Thomas Guthrie in der Titelrolle sowie dem Publikum als Knabenchor. Es folgte die von dem US-amerikanischen Komponisten Peter Schickele „entdeckte“ Kantate „Iphigenia in Brooklyn“ von P.D.Q. Bach (1807–1742), bekanntlich der jüngste und allgemein verkannte Sohn des berühmten Thomaskantors. Guthrie gab den Sonderangebots-Countertenor (alle Stimmlagen in sich vereinend), die Instrumentalisten bearbeiteten mit Inbrunst ihre Instrumente, wobei sich Steve Player – eher bekannt als Gitarrist und Tänzer – der Weinflasche und ihres Inhalts annahm. Mit einem musikalischen Ausflug in den venezianischen Karneval endete das erste Nachtkonzert. Atemberaubend virtuos und bei aller Komik souverän stürzten sich die Barokksolistene in die italienische Barockmusik, obgleich Bratschist Per Buhre sich weder in Vivaldis Folia-Variationen noch in Uccelinis Aria sopra la Bergamasca als Teufelsgeiger präsentieren durfte, stattdessen von den Geigern Bjarte Eike und Peter Spissky in die Schranken und an seine Viola verwiesen wurde. Bei immer noch hochsommerlichen Temperaturen amüsierten sich Akteure und Zuschauer im Konzertsaal des Leeren Beutels bestens. Schön, dass man in der Alten Musik auch einmal so herzlich über sich selbst lachen kann! Im angrenzenden Restaurant setzten die Barokksolistene ihr Treiben mit englischer Wirtshausmusik fort – Augen- und Ohrenzeugen zufolge bis in den frühen Morgen... Mit Spielfreude und ebenfalls einer guten Portion Humor bot das Ensemble El Mundo aus den USA in der St.-Oswald-Kirche Barockmusik aus Spanien, Italien und Südamerika. Dieses Repertoire wandelt stets auf der imaginären Grenze zwischen Hoch- und Volkskultur und ent- wickelt so einen ganz besonderen Reiz. El Mundo, unter der Leitung von Richard Savino (Barockgitarre), interpretierte die Kompositionen von Domenico Scarlatti, Domenico Mazzochi, Händel, José de Orejón a Araricio u.v.a. stilsicher und vital. Königlicher Liebeskummer zum Finale Mit einer doppelten Aufführung der Oper „Dido & Aeneas“ von Henry Purcell gingen die 30. Tage Alter Musik am Montagabend zu Ende. Erstmals konnte das reizvolle Stadttheater aus dem 19. Jahrhundert als Spielstätte einbezogen werden – endlich ein stimmiger Rahmen für szenische Opernaufführungen im Rahmen des Regensburger Festivals! Die tragische Geschichte der karthagischen Königin Dido und ihres trojanischen Geliebten Aeneas wurde von Francesca La Cava auf einer schlichten schwarzen Bühne mit nur wenigen Requisiten ebenso anrührend wie schnörkellos inszeniert. Ein reizvoller dramaturgischer Kunstgriff war die Einbeziehung von Tänzern, die das Seelenleben der Protagonisten in expressiver Bewegung widerspiegelten. Raffaella Milanesi (Dido) und Richard Helm (Aeneas) ließen in den Titelrollen sowohl stimmlich als auch darstellerisch kaum Wünsche offen. Gleiches gilt für Stefanie True als Belinda und Iason Marmaras (Bass) als Zauberin. In den weiteren Rollen agierten Michela Antenucci (Sopran) und Anna Bessi (Alt) auf ebenfalls hohem Niveau. Mit La Risonanza unter der Leitung von Fabio Bonizzoni (Cembalo) konnte eines der führenden italienischen Barockorchester gewonnen werden. Ihm zur Seite standen der bestens disponierte Coro Costanzo Porta und die Tanzformation Gruppo E-Motion. Die Tage Alter Musik Regensburg boten wieder ein volles und vor allem vielfältiges Programm und beleuchteten das nach wie vor reiche Spektrum der sogenannten Alten Musik. Vier Tage Sonnenschein und hochsommerliche Temperaturen hatten sicherlich auch einen Anteil am Gelingen des diesjährigen Festivals, vor allem aber die ungezwungene, geradezu familiäre Atmosphäre dieser Veranstaltung. Man kennt sich und kommt immer wieder gerne zurück!

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