Tage Alter Musik – Almanach 2014

von kristina maidt-zinke E s war alles wie immer. Die Pfingst- sonne strahlte über Regensburg, undvomMorgenbis indieNacht bil- deten sich vor Kirchenportalen und vor demEingangzumehrwürdigenReichssaal große Menschentrauben, die weder als Touristengruppen noch als Junggesellen- abschieds-Horden durchgehen konnten. Mittenunter ihnenparktenÜbertragungs- wagen,angesichtsgrassierenderHiobsbot- schaften aus den Rundfunksendern schon fast wie eine bedrohte Spezies anmutend. Jeweils nach rund zwei Stunden ergoss sich dann ein Strom glücklich lächelnder oder angeregt debattierender Konzertbe- sucher auf das Trottoir und verteilte sich auf die Gastwirtschaften, von denen Re- gensburg mehr besitzt als jedes deutsche Gemeinwesen vergleichbarer Größe. Die Donaustadt hat sich, seit sie Welter- be geworden ist, in mancher Hinsicht zum Nachteilverändert,aber beiden„TagenAl- terMusik“, einemder weltweit wichtigsten Festivals für historische Aufführungspra- xis, ging wieder alles seinen gewohnten Gang. Dass es sich um den 30. Geburtstag eines ziemlich beispiellosen Erfolgsmo- dells handelte, schien niemanden aufzure- gen, amwenigsten die Erfinder, die wie eh und je mit dem Radl von Kirche zu Kirche fuhren und spätnachts mit Künstlern und Hörern gesellig beim Bier saßen. Ludwig Hartmann, im Hauptberuf Musiklehrer, undStephanSchmid,HerausgeberdesMu- sikjournals Toccata , stehen nicht gern im Mittelpunkt oder gar im Vordergrund. Sie mussten ja gerade erst vor fünf Jahren fei- ern, mit Jubiläumsschrift und allem, was dazugehört. Die einzige Neuigkeit, die sie jetzt vermeldeten, war ein Besucherre- kord: Die Konzerte waren nicht bis zum letzten, sondern bis zum allerletzten Platz ausverkauft. Und Regensburgs Kirchen sind bekanntlich recht groß. Wiebeim25-jährigenBestehendesFesti- vals mussten die beiden „Macher“, zu de- nen dieses Wort nicht recht passen will, aber auch diesmal wieder erzählen, wie al- les begann. Wie sie, die Regensburger Ex- DavonprofitiertlängsteineblühendeFesti- val-Landschaft, in der das Regensburger Modell durch etliche Alleinstellungsmerk- male auffällt. Das beginnt beim kompak- ten Zeitrahmen mit 14 Konzerten an vier Tagen, es setzt sich fort bei der internatio- nalen Mischung aus großen Namen und Neuentdeckungen, die jeweils nach stren- gen Qualitätskriterien erstellt wird, bei gleichzeitigem Mut zum Risiko. Dass die- ser Standard mit einem extrem niedrigen Etat finanziert wird, gehört zu den Wun- dern des Festivals, ebenso wie die Tatsa- che, dass weit mehr als die Hälfte davon aus Kartenerlösen (zu zivilen Preisen) stammt.Die Stadt, ein lokaler Sponsor und zwei Rundfunkanstalten übernehmen den Rest, und der Freistaat Bayern, der sich et- wa bei den Herrenchiemsee-Festspielen imhohen sechsstelligenBereich engagiert, hat – Wahnsinn! – zum Jubiläum die För- dersumme vonzehntausendauf fünfzehn- tausend Euro erhöht. EsgibtabernochmehrBudget-Zauberei- en: Beim Festival-Ablauf ist ein Heer von bestgelaunten ehrenamtlichen Helfern im Einsatz. Es fallen kaum Werbungskosten an,weilinhaltlicheundatmosphärischeAt- traktivität die Veranstaltung zum Selbst- läufer machen. Und: Die eingeladenen Gruppen, auch Stars der Szene, spielen in Regensburg zu reduzierten Honoraren, weilessoschön ist. DenfranzösischenDiri- gentenHervéNiquetundsein„ConcertSpi- rituel“,miteigenwilligelegantinterpretier- ten Purcell-Oden ein Glanzlicht des dies- jährigen Programms, habe man allerdings zwei Jahre „beknien“ müssen, verraten Hartmann und Schmid. Dass die Gruppe es nicht bereut hat, war nach dem bejubel- ten Auftritt unübersehbar. Bei der Frage nach dem Regensburger Erfolgsgeheimnis kommt man freilich im- mer wieder auf die beiden Festival-Grün- der und künstlerischen Leiter zurück, die Gelassen wird hier eine Alternative zum eventgesteuerten Kulturbetrieb praktiziert Utopisch viel Charme Wie sich die Regensburger „Tage Alter Musik“ als internationaler Szenetreff behaupten Domspatzen,damalsnochimTriomitLud- wigHartmannsBruderChristof,imOrwell- Jahr 1984 die „Tage Alter Musik Regens- burg“ aus der Taufe hoben, ohne Geld und Infrastruktur, beflügelt von Eindrücken aus Utrecht und Brügge und von einem flammendenInteresse für das,wasdiehis- torisch informierte Aufführungspraxis, wie sie heute heißt, in der internationalen Musikszene bewegte und veränderte. Sie hatten erkannt, dass der Reichtum ihrer Heimatstadt ankunsthistorisch spektaku- lären und akustisch ergiebigen Auffüh- rungsorten, verbunden durch kurze Wege vor schöner Kulisse, nach einem Festival geradezu verlangte. Es dauerte noch eine Weile, bis lokale Widerstände überwun- den, alle Räume zugänglich waren und der viertägige Pfingst-Termin feststand. Aber es sprach sich bei führenden und aufstre- benden Alte-Musik-Ensembles in aller Welt rasch herum, dass hier, imOstenBay- erns, nicht nur ein inspirierendes Ambien- te, sondern auch eine penible Organisation undeinPublikumvonKennernundEnthu- siasten den Auftritt zur Lust machen. Liestman heute die Pressestimmen zum ersten Festivalprogramm, das bereits ruhmreiche Formationen wie „Musica An- tiqua Köln“ und „Sequentia“ verzeichnete, amüsiert die gönnerhafte Skepsis, mit der manche Medien das Unternehmen beglei- teten: War etwa imBayerischen Rundfunk die Rede von Ensembles, die „immer noch“ auf der Erfolgswelle der AltenMusik „ritten“, verkündete eine Lokalzeitung, dass das Thema gerade so „in“ sei „wie der Rokoko-Sekretär imWohnzimmerdesvor- nehmen Bürgers“. Heute wissen wir, dass die aufführungs- praktische Neuorientierung, die von den Spezialisten für Alte Musik ausging, keine Modeerscheinung war, sondern den ge- samten Musikbetrieb umgekrempelt hat. um Himmels willen keine „Intendanten“ sein wollen (Hartmann: „Das Wort hasse ich!“) undsehrgenauwissen,dassohne die Kombination von „Know-how, Begeiste- rung und Selbstausbeutung“, die jeder von ihnen einbringt, Derartiges nicht möglich wäre. Auch der seit 1999 amtierende Ge- schäftsführer Paul Holzgartner, der die ge- samte Organisation stemmt, kann davon ein Lied singen. Und es schleicht sich der Verdacht ein, dass hier ganz gelassen eine Alternative zum herrschenden, eventge- steuerten und kommerzgelenkten Kultur- betrieb praktiziert wird. „Teamarbeit statt Hierarchie, keine großen Sachkontrover- sen, keine persönlichen Eitelkeiten“ lautet das Rezept der Beteiligten. Und, als sei es dasEinfachsteaufderWelt:„Keinefinanzi- ellen Interessen. Wir haben ja unsere Ar- beit, von der wir leben können.“ Das klingt wie eine verwirklichte Utopie. Damit verwandt ist der Idealismus, der den immer besser ausgebildetenMusiker- nachwuchs vielfach dazu treibt, nicht mehrdieSicherheiteinerAnstellung zusu- chen, sondern sich in der freien Szene der Alten Musik zu profilieren – unter ökono- misch harten Bedingungen, aber mit künstlerischem Gewinn. Die „Tage Alter Musik“ sind seit jeher ein Gradmesser für die selbsterneuernde Kraft und Lebendig- keitaufdiesemSektor,diesichinNeugrün- dungen, in der Verjüngung traditionsrei- cher Ensembles und in der nie nachlassen- den Attacke auf Hörgewohnheiten mani- festiert. Die ergreifendsten Beispiele aus diesem Jahrgang: Bachs h-Moll-Messemit demPrager„Collegium1704“,die„Musika- lischen Exequien“ von Schütz und Motet- ten der Bach-Familie mit der belgischen Vokalgruppe „Vox Luminis“. Der diskussi- onswürdigste Beitrag waren die von Bruce Haynes aus Bachkantaten arrangierten „neuen Brandenburgischen Konzerte“, der lustigste das umwerfende Musikhumor- Programmdernorwegischen„Barokksolis- tene“. Und im nächsten Jahr wird beim „einzigen deutschen Musikfestival ohne Besuchertoiletten“(eineHörerstimme)hof- fentlich alles so sein wie immer. Der extrem niedrige Etat gehört zu den Wundern des Festivals

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