Tage Alter Musik – Almanach 2014

sie tonlich oft auseinander, kämpften mit der Into- nation. Abgesehen davon konnte man sich bei die- sem Ensemble jedoch an einer sehr durchsichtigen, klaren Spielweise freuen, ebenso wie an einem her- vorragenden Continuo, das potentieller Langeweile in den - zahlreichen - Secco-Rezitativen durch de- zent kommentierendes und lebhaft vorantreibendes Spiel vorbeugte, ausgezeichnet zusammen und sehr sauber agierte. Stephan Schultz gelang es, alle Be- teiligten vom Cello aus auch bei Übergängen und Tempowechseln gut zusammenzuhalten. Er neigte dabei eher zu gemächlicheren als zu übertriebenen Tempi und sorgte so für eine insgesamt vielleicht nicht wirklich aufrüttelnde, aber doch sehr souverä- ne und kurzweilige Premiere. Anne Metz Ratisbona lucet – Die 30. TAGE AL- TER MUSIK Regensburg 3 0 Jahre. So lange dauerte vor 400 Jahren der Krieg, der für die Kunst eine der drei größten Ka- tastrophen Europas darstellt. In heutiger Zeit ist uns in den letzten dreißig Jahren die „Generation Y“ nachgewachsen, die alles in Frage stellt (Generation Why). Und, unter vielem anderen, finden seit 1984 im jährlichen Rhythmus die TAGE ALTER MUSIK in Regensburgs Kirchen und Sälen statt. Für die über 1800 Jahre alte Donau- und Domstadt, die Jahrhun- derte lang als Sitz des Immerwährenden Reichsta- ges europäische Dimension und Rang inne hatte, sind dreißig Jahre wie ein Wimpernschlag. Für uns ist fast ein halbes Leben, auf jeden Fall eine Genera- tion lang. Statistik macht sich immer gut und sagt doch so wenig aus. In den dreißig Jahren seit dem allerer- sten Konzert gab es in Regensburg 57 Europapre- mieren und 46 Deutschlandpremieren von Alte-Mu- sik-Ensembles. Die TAGE ALTER MUSIK Regensburg hatten schon immer den Finger am Puls der Zeit, waren zuweilen gar Trendsetter, brachten Revolu- tionäres und Revolutionäre auf ihrem Gebiet. Doch das wahre Geheimnis dieses Festivals ist die Steigerungsfähigkeit der Gruppen. Sie waren bereits mit ihren Einspielungen aufgefallen, hatten das In- teresse der Veranstalter geweckt, ragten irgendwie aus der Masse an Publikationen heraus. Und dann treten sie live an und meistens kommt das noch viel besser als das bereits Gehörte. Es muss die Symbio- se aus dem Flair der Stadt und des Festivals, des ganz speziellen Publikums (man reist inzwischen bis von Australien oder dem hohen Norden an), des hi- storischen Ambientes der Konzertorte und der her- vorragenden Konkurrenz am Ort (alle Künstler kön- nen kostenlos alle Konzerte besuchen) sein. Ganz ergründen lässt sich das Phänomen „TAM“ jedoch nicht. Fest steht jedoch, dass Regensburg ein Leuchtturm am Gestade der Alten Musik und historischen Auf- führungspraxis ist. Joshua Rifkins solistische Auf- führungspraxis bei Bach wurde hier erstmals in Eu- ropa vorgestellt; 1988 war das. Inzwischen so re- nommierte Gruppen wie Il Giardino Armonico (1989), Anonymous 4 (1990), La Reverdie (1992), Sonatori de la Gioiosa Marca (1994), Il Fondamento (1999), Ensemble Elyma (1999), Theatre of Voices (2000), Pratum Integrum (2006), Café Zimmermann (2007), Graindelavoix (2010) oder Syntagma (2013) – um nur einige zu nennen – hörte man in Regens- burg zum ersten Mal in Deutschland. Die Ensembles, die Ideen, die Interpretationsansätze, die Lebendig- keit, die totale Hingabe, welche man hier ständig spürt, das sind die Komponenten des speziellen Lampenöls für das Lumen Ratisbonensis. Dieses Leuchten ist international und polyglott. Eine dieser Stimmen und Sprachen spricht Vox Luminis. Sie bestritten mit einem a cappella Programm und Werken von Heinrich Schütz (aus den Musikalischen Exequien) und der Familie Bachs das zweite der drei Nachtkonzerte, spielten mit der Akustik und dem Auditorium, überraschten mit Echochor und zele- brierten ein Musikfest, welches ich schlicht und er- greifend als „Klangsensation“ bezeichnen möchte. Auch die Zugabe, das „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ von Johann Michael Bach (1648-1694), das Stück gehört zum Standardrepertoire der Regens- burger Domspatzen, geriet zu Tränen rührend schön! Noch einige Zeit danach schwangen diese Klänge in mir und hielten mich trotz der frühen Morgenstunden wach. Es war ein kompaktes Festival auf höchstem Niveau, es gab kaum Brüche und überhaupt keine Enttäu- schungen. Wer hier klagt, der klagt auf ultrahohem Niveau! Und es war eine Geburtsstunde, eine Gene- sis. Der Generationenwechsel zeichnete sich über- deutlich ab. Vox Luminis ist eine dieser erstklassigen Jungen Wilden; Bachs Erben aus Michaelstein, das einzige Alte-Musik-Jugendorchester Deutschlands, gehören hier ebenfalls erwähnt. 2006 gründete man diese Bewegung, in Vorspielen können sich Interes- sierte ab 14 Jahren bewerben. Die Patenschaft hat die AKAMUS, künstlerischer Leiter ist der Cembalist Raphael Alpermann und das hört und spürt man: Da klingt viel Akademie für Alte Musik Berlin mit. Und doch ist der Klang dieses jungen Orchesters solitär und verfügt mit dem Konzertmeister Jonas Zschen- derlein über einen exquisiten Violinisten, der wohl vergeblich auszog, das Fürchten zu lernen. Er scheut nichts und muss auch nichts scheuen. Das ist erst- klassig, genauso wie die gesamte Orchesterleistung bei den diversen Stücken: Zwei Erstaufführungen anonymer Komponisten (wobei beim zweiten Werk für mich überdeutlich Vivaldis Einfluss oder sogar des Meisters eigene Hand zu vernehmen war), sowie der „Regensburger Sinfonie“ von Gluck und Bachs Brandenburgischem Konzert Nr.4. Flöten, Hörner, Streicher – allesamt boten sie eine hervorragende Leistung, welche den Vergleich mit den Großen oder Etablierten überhaupt nicht zu scheuen braucht. Bach war neben Purcell der dominante Komponist der diesjährigen TAGE ALTER MUSIK. Das Eröff- nungskonzert bestritten das Collegium Vocale 1704 & Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks mit einem Klassiker, der h-moll Messe Bachs. Václav Luks begann das Kyrie eher in gewohnter Manier und lullte die Zuhörer geschickt ein. Ab der Wieder- holung des Kyrie, spätestens aber ab dem Gloria gab er Gas und Zunder. Und dann ging die Post ab, die Tempi explodierten schier. Das war schlank, elegant, transparent gestaltet. Das „Benedictus“ wahrer See- lenbalsam, wunderschön vorgetragen von Václav Č ižek (Tenor). Und die anderen Solisten Hana Blaži- ková (Sopran), Kamila Mazalová (Alt) und Tobias Berndt (Bass) gestalteten ihre Parts ebenfalls erst- klassig. Den Vogel aber schoss natürlich der Chor ab, 18 Mann stark, in den Koloraturen exakt, so volu- minös und prächtig im fortissimo wie wunderbar stimmig im sotto voce. Das Osanna geriet tänze- risch, das Sanctus hatte Swing – chorisch war das ein Superlativ und erntete zu Recht stürmischen Applaus. Voces8 bestritt das anschließende Nachtkonzert. Nach dem voran gegangenen Bach-Erlebnis war das natürlich ein hartes Stück Arbeit für die zwei Sän- gerinnen und sechs Sänger aus Großbritannien. Sie brachten geistliche Vokalmusik der Renaissance mit,

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