Tage Alter Musik – Almanach 2014

welche sie großteils auswendig vortrugen. Der Vor- trag war so delikat (die Timbres der Soprane und Countertenöre verwirrend identisch) und strahlend wie lebendig und professionell. Und schnell war klar, dass man 2014 nicht nur einfach Überraschungen erleben würde, sondern dass sich hier Spitzenlei- stung an Spitzenleistung reihen würde. Zur Fraktion der Jungen zählt auch Instrumenta Mu- sica unter der Leitung von Ercole Nisini. Das fünf- köpfige Ensemble konzertierte im Reichssaal des Al- ten Rathauses Renaissancewerke um den legendären Posaunisten Erhardus Borussius, verfertigt von Kom- ponisten wie Selma y Salaverde, Schein, Scheidt, Schütz oder Ortiz. Die technisch zumeist schwierigen Stücke meisterte die Gruppe souverän und spieltech- nisch erstklassig. Und im Schlussstück des Konzerts, „Courente, Allemande & Tripla“ von Schein, glaubte ich gar etwas Buena Vista Social Club zu hören. Spricht man vom Generationenwechsel, so muss auf jeden Fall die Flötistin und Cembalistin Corina Marti aus der Schweiz genannt werden. Wenn es wirkliche und noch zu entdeckende Perlen in diesem runden und ausgetüftelten Konzertprogramm der TAGE AL- TER MUSIK gibt, dann sind es die reinen Solistenkon- zerte, jeweils am Pfingstmontagnachmittag. Corina Marti lud in die kleine Deutschordenskirche am Ägi- dienplatz und spielte auf Mittelalterflöten und dem Clavisimbalum Werke des Trecento der obligaten Anonymi, aber auch von Guillaume de Machaut oder Gherardello da Firenze. Das sehr anspruchsvolle und perfekt umgesetzte Programm verlangte den Kenner und Spezialisten. Und deren viele saßen im Fachpu- blikum und goutierten die erstklassig und von der Künstlerin konzentriert, mit Hingabe und großem Ernst interpretierten Stücke mit lange anhaltendem Applaus. Überraschend war der Einsatz einer Dop- pelflöte, wie sie heute nur noch in der sardischen Launedda vorliegt (jedoch ohne deren Bordun) und im Konzert praktisch nie erklingt. Das war nicht nur hochinteressant, sondern so schwierig wie gut aus- geführt. Zu den Jungen zählt natürlich auch The Harmonious Society of Tickle-Fiddle Gentlemen, welche am Pfingstsonntagnachmittag Musik von Pepusch Pur- cell und anderen in der Oswaldkirche vortrug. Der al- tersmäßige Kontrast waren die Gruppen El Mundo und Concerto Palatino. Erste spielten ebenfalls in der Oswaldkirche Stücke von Scarlatti, Händel, de Mur- cia, de Salazar, Falconieri u.a.; letztere brachten in der Dominikanerkirche am Samstagabend ein Fest- konzert aus der venezianischen Chiesa di Redentore mit Werke von Andrea und Giovanni Gabrieli, sowie von Giovanni Battista Grillo. Beide Konzerte waren schon nach wenigen Wochen komplett ausverkauft und den Erwartungen der Hörer wurde hier jeweils voll und ganz entsprochen. Die kanadische Bande Montréal Baroque trat unter Eric Milnes zweimal vors Publikum, am Samstag- und Pfingstmontagnachmittag. Bach stand jeweils auf deren Programm, samstags „sechs neue Bran- denburgische Konzerte Nr. 7-12“ (aus Kantatenwer- ken exzerpiert von Bruce Haynes (1942-2011)) und die Kantaten BWV 4, 9, 18, 106 und 181. Wie immer überzeugten in beiden Konzerten die Tempowahl und die Balance im solistisch besetzten Orchester, die Struktur der Kantaten war dadurch gut herauszi- seliert. Bei den nachempfundenen „neuen Branden- burgischen“ war dies noch deutlicher zu hören. Die beschwingten und musikantisch interpretierten Stücke lebten vom Können der diversen Solisten. Eine Spitzenleistung bot das vierköpfige Ensemble Les Voix humaines Consort of Viols um die Gambistin Susie Napper In der Sonntagsmatinee. Die vier gut aufeinander eingespielten Musikerinnen werden auch bei Bande Montréal Baroque als Mitglieder aufgeführt. Sie stellten Originale und Bearbeitungen für Violenconsort von Bach, Purcell Ortiz und ande- ren vor. Beeindruckend geriet u.a. Susie Nappers Ar- rangement „La Primavera“ aus Vivaldis Quattro Sta- gioni. Aber auch die anderen Werke wurden restlos hochvirtuos, logisch und transparent, zwischen innig und spritzig oszillierend gespielt. „Celebrate this Festival“ lautete die Parole der 30. TAGE ALTER MUSIK Regensburg. Und ebenso war das zentrale Konzert am Sonntagabend in der Dreieinig- keitskirche überschrieben. Le Concert Spirituel unter der Leitung von Hervé Niquet brachte Purcell: Birth- day Ode for Queen Mary”, “Music for the Funeral of Queen Mary”, “Ode for St. Cecilia’s Day”. Das sind prächtige, monumentale Vorlagen des Orpheus Bri- tannicus, beinahe schon Selbstläufer. Aber was Her- vé Niquet mit wenigen Handbewegungen aus sei- nem Orchester und den Vokalisten herauskitzelte, war einfach überwältigend. Es wurde spannend, festlich, flüssig musiziert; man war den Tränen nahe ob der Schönheit des Vortrags (Man that is born of a woman aus dem Funeral of Queen Mary). Und die Ode for Cecilia’s Day nach der Pause war Pracht pur. La Risonanza & Coro Costanzo Porta entführten zum Abschluss der. 30. TAGE ALTER MUSIK Regensburg gleich zweimal nach Karthago und zu Königin Dido und ihrem Trojanischen Geliebten Aeneas. Denn Henry Purcells Oper Dido & Aeneas erklang gleich zweimal und unmittelbar hintereinander im Regens- burger Stadttheater, beide Vorstellung wie auch alle anderen Konzerte restlos ausverkauft. Als „Vorpro- gramm“ spielte man Lockes Music for „The Tempest“; dann bezauberten Raffaella Milanesi (Dido), Richard Helm (Aeneas), Stefanie True (Belinda) sowie Miche- la Antenucci, Anna Bessi und Iason Marmaras nebst dem o.g. Chor und dem Orchester das Publikum – vor allem aber auch die Tänzer Anna Basti, Mariella Ce- lia, Maurizio Formiconi und Francesca La Cava (als Alter Ego der Hauptprotagonisten) – mit ihrem erst- klassigen Vortrag. Zweifelsohne der Höhepunkt in jedweder Hinsicht aber waren die beiden Konzerte der Barokksolistene aus Norwegen. Endlich, und nach 30 Jahren längst überfällig, pflegte man auch in Regensburg die Fest- ivaltradition des großen Tubisten Gerard Hoffnung (1925-1959) weiter. Sensationell war hier die Auf- führung der lange verschollenen „Iphigenia“. Ent- deckt wurde dieses überraschend komplexe und höchst anspruchsvolle Werk durch Peter Schickele (geb. 1935), dessen Lebenswerk die Biographie und das Werksverzeichnis des 21. Sohnes von Johann Se- bastian Bach – P.D.Q. Bach (1807-1742) – ist und der das SchV (Schickeleverzeichnis) herausgibt. Hier fin- det sich unter der Nummer 53162 die „Kantate G- Dur für Sonderangebots-Kontratenor, Trompeten- mundstück, doppelte Rohrblätter, Weinflasche, Cem- balo und Streichquartett Iphigenia in Brooklyn“. Der Bariton Thomas Guthrie, der bereits Telemanns „Der Schulmeister“ vorzüglich vorgetragen hatte, wuchs hier über sich selbst hinaus und verblüffte das stau- nende Auditorium mit seiner gehalt- und qualität- vollen Interpretation, bei der er sich wirklich kom- plett einbrachte. Aber auch die anderen neun Herren von Barokksolistene unter dem Dirigat des Konzert- meisters Bjarte Eike, der auch fundiert und spannend durch das anspruchsvolle Programm führte (man hatte Telemanns Burlesque de Quixotte bereits hochmusikantisch gespielt), überzeugten vollkom- men. Hier muss der zweite Teil des Nachtkonzerts explizit genannt werden, welcher unter „An Alehou- se Session“ ins gegenüber liegende Restaurant Lee- rer Beutel und in die Welt der Tavernen und Wirts- häuser im England des 17. Jahrhundert führte. Frisch gestärkt durch kühles Ale spielte man gewitzt und absolut überzeugend vor einem fachkundigen Publi- kum, das ob der Darbietungen (Musik und Malzge- bräu) dann trunken vor Glück in die Nacht enteilte – etwas vorschnell: Barokksolistene kehrten noch ein- mal um und weihten sich erneut dem Genius loci. Unter uns und im Ernst gesagt: Hier wurde fanta- stisch gut und hochmusikantisch gespielt und agiert (Thomas Guthrie, Steven Player), das hatte schließ- lich Groove und ging in die Beine, nahm durchaus ja- zzige Züge an und – tja, machte einfach nur Spaß. Ich habe schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht und definitiv noch nie in einem Konzert! Fazit: Die Veranstalter fanden wieder einmal mehr ein stimmiges Programm auf höchstem Niveau, das nicht nur dem runden Geburtstag des Alte-Musik- Festivals mehr als gerecht wurde, sondern natürlich und wieder einmal mehr den Keim des Neuen barg – die Genesis. Der Generationenwechsel in der Alten Musik, der sich bereits seit zwei, drei Jahren leicht abzeichnete, ist nun eingetreten. Und Regensburg leuchtete erneut! Robert Strobl Stuttgart Barock, 8.-11.5.2014 S tuttgart Barock: Dieses Festival ist nach wie vor so etwas wie ein Geheimtipp. Die Stadt Stuttgart selbst gilt traditionellerweise ja Vox Luminis, Ltg.: Lionel Meunier

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