Tage Alter Musik – Almanach 2014

mit Darmsaiten, die es ja bei Geigen-Instrumenten gerade in historisch informierter Barockmusik-Interpretation auch gibt, sondern auch an der geringeren Saitenspannung. Dadurch ist der Ton weniger strahlend und kraftvoll, er flüstert mehr. Und es liegt daran, dass eine Gambe Bünde hat wie eine Laute oder Gitarre und dass die Saiten daher freier und etwas länger ausschwingen: Insgesamt also ist das eine ganz ande- re Ästhetik. Und gerade bei einem Festival wie den Tagen Alter Musik kann man die ästhetischen Eigenheiten älterer Musik besonders einge- hend und in besonders inspirierender Atmosphäre studieren – oder einfach: auf sich wirken lassen. „Die Homogenen“ heißt das Motto dieser Sendung. In dem Stück von Bassist Robert Landfermann und seiner Band, das Sie vor „Dido’s Lament“ hörten, hörten Sie nicht nur Bässe, sondern auch Tenorsaxophon, Klarinette, Cello, Gitarre, Schlagzeug und eine Gesangsstimme. Aber ich finde, das Ganze fügt sich zu einer musikalischen Homogenität, die besonders bewundernswert ist. Auf einer anderen CD, die ein- fach nur „Basz“ heißt, geschrieben mit „sz“ statt scharfem oder doppeltem S, hat Robert Landfermann, einer der versiertesten und meistbe- schäftigten deutschen Musiker auf dem Jazzkontrabass, das Konzept mehrerer gleichartiger Instrumente ganz streng durchgezogen. Diese CD hebe ich mir für eine andere Sendung auf. Heute hier jetzt ein klanglich sehr homogenes Duo – nämlich zwei Pianisten, die auch noch vom Musikgeschmack her sehr auf einer Wellenlänge liegen. Sie spielen hier einen Jazzklassiker namens „Song of India“, der jedoch auf ein Thema von Nikolaj Rimski-Korsakow zurückgeht. Die beiden Pianisten sind Bernd Lhotzky und Dick Hyman. Musik: Lhotzky/Hyman: Song of India Jack DeJohnette: Central park west Das war ein Lieblingsstück von mir. Die Aufnahme stammt von 1979 aus New York. Die Band war: Jack DeJohnette’s Special Edition, und das Stück war eine berühmte Komposition des Saxophonisten John Coltrane, dem DeJohnette und seine Bandmitglieder hier huldigten. DeJohnette ist hauptsächlich Schlagzeuger – aber er spielt auch ausgezeichnet Klavier, und hier war er auf einer Melodica zu hören. Die mischte sich hier besonders schön mit dem Altsaxophon von Arthur Blythe, dem Tenorsaxophon von David Murray und dem gestrichenen Bass von Peter Warren: wundervoll homogene Jazzklänge. Getragene Stimmungen sind etwas, in dem man sich herrlich verlieren kann. Hier aber wieder ein bisschen Tempokontrast. Diesmal mit Musik aus Brasilien – gespielt von einem Brüderduo, das eines der besten Gitarrenduos der Welt ist: und zwar Sergio und Odair Assad. Diese beiden Musiker, die seit Jahrzehnten zusammen auftreten – denn sie bildeten schon ein Duo, als sie noch sehr jung waren - spielen Gitarrenduette in einer Leichtigkeit, die mich immer wieder verblüfft. Ich habe schon einige andere sehr respektable Gitarrenduos mit Stücken wie dem nun folgenden gehört. Aber ich komme doch immer wieder auf die Assad-Brüder zurück. Sie spielen hier ein Stück eines brasiliani- schen Komponisten, der von 1906 bis 1988 lebte: Radames Gnattali. Das Stück ist einer musikalischen Vorfahrin von ihm gewidmet, einer berühmten Komponistin sogenannter Choros, brasilianischer Tanzstücke mit melancholisch angehauchten Melodien. „Chiquinha Gonzaga“ heißt das Stück wie die mit ihm porträtierte Komponistin. Danach Chormusik eines britischen Komponisten der Shakespeare-Zeit. Musik: Duo Assad: Chiquinha Gonzaga Voces8: Agnus Dei aus der Messe für vier Stimmen von W. Byrd Das war das Agnus Dei aus der Messe für vier Stimmen des englischen Komponisten William Byrd. Gesungen von Voces8, jenem Vokal- Ensemble, das Sie in dieser Sendung auch schon mit einem Stück der Popgruppe „The Beach Boys“ und mit dem Evergreeen „Dream a litt- le dream of me“ hörten. Hier also die musikalischen Wurzeln dieses Ensembles aus der englischen Chormusik-Szene. Mit Klängen wie diesen war dieses Oktett vor wenigen Monaten auch bei den Tagen Alter Musik in Regensburg zu erleben. Ein Festival, das den Hörern besonders innige Erlebnisse mit Musik verschaffen kann – weil es einige sehr gute Voraussetzungen mitbringt. Die wunder- baren Orte, auf die Veranstalter in Regensburg zurückgreifen können, habe ich erwähnt. Aber man muss auch wissen, was an welchen Ort passt und was nicht. Und die beiden Programmgestalter der Tage Alter Musik, Ludwig Hartmann und Stephan Schmid, einst Absolventen des Musikgymnasiums der Regensburger Domspatzen, haben ein sehr gutes Gespür dafür – denn sie kennen sowohl die Orte wie auch die Töne ausgesprochen gut. Das merkt man sehr – und von der Erfahrung und der offenbar nie versiegenden Neugier dieser beiden Kenner im aller- besten Sinn profitieren jedes Jahr das Publikum und die Musik. Eines empfehle ich jedes Jahr in dieser Sendung wieder, aber man kann es nicht oft genug sagen: Sichern Sie sich rechtzeitig Karten. Pfingsten 2015 ist schneller da, als Sie denken, und dieses Festival ist jedes Mal sehr schnell ausgebucht. Hier noch einmal homogene Gambenklänge mit „Les voix humaines“. Henry Purcells Fantasia XI in G-Dur. Musik: Les voix humaines: H. Purcell: Fantasia XI “Les voix humaines” mit einer Fantasia von Henry Purcell. „Die Homogenen“ lautet mein Motto in dieser Sendung, die bereits wieder der letzten Musik zustrebt. Und Sie konnten feststellen: homogene Klänge gibt es in höchst unterschiedlicher Art und Bauweise. Es kann das Ineinander-Verschmelzen von Gesangs- oder Instrumentenstimmen sein, die sich einfach sehr gut mischen. Es kann eine scharfkantige Besetzung aus lauter modernen Jazzposaunisten sein – wie im Falle des Vertigo-Posaunen-Quartetts um den herausragenden deutschen Jazzmusiker Nils Wogram. Es kann aber auch eine Besetzung aus ganz unterschiedlichen Instrumenten sein, die klanglich besonders schön ineinander greifen, wie im Falle der Aufnahme einer gemischten Gruppe rund um den Bassisten Robert Landfermann. Und es kann – wie im nachher folgenden Fall einer großen klassischen Aufnahme des Jazz – ein Zusammentreffen von Solisten desselben Instrumenten-Typus sein, die relativ unterschiedlich spielen und doch ausgezeichnet zusammenklingen. Gemeint sind hier die beiden swingenden Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins und Ben Webster. Ersterer ein Improvisator mit ganz viel Kraft und Volumen im Ton, letzterer ein Meister der eleganten weichen Kontur. 1957 in Hollywood spielten sie unter anderem eine Melodie mit dem Titel „La Rosita“. Bevor Sie in dieser Melodie dahin- schmelzen können, hier noch einmal der schöne Gesang von Voces 8 mit einem Lied von Stephen Sondheim: „Losing my mind“. Das scheint mir genau die richtige Losung für das Stück, das Coleman Hawkins und Ben Webster danach spielen. Ich verabschiede mich hier schon mal für heute. Auf Wiederhören beim nächsten Mal, Ihr Roland Spiegel. Musik: Voces 8: Losing my mind Coleman Hawkins/Ben Webster: La Rosita

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