Tage Alter Musik – Almanach 2015

26 sie das aus dem Oxforder Umfeld stammende Vokalensemble The Marian Consort mit dem Gambenensemble Rose Consort of Viols dorthin, Musik von bekannten Größen wie Thomas Tallis und William Byrd und von weniger bekannten Namen wie Robert White, Robert Parsons oder Nicholas Strogers. In dieser Zeit, dem 16. und dem frühen 17. Jahrhundert, war das künstlerische Allgemeinniveau doch deutlich höher als rund 120 Jahre später – aber es ging eben auch nicht um Musik zur guten Unterhaltung. Hier wurden geistliche und geistige Themen verhandelt, Themen um Leben und Tod und um den Sinn des Lebens. Die zwei Sängerinnen und fünf Sänger des Marian Consort statteten die Kompositionen mit edelster Gesangskunst und höchstem Wohlklang aus. So schön hat man die Vokalpolyphonie der Renaissance nur selten gehört in der Dominikanerkirche. Das ist die höchste Schule der Gesangskultur an englischen Kirchen und Colleges. Man sei eben mit der Musik und dem Singen aufgewachsen, sagte Rory McCleery, der Leiter des Consorts, in einem Gespräch. Das Singen sei das natürlichste der Welt. Da liegt es nahe, daraus auch eine der schönsten Sachen der Welt zu machen. Sonntag, 24. Mai Der Festivaltag beginnt im Reichssaal, jenem um 1360 erbauten Prachtraum, in dem bis 1806 Reichstage abgehalten wurden. Heute ist der Besuch nur geführten Gruppen möglich. Oder eben den Besuchern der Tage Alter Musik. Der Reichssaal ist für die TAM der Ort erlesener Kammermusik, und auch dieser Termin sollte ein solcher werden. Das Ensemble Stravaganza aus Frankreich präsentierte Kammermusik für Violine und Bassinstrumente vom Habsburger Hof des 17. Jahrhunderts – Kompositionen von Heinrich Schmelzer, Ignaz Franz Biber und Giovanni Antonio Pandolfi Mealli. Musik, die für die Geigerin Domitille Gillon höchste Herausforderungen stellte. Was hier an Doppelgriffen, Trillern, Akkorden und versteckter Zweistimmigkeit gefordert wird, das lässt die Einfälle eine Paganini oder Ysaye als gemütlichen Zeitvertreib erscheinen – und als relativ inhaltslosen obendrein. Es war eben nicht nur ein Zeitalter der Kunstfertigkeit, sondern vor allem eines der Geistigkeit. Man wundert sich nicht, dass die so genannten Stargeiger und Stargeigerinnen unserer Zeit die Finger von diesem Repertoire lassen. Mit der Ausnahme von Isabelle Faust und Frank Peter Zimmermann wären sie weder technisch noch intellektuell in der Lage, diesen Höhenflügen geigerischer Ausdruckskraft derart gerecht zu werden, wie es die Musiker des Ensemble Stravaganza hier vorführten. Der weitere Verlauf des Sonntags war dann einem Großprojekt gewidmet, mit dem der amerikanische Forscher und Musiker Joshua Rifkin derzeit auf Tournee ist: der Aufführung von Claudio Monteverdis geistlichen Kompositionen aus dem Jahr 1610. Dies sind nicht viele – eine Messe und das Material, das heute als „Marienvesper“ aufgeführt wird. Aber insgesamt hat Monteverdi in seiner gesamten Laufbahn wenige geistliche Kompositionen verfasst, und die „Marienvesper“ ist die einzig wirklich bekannte geblieben. Rifkin führte sie mit einem Ensemble von Gesangssolisten und dem Bläserensemble Concerto Palatino in drei Konzerten auf – das letzte war als Nachtkonzert in der Dominikanerkirche den Psalmvertonungen der „Marienvesper“ gewidmet. Wie von Rifkin bekannt, machte er sich auch hierfür ungewöhnliche Gedanken. Zunächst gibt es natürlich die radikale Beschränkung auf nur einen Musiker pro Stimme – gleich, ob Instrumental oder Vokal. Dann trennte er das als „Marienvesper“ bekannte Werk in die „Sacri Concentus“, jene ariosen Teile, von denen man annimmt, dass Monteverdi sie als Antiphonen zu den Psalmen der Vesper eingesetzt hat – „Nigra sum“, „Pulchra es“, „Duo Seraphim“, „Sonata sopra Sancta Maria“ und „Audi Coelum“ - und eben die Psalmvertonungen und setzte dem allen ein Konzert mit der „Missa da cappella a sei voci“ voran. Mit Monteverdi in der Dominikanerkriche durch den Tag – what a treat, würde man in Rifkins Heimat sagen.

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