Tage Alter Musik – Almanach 2015

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Eine Reihe von kirchenmusikalischen Frühwerken sowie die etwas später entstandene Missa solemnis in C-Dur des jungen Wolfgang Amadeus Mozart standen im Fokus der Darbietung der Regens- burger Domspatzen und des österrei- chischen L’Orfeo Barockorchesters un- ter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner – durchweg Musik, die die kompositorische Souveränität und Reife des Ausnahmetalents schon im Jugendalter eindrucksvoll belegt. Wenngleich sich vieles noch im Stil des späten 18. Jahrhunderts bewegt, zeugen der typische intelligente Ein- satz der Holz- und Blechbläser sowie die reichhaltige Soli-Gestaltung von der frühen Entwicklung der einzigarti- gen Begabung. Dies sollte der eine Reiz des Abends sein. Der andere war die hohe Aufführungsqualität, mit der den einzelnen Werken begegnet wur- de. Die Domspatzen erwiesen sich ein- mal mehr als ideale Besetzung solcher Musik. Büchner hat in den über zwei Jahrzehnten seines Wirkens das musi- kalische Profil des ewig jungen Klang- körpers behutsam um eine zupacken- de und kraftvolle Sangesweise erwei- tert. So agierten die Knaben über die gesamte Dauer frisch, präzise und mit Power – ohne zu lärmen oder dyna- misch grob zu wirken. Daran schmieg- te sich ein hochsensibler Orchesterap- parat, der durch alle Stimmgruppen mit dem edlen und schlanken Klang der Originalinstrumente vollends überzeugte. Absolut herausragend: die junge So- pranistin Yeree Suh. Gepaart mit ei- nem überaus sympathischen und ge- winnenden Auftritt zeigte sie vor al- lem in der berühmten Motette „Exsul- tate, jubilate!“ für Sopran und Orches- ter eine technisch und interpretato- risch hochklassige Performance, die den enormen Schwierigkeitsgrad ihrer Partie fast vergessen ließ. Makellos in der Stimmführung und Dynamik be- geisterte sie das Publikum und ver- edelte diesen würdigen Auftakt. Zupackender Gesang ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON ANDREAS MEIXNER, MZ AUFTAKT Würdige Eröffnung mit den Domspatzen und L’Orfeo Barockorchester REGENSBURG. Rachel Podger steht in der in goldenem Licht leuchtenden Al- ten Kapelle am Alten Kornmarkt, al- lein, nur mit ihrer Geige, und spielt ih- re Lieblingsstücke, die auch die Lieb- lingsstücke ihrer vielen Zuhörer sein könnten. „Guardian Angel – Schutzen- gel“ heißt ihr vormittägliches Soloreci- tal. Johann Sebastian Bach, Heinrich Ignaz Franz Biber und Giuseppe Ales- sandro Ferruccio Tartini stehen auf dem Programm, Werke für Violino senza basso, unbegleitet also, relativ ungewöhnlich für Musik aus dem so genannten Generalbasszeitalter. Die Schutzengel-Passacaglia von Bi- ber ist das letzte Werk aus der Samm- lung der Rosenkranz-Sonaten. Podger spielt sie direkt vor Bachs d-Moll-Parti- ta. Und siehe da: In der Verbindung mit der Passacaglia verliert Bachs Cha- conne, der letzte Satz der Partita, ihre monolithische Stellung, erscheint aus einer Tradition der Virtuosenmusik vom Ende des 17. Jahrhunderts heraus verständlich. Die britische Geigerin beeindruckte durch makellose Arpeggien und Läufe ebenso wie durch ihre rhetorisch aus- formulierten langsamen Sätze der bei- den Bach-Partiten in d-Moll und in g- Moll. Ja, sie hat auch das Geiger-Reper- toire erweitert um eine zusätzliche Partita, eine Nr. 7. Jahrelang spielte sie die Flöten-Partita Bachs gerne zum Aufwärmen. Schließlich machte sie sie passend für die Geige (transponiert von a- nach g-Moll). Sie eröffnete da- mit das Konzert, spielte ab der Sara- bande ätherisch schön und intensiv, die Bourrée munter und frei. Auch Tartinis Sonate a-Moll, die im Autograph nur an wenigen Stellen mit basso continuo bezeichnet ist, kann in diesem Solo-Kontext bestehen, wirkt frisch und improvisatorisch, virtuos und klangsinnlich, sogar senza basso. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON CLAUDIA BÖCKEL, MZ SOLO Die Geigerin Rachel Podger interpretiert Bach, Tartini und Biber. Engelsgleiches Spiel REGENSBURG. Was ist eigentlich Mon- teverdis Marienvesper? Genauer: der Druck von 1610, der ja außerdem die Missa In illo tempore enthält. Sind das Bewerbungsunterlagen für Papst Paul V.? Oder der Nachweis: Ich kann alles, den alten polyphonen Stil genauso wie den neuen, konzertanten? Sind Messe und Vesper vielleicht gedacht für das Fest Mariä Verkündigung? Wie immer der berühmte Druck zu lesen ist: Ein Dirigent, der die Marienvesper auf- führt, muss Entscheidungen treffen. Die Messe steht am Anfang Die Aufgabe fiel Joshua Rifkin zu, der mit dem Concerto Palatino und einer hochkarätigen Riege von Gesangsso- listen in der Dominikanerkirche Mon- teverdis Druck von 1610 zur Auffüh- rung brachte. Eine Entscheidung hat mit den Concerti zu tun, die hier, so ei- ne Lesart, die Antiphonen ersetzen, die normalerweise in einer Vesper die Psalmen umrahmen. Rifkin ist über- zeugt, die Concerti gehören gar nicht zur Vesper. Folglich lässt er den Druck in drei Teil-Konzerten aufführen. Zu- nächst die Messe. Das ergibt Sinn, die Ordinariumsvertonungen sind ein in sich abgeschlossenes Werk, stilistisch einheitlich. Dies unterstützt Rifkin durch ein durchgehend gleichbleiben- des Metrum, das eine faszinierend schwebende Atmosphäre schafft. Die Vesper lässt er also ohne die vier Concerti und die Sonata Sopra Sancta Maria singen. Die Antiphonen fallen auch weg. Von den zwei Magni- ficat-Vertonungen wählt er die mit Instrumentalbegleitung aus. Auch das ist sinnvoll: eine Vesper nur mit den traditionellen Bestandteilen, mäßig modern im Stil. Und weil er gleich beim Aufräumen ist, greift er nur auf die explizit in der Partitur angegebe- nen instrumentalen Beiträge zurück. Die Colla-parte-Phobie Rifkins hat etwas für sich: Der (hier fabelhaft) ge- sungene Text erhält mehr Gewicht, ist von instrumentalen Klangansamm- lungen befreit. Alles wird klarer, durchsichtiger – dafür verzichtet er auf klangliche Prachtentfaltung. Da hat man also Psalm nach Psalm, meist nur von der Orgel als Continuo-Instru- ment unterstützt. Geschlossenheit wird durch Eintönigkeit erkauft. Kein ganz schlüssiges Programm Und dann das dritte Konzert, in dem die Überreste der Aufräumaktion un- tergebracht wurden: die vier Concerti und die Sonata. Das ergibt nun gar kei- nen Sinn. So wunderschön die einzel- nen Concerti waren – das Gänsehaut hervorrufende Duo Seraphim, das aus- drucksstark vorgetragene Nigra sum, die leicht und flockig musizierte Sona- ta – insgesamt wird daraus kein schlüssiges Programm. Es mag an an den vertrauten Hörge- wohnheiten liegen, aber ganz von der Hand zu weisen ist die Vermutung nicht, dass diese Marienvesper nicht nur aus meditativer Versenkung be- steht. Ein bisschen festliche Freude und klangliche Pracht schadet auch nicht. Auch ein Monteverdi kann in Schönheit und Andacht sterben. !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ➜ Joshua Rifkin, Musikwissenschaftler, Cembalist und Dirigent, gibt heute, Dienstag, an der Kirchenmusikhoch- schule einen Kurs für Studierende. Er endet mit einem öffentlichen Konzert um 19.30 Uhr imHfKM-Konzertsaal. Ein kleinwenig Pracht hätte gar nicht geschadet TRILOGIE Alte-Musik-Spezia- list Joshua Rifkin führt Mon- teverdis Sammlung geistli- cher Werke 1610 in drei Tei- len auf. Das ergibt nicht durchweg Sinn. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON RANDOLF JESCHEK, MZ Joshua Rifkin leitete in der Dominikanerkirche den dreigeteilten Monteverdi. Foto: altrofoto.de ● ➲ Mehr zum Thema! 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Wer nach den Grundes- senzen der sogenannten AltenMusik und ihrer weiteren Entwicklung such- te, wurde beimKonzert des Ensemble Leones unter der Leitung vonMarc Le- won fündig – und reich belohnt: Unter dem Titel „Farben imDunkel“ be- schäftigte sich das Programmmit dem Werk des Belgiers Alexander Agricola (1445/6-1506), dessenŒuvre in seiner Vielfalt und kompositorischen Radi- kalität schon zu Lebzeiten hohe Be- achtung fand. Zu hören waren neben rein instrumental konzipierten Stü- cken auch Chansonbearbeitungen, de- ren originalen Liedsätze der Bariton Raitis Grigalis schlicht und mit hoher Textverständlichkeit vortrug. Unter Verwendung historischer Instrumente (Renaissancevioline, Vielle, Viola d´ ar- co, Quinterne, gotische Harfe und Zink) ergab sich ein intimes und ent- rücktes Klangbild. Wer als Zuhörer diesem nahezumeditativen Rausch widerstand, konnte sich an der harmo- nischen Eigentümlichkeit und der an- spruchsvollen Kontrapunktverwen- dung erfreuen, die von den sieben Spe- zialisten mit Inbrunst und Liebe zum Detail herausgearbeitet wurden. Zum frühen Höhepunkt der Auffüh- rung wurde die farben- und facetten- reiche Vertonung der damals europa- weit beliebten, vielstrophigen Liebes- ode „Tandernaken“. Bewegend auch der Trauergesang „tout a par moy“, dessen inniger Text sich in den nach- folgenden Instrumentalbearbeitungen manifestierte und anmutig verklang. Kleines Manko des Konzerts: Mit Blick auf eine kommende Hörerschaft wür- de einem so anspruchsvollen Pro- gramm eine Moderation gut tun, die Hilfestellung beim Erleben dieser zau- berhaftenMusik leistet. (mqv) Das Ensemble Leones in der Kirche St. Oswald Foto: altrofoto.de REGENSBURG. Pfingsten naht, doch in der Schottenkirche St. Jakob werden die Besucher der Tage Alter Musik li- turgisch in die Karwoche zurückver- setzt. Zu mitternächtlicher Stunde am Freitag lässt die israelisch-schweizeri- sche Gruppe Profeti della Quinta jene Lamentationen und Responsorien er- tönen, die den „Tenebrae“, den Trauer- metten der drei Kartage vor Ostern an- gehören. Eine faszinierende Verto- nung der Texte bringt sie den Hörern dar: jene in der musikgeschichtlichen Schwellenzeit um 1600 entstandene von Emilio de Cavalieri. Halb gehört sie noch der klassischen Vokalpoly- phonie an, halb nutzt sie schon die ex- pressive Klangsprache der Monodie, und dazwischen vernimmt man Passa- gen in chromatisch durchwirktem Satz, die an die späte Madrigalkunst ei- nes Gesualdo erinnern. Chitarrone, Lirone und Viola da Gamba stützen den Gesang akkor- disch wie rhythmisch, dazu Cembalo und Orgel, an der Aki Noda mit Into- nationen und Ricercaren Frescobaldis auf die einzelnen Karwochentage ein- stimmt. Hochexpressiv ertönen die sechs Singstimmen, die mit Ausnah- me der höchsten mit Männern besetzt sind, was dem Vokalsatz eine eigen- tümliche Klangfarbe verleiht. Zumal Cantus und Alt zeigen eine hochvir- tuose Beweglichkeit, die an Timbre und Spiel von Zinken erinnert. Eindrucksvoll ist es, wie die Sänger den Textgehalt in Vokalklang umset- zen. Wie kunstvoll ausgemalte Initia- len mittelalterlicher Handschriften wirken die mitkomponierten hebräi- schen Ordnungsbuchstaben, Affekte der Trauer ertönen im ruhigen Klang- fluss, solche des Schmerzes und der Anklage in rhythmisch gepeitschten, von erregten Ornamentierungen gera- dezu überwuchertenWendungen. Das „Jerusalem convertere“ bildet den ein- dringlichen Refrain, ein immer neu vertonter und neu akzentuierter Auf- ruf zur Bekehrung. AusWort wird Klang ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON GERHARD DIETEL, MZ VOKALMUSIK Das Ensemble Profeti della Quinta in der Schottenkirche

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