Tage Alter Musik – Almanach 2015

33 REGENSBURG. Die Demut ist fester, un- verrückbarer Bestandteil des christli- chen Glaubens. Dennoch ist es vor- stellbar, dass beim Blick in die Kirchen des vergangenen Pfingstwochenendes so manchen Pfarrer leiser Neid über- fallen hat. Die in ganzer Strenge ein- drucksvolle Dominikanerkirche St. Blasius – in mehreren Nachtkonzerten bis auf den letzten Stuhl nahe beim Eingang voll besetzt; Konzerte in St. Oswald – ausverkauft. Und auch die riesige Dreieinigkeitskirche, mit über 800 Sitzplätzen größter Konzertort bei den Tagen Alter Musik, war mehrfach gedrängt voll. Die Regensburger sind inzwischen daran gewöhnt, dass an Pfingsten ne- ben den zahlreichen, vielsprachigen Touristengruppen noch ein weiteres Völkchen die enge Altstadt durch- streift. Tagsüber schlendernd, mit kur- zen Blicken oder längeren Aufenthal- ten in dieser und jener Boutique und in diversen Cafés viele Capuccini ge- nießend. Zu bestimmten Zeiten – elf, 14 und 16 Uhr, dann wieder 20 Uhr und nächtens kurz vor 23 Uhr – setzen sich dann ganz Cliquen in Bewegung. Zielstrebig steuern sie die nächstgele- gene Kirche oder über den Behelfssteg der Steiernen hinweg die Hochschule für Kirchenmusik (HfKM) und Musik- pädagogik in Stadtamhof an. Dort fand im „Jahr eins nach dem 30-jähri- gen Jubiläum der Tage Alter Musik“, wie es Festivalmacher Ludwig Hart- mann bei der Eröffnung euphorisch formulierte, ein Freiluftkonzert im lauschigen Innenhof statt. Zorn, Trauer und Sehnsucht Unter Leitung des Wiener Kniegeige- spielers Christian Zincke stellte das Ensemble „Echo du Danube“ weltliche Lieder neapolitanischer Komponisten des 17. Jahrhunderts vor. In der anste- ckend tänzerischen Musik ging es da- bei durchaus deftig und deutlich in al- len Gemütslagen vom Zorn über die Trauer, die Sehnsucht, bis zur immer wiederkehrenden Liebe zu. Noch be- vor der erste Ton gespielt worden war, warnte Zincke allerdings das erwar- tungsvolle Publikum vor Unterbre- chungen. Weil schon „bei den Proben die Notenblätter durch den Hof geflo- gen sind“, müsse man vielleicht auf „fleißige Hände hoffen, die die Blätter wieder einsammeln“. Tatsächlich sorg- te dann der kraftvolle Stundenschlag der Glocke der benachbarten Pfarrkir- che St. Mang für eine unfreiwillige Pause, nach der das Ensemble unver- drossen an der gleichen Stelle wieder einsetzte. Die hinreißende Sopranistin Fran- cesca Boncompagni musste sich gegen Ende des Konzertes der harten Kon- kurrenz einer munteren Amsel erweh- ren. Sie entschied das jubilierende Du- ell mit giftigen Zeilen wie „O, grausa- me Tigerin, o perfide Tyrannin, genügt es nicht, mich beleidigt zu haben?“ (aus: „Che volete da me“ von Simone Coya) eindeutig für sich. Exakt dieses Gartenkonzert lieferte dann auch noch die Begründung für die Motivation, warum Ludwig Hart- mann und Stephan Schmid vor 31 Jah- ren das inzwischen europaweit re- nommierte Festival ins Leben gerufen haben. Bei der Eröffnung im Salzstadel meinte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs voller Bewunderung, dass die engagierten Festivalmacher „als Wahnsinnige unterwegs“ seien. Sän- gerin Boncompagni ergänzte Wol- bergs’ uncharmante, aber wahrschein- lich treffende Charakterisierung: „ … Auch ihr sollt wahnsinnig werden, wenn ich schon wahnsinnig bin“ (S. Coya). Nahezu überbordend lobte Wolbergs den „riesigen Idealismus“ und die „gigantische Qualität“ der Ta- ge Alter Musik. Die Bürger würden sich am nächsten Tag auf der Straße erzählen, was sie am Abend zuvor ge- hört hätten und das sei „sensationell“. Für den Herbst stellte er eine ver- tragliche Festschreibung der bisher jährlich beantragten und genehmig- ten Förderung für fünf Jahre in Aus- sicht. Ein kulturelles Ereignis von „derartig herausragender Bedeutung“ benötige „Planungssicherheit unab- hängig von der – momentan guten – Kassenlage der Stadt“. Auch Sparkas- senchef Dr. Rudolf Gingele sicherte als Vertreter des Hauptsponors die weite- re Unterstützung der „Überzeugungs- täter“ im „Tandemmit der Stadt“ an. Kunstvoll gedrechselte Schönheit Kaum hatten die Lobreden geendet und die Prominenz zu Sekt oder Oran- gensaft gegriffen, begannen die Instru- mentenbauer, die bislang im Hinter- grund gestanden waren, die mit Tü- chern verhängten Tische abzudecken und Geigen, Flöten und was es noch an historischen Instrumenten gibt, aufzustellen. Die Ausstellung glänzen- der, duftender und klingender Instru- mente, die oft nur noch Fachleute beim richtigen Namen kennen, ist ein- malig im süddeutschen Raum. Auch wer heute auf elektronische Klänge und zeitgenössische Musik steht, be- kommt bei den kunstvoll gedrechsel- ten und gefertigten Schönheiten auf zwei Stockwerken große Augen. Jeweils einige Minuten weiter durch die Altstadt konnten dann Besit- zer von Eintrittskarten solche Instru- mente live und oft in vollendeter Klangschönheit erleben. Wie bei der englischen Violinistin Rachel Podger. In der Alten Kapelle spielte sie mit hinreißender Klarheit Musik von J.S. Bach, Heinrich Ignaz Biber und des Ita- lieners Giuseppe Tartini auf ihrer Ba- rockvioline. Zinken, mit der Trompete verwandte Blasinstrumente meist aus Holz, waren später in den „Farben im Dunkel“, meditativ getragener Musik von Alexander Agricola, in der Os- waldkirche zu hören. KULTUR Die Resonanz bei dem Regensburger Musikfestival war auch bei der 31. Auflage großartig. Der OB stellte eine längerfristige Förderung in Aussicht. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● VON MICHAEL SCHEINER, MZ Bei TagenAlterMusik sindKirchen brechend voll Besucherandrang herrschte beim Concerto Palatino in der Dominika- nerkirche. Begehrt war das Programm für die Ta- ge Alter Musik wie hier vor der Basili- ka St. Emmeram. Glanzvoll: Musica Humana 430 aus Polen beim Konzert im Neuhaussaal (Theater am Bismarckplatz) Fotos: altrofoto.de Fachsimpelei bei der Instrumenten- ausstellung im Rahmen der Tage Alter Musik im Salzstadel ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● PROBE-ZEIT ➤ Auftakt: Erfrischend ist in den Mor- genstunden auch immer ein Spazier- gang durch die noch ruhige und ein we- nig schläfrige Stadt - nicht nur wegen der belebenden Temperaturen. ➤ Klänge: Wie in der Predigergasse dringt aus geöffneten Seitentüren von Kirchen der Klang mächtiger Posaunen, der dumpfe Schlag von Trommeln oder wundervoller Gesang von Sängerinnen und Sängern, die schon früh bei der Pro- be sind. ➤ Festtage: Pfingsten ist in Regensburg nicht nur ein Fest des „Heiligen Geistes“, sondern seit Jahrzehnten ein Fest heil- samer und erhebender, vergnüglicher und erhabener Musik. Vortrag von Prof. Katelijne Schiltz zusammen mit Elam Rotem (links) sowie gut gelaunte freiwillige Helfer (rechts)

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