Tage Alter Musik – Almanach 2015

39 Georg Friedrich Händel und sein Lieblingsinstrument – die Oboe – standen im Mittelpunkt des Konzerts der Batzdorfer Hofkapelle in St. Emmeram. Xenia Löffler präsentierte das Instrument im Oboenkonzert g-Moll und in einem Doppelkonzert für Oboe und Fagott (Katrin Lazar) makellos schön. Auch in seinen Kammerkantaten und Opern gab Händel seinem „favourite instrument“ exklusive Aufgaben, etwa in „Mi palpita il cor“ für Sopran, Oboe und Basso continuo. Zusammen mit Xenia Löffler und der Batzdorfer Hofkapelle interpretierte Marie Friederike Schöder die Kantate als Opernszene en miniature . Der Text insbesondere der Rezitative blieb allerdings im Nachhall der Basilika und im dramatischen Elan der Darbietung weitgehend auf der Strecke. Schwungvoll und mit üppigem Orchesterklang zeichnete Harmonie Universelle in der Dreieinigkeitskirche die Entwicklung des Concerto grosso im Barockzeitalter nach. Ausgehend von Arcangelo Corelli zeigte das groß besetzte Ensemble unter der Leitung der beiden Solo-Geiger Florian Deuter und Mónica Waisman dessen Einflüsse im Schaffen Antonio Vivaldis, Pietro Antonio Locatellis, Francesco Geminianis und Giovanni Mossis auf. Florian Deuter und seine Mitstreiter pflegen einen geradezu rauen kräftigen Streicherton, der die temperamentvolle Italianità dieser Musik betont, ihre ebenso ureigene Eleganz jedoch nicht gebührend zur Entfaltung bringt. So kam auch die schöne Idee, zwei Concerti aus Corellis Opus 6 mit Trompeten und Posaune zusätzlichen Glanz zu verleihen, nicht recht zur Geltung – zumal die Bläser leider nicht ihren allerbesten Tag hatten. Zentrum und dreifacher Anlaufpunkt gleichsam einer musikalischen Pilgerfahrt war an diesem Pfingstsonntag die Dominikanerkirche. Dort präsentierte der ebenso renommierte wie streitbare Dirigent und Musikwissenschaftler Joshua Rifkin zusammen mit Concerto Palatino seine Sichtweise auf Claudio Monteverdis Sammlung geistlicher Musik, die 1610 in Venedig im Druck erschienen war. Sie ent- hält neben einer sechsstimmigen Messe weitere Kompositionen, die gemeinhin als „Marienvesper“ eine Einheit bilden. Rifkin stellte die Kompositionen in eine neue, gattungsspezifische Ordnung mit der Messe zu Beginn, den geistlichen Konzerten in der Mitte und der „Vespro della beata vergine“ am Ende. Das Publikum konnte in drei Konzerten, verteilt über den Nachmittag, den frühen Abend und zu nächtlicher Stunde, dem Experiment beiwohnen. Mit einem Male war der stilistische Reichtum der Werksammlung wohlgeordnet: Im ersten Konzert erklang der traditionelle Stile antico der Messe, im zweiten der seinerzeit revolutionäre Stile moderno der Concerti und schließlich die Vesper als Symbiose aus beidem. Angesichts der in den 1980-er Jahren bahnbrechenden Bach-Interpretationen ohne Chor versteht es sich fast von selbst, dass Rifkin auch bei Monteverdi auf eine solistische Vokalbesetzung setzte. Mit Gerlinde Sämann, Nele Grams (Sopran), David Munderloh, Tore Tom Denys (Altus), Charles Daniels, Julian Podger, Jan van Elsacker, Benedikt Heggemann (Tenor), Harry van der Kamp und Markus Flaig (Bass) stand ihm ein vorzügliches Ensemble zur Verfügung. Gleiches gilt für die Instrumentalisten des Concerto Palatino um den Zinkenisten Bruce Dickey. Beste Voraussetzungen also für ein weiteres spannendes Experiment. Sowohl im gewohnt informativen Programmheft als auch in einem erst kürzlich erschienenen Interview (Toccata Nr.3/2015) blieb Joshua Rifkin allerdings die Antwort schuldig, warum er sich für eine vom Original abweichende Reihenfolge und eine solistische Besetzung entschieden hat. Zudem stellt er grundsätzliche Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis in Frage und lässt bewusst streng nach dem Notentext musizieren. Verzierungen, ja der kleinste Ansatz von Improvisation werden verbannt, die Generalbassgruppe – Kernbestand eines früh- barocken Ensembles – auf eine Orgel reduziert. Ob das im Sinne des Schöpfers dieser großartigen Musik gewesen ist, werden wir nie klären können. Das Ergebnis in der Dominikanerkirche war jedenfalls ein ungewohnt schlanker, quasi entschlackter „Monteverdi“, dem eine tief empfundene innige Religiosität nicht abzusprechen ist. Jedoch litten insbesondere die Vespervertonungen im Nachtkonzert an einer blutarmen Gleichförmigkeit. Und das Experiment der solistischen Besetzung schlug schon im Introitus „Deus in adiutorium“ fehl. In der vierzehnten Reihe sitzend hörte ich die Toccata aus Monteverdis „Orfeo“, während die hinzukomponierten Vokalstimmen zum Teil nur an den Lippenbewegungen der Sänger zu erahnen waren. Dass die dreifache Pilgerreise in die Dominikanerkirche nicht in lang- atmiger Langeweile endete, war in erster Linie den vorzüglichen Interpreten zu verdanken. Schade, dass der Dirigent sie nicht einmal „von der Leine“ gelassen hat! – Eine lebendige Musizierpraxis lebt vom Experiment. Das gilt für das Sinfoniekonzert wie für die Jazz- Session und erst recht für die sogenannte Alte Musik, für die die Synthese aus Forschung und Aufführung geradezu sinnstiftend ist. Rifkins Perspektivwechsel auf Monteverdis geistliches Hauptwerk, insofern nachvollziehbar und wünschenswert, lieferte aber nur weni- ge Antworten, während die Darbietung selbst viele Fragen offen ließ. Wie konnten beispielsweise so hervorragende Interpreten, die in den drei Konzerten keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten aufkommen ließen, aus solch exquisiten Kompositionen so wenig Musik machen? – Experimente können scheitern. Gerade deshalb sind sie unerlässlich! Festlicher Ausklang Am Montag zeigte sich das Regensburger Festival noch einmal in seiner bunten Vielseitigkeit. Zur Matinee im Reichsaal spielte das exzellente Gamben-Consort Phantasm unter der Leitung von Laurence Dreyfus Kompositionen von Christopher Tye, Orlando Gibbons, William Byrd, William Lawes, John Jenkins und Henry Purcell. Am frühen Nachmittag gastierte das US-amerikanische Vokalquartett New York Polyphony mit geistlicher Vokalmusik von der iberischen Halbinsel in der Minoritenkirche. Und anschließend brachte Il Suonar Parlante Orchestra unter der Leitung von Vittorio Ghielmi die „barbarische Schönheit“ osteuropäischer Folklore in der barocken Kunstmusik Georg Philipp Telemanns, Johann Adolf Hasses und Johann Gottfried Grauns temperamentvoll zum Klingen. Am Abend präsentierten schließlich Les Ambassadeurs in großer Besetzung Werke von Vivaldi, Telemann, Zelenka u.a., die für die einst berühm- te und hochgelobte Dresdner Hofkapelle komponiert wurden. Unter der Leitung des Flötisten Alexis Kossenko trumpften die in Frankreich residierenden „Botschafter“ temperamentvoll, aber dennoch differenziert gestaltend auf. Mit diesem umjubelten Finale gin- gen die 31. Tage Alter Musik zu Ende. Wie schon in den vergangenen Jahren waren nahezu alle Konzerte ausverkauft. Die vielen kleineren Aufführungsorte in der historischen Altstadt reichen schon lange nicht mehr, um der großen Publikumsnachfrage gerecht zu werden. So konzentrieren sich die Konzerte inzwischen auf wenige Räume mit entsprechendem Fassungsvermögen, wie etwa die Dreieinigkeitskirche oder die Dominikanerkirche. Der historische Reichssaal gehört schon zu den kleinsten Spielstätten! Die Tage Alter Musik sind ein touristisches Highlight mit inter- nationalem Renommee. Aus ganz Deutschland und Europa, aber auch von Übersee zieht es die Musikfreunde am Pfingstwochenende an die Donau, nicht zuletzt weil es den Veranstaltern auch nach über dreißig Jahren immer noch gelingt, das Besondere aufzuspüren und Jahr für Jahr ein überaus vielfältiges Programm auf die Beine zu stellen. Doch wenn man den beständig steigenden Altersdurchschnitt des Publikums und die durchaus anspruchsvollen Eintrittspreise in Rechnung stellt, muss man auch mit einer gewissen Sorge in die Zukunft blicken. Eine nachhaltige Förderung durch das Land Bayern – ansonsten nicht zu unrecht stolz auf seine Kulturförderung – würde den Tagen Alter Musik weitere und neue Perspektiven eröffnen.

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