Tage Alter Musik – Almanach 2015

44 pere pluribus decantandae cum nonnullis sacris concentibus ad Sa- cella sive Principum Cubicula ac- commodata SV 206 (vulgo Mari- envesper) in drei Konzerten gewid- met hatte. Doch das Publikum schweigt beharrlich, zeigt keinerlei Reaktion. In die Gesichter der Künstler schleicht sich zunächst Staunen, dann Unsicherheit. War Joshua Rifkin mit seiner radikalen Aufführung tatsächlich zu weit gegangen, wie einige anfangs be- fürchtet hatten? Das 31. Festival der Tage Alter Mu- sik am Pfingstwochenende (22. bis 25. Mai 2015) zeigte sich nach dem Jubiläum im Vorjahr in kein- ster Weise schwächelnd oder krän- kelnd – ganz im Gegenteil. Waren die ersten drei Dekaden der TAM mit Pracht und Pomp 2014 zu Ende gegangen, so setzten die 17 Kon- zerte diesen Jahres genau dort an, geleiteten charmant weiter, über- raschten, verunsicherten, führten sowohl zu heftigen Diskussionen als auch zu freneti- schem Beifall und Standing Ovations. Hauptkompo- nente der Konzerte war sicherlich heuer die Musik der Renaissance, dargeboten in acht Konzerten und fünf verschiedenen Konzertorten, gefolgt von prächtiger Barockmusik in sieben Konzerten und einem Konzert mit Kompositionen der Wiener Klassik. Man hatte in mehrerer Hinsicht ein Experiment ge- wagt. Da waren zum einen das gnadenlose Staccato der Konzertfolge, zum anderen aber die Dreiteilung der Marienvesper und die vielen Kurzkonzerte, kaum länger als eine Stunde, manchmal sogar noch kürzer. Stephan Schmid meinte dazu, er habe sich dieses Jahr eher wie ein Discjockey gefühlt, wollte das Spektrum der aktuellen Leistungsfähigkeit einer durchaus le- bendigen Szene schlaglichtartig dem Publikum prä- sentieren, Amuse-Gueules aus der Regensburger He- xenküche, als Momentaufnahmen einer Wunderkam- mer, des Panoptikums der Alten Musik. Dies war so interessant und lehrreich wie anstrengend, Zeit zum Nachdenken, zum Verarbeiten des Erlebten, blieb da leider kaum. Der Startschuss fiel, wie schon so oft zuvor, mit ei- nem Konzert der Regensburger Domspatzen und dem L’Orfeo Barockorchester aus Linz unter der Leitung von Domkapellmeister Roland Büchner in der Dreiei- nigkeitskirche. Man hörte geistliche Werke für Chor und Orchester von Wolfgang Amadeus Mozart. Ne- ben den Ex-Domspatzen Gustavo Martín-Sánchez (Tenor) und Joachim Höchbauer (Bass) und einem ak- tiven, leider anonymen Knabenalt der Domspatzen, hörte man Yeree Suh (Sopran). Sie sang neben der Missa solemnis C-Dur KV 337 das Regina coeli B-Dur KV 127, die Salzburger Fassung (1779) des Exsultate, jubilate KV 158a, Sub tuum praesidium F-Dur KV 198 und das Veni Sancte Spiritus C-Dur KV 47 mit ent- waffnender Stimmführung, erstklassiger Höhe und einer Leichtigkeit, die zum Weinen schön geriet. Ihre perfekte Gesangstechnik ermöglichte es ihr, mit Mo- zarts anspruchsvoller Kompositionsvorlage fast ge- nießerisch provokant zu spielen, etwa ein leichtes, lässiges Ritardando an eine fordernde Koloratur an- zuhängen, völlig unangestrengt und mit Atemreser- ven, die noch bis zum Matterhorngipfel reichen wür- den. Auch gegen den manchmal zu präsenten und dominierenden Domchor setzte sie sich, wiewohl hin- ter dem Orchester platziert, prägnant durch; die bei- den Männerstimmen verblassten hier leider vollkom- men im Gesamtklang. Die Leistungsfähigkeit des Or- chesters konnte dieses durch die der Messe vorange- stellte Kirchensonate C-Dur KV 336 mühelos unter Beweis stellen. Einen völlig anderen Eindruck vermittelte das nach- folgende Konzert in der nächtlichen Schottenkirche. Das von Elam Rotem in Galiläa gegründete israelisch- schweizerische Ensemble Profeti della Quinta ent- führte in die Karwoche mit Lamentationen und Res- ponsorien von Emilio de’Cavalieri (1550-1602). Die Position und Situation dieses ersten Nachtkonzerts ist immer eine schwierige: Man schlittert von einer anstrengenden Arbeitswoche in ein Konzert, das eine Stunde vor Mitternacht beginnt und kurz danach en- det; man ist müde und abgespannt. Und dennoch, die Profeti, fünf Sängerinnen und Sänger und fünf In- strumentalisten, packten das Publikum sofort mit dem Timbre ihrer perfekt aufeinander abgestimmten Stimmen und Instrumentalstimmungen (mitteltönig), mit der lupenreinen Intonation trotz der vorgerück- ten Stunde (auch Sänger werden müde) und einer stets spannenden, lebendigen Gestaltung in einer sel- ten erlebten und gelebten Humilitas. Die britische Violinistin Rachel Podger lud am Sams- tag in die Alte Kapelle zur Matinee. Unter dem Titel „Guardian Angel – Schutzengel“ spielte sie Violinso- lowerke von Bach, Tartini und Biber. Letzterer war für den Titel verantwortlich, denn die Passacaglia g-moll aus den Rosenkranzsonaten ist so überschrieben. „Bach ist Musik“, meinte Rachel Podger, die launig durch ihr Konzert führte. Ja, man kann den Meister auf dem Kamm blasen und es klingt noch immer gut. Doch wenn eine Ausnahmemusikerin wie Rachel Pod- ger zu Violine und Bogen greift, dann entsteht etwas ganz Besonderes: Tartinis Solosonate a-moll – for- dernd und souverän; Bibers Passacaglia – packend und bewegend; Bachs Partita Nr.2 d-moll – einzigar- tig; und die von Rachel Podger für Geige umgeschrie- bene und nach g-moll transponierte Solo-Partita nach der Traversflöten-Partita a-moll BWV 1013 – triumphal, spannend und perfekt. Dabei ist nicht klar, was mehr faszinierte, die perfekte Beherrschung des Instruments, die staunenswerte Technik, die überra- gende Musikalität oder die Nonchalance der Künstle- rin, einige der Facetten Rachel Podgers. Sie ist, und das hat sie einmal mehr bewiesen, Weltspitze, eine der besten Violinistinnen in der Szene! Nach 30 Jahren Festivalgeschichte kann es durchaus noch Premieren geben. Die 31. Tage Alter Musik über- raschten erstmals mit einem Freiluftkonzert (die Ver- anstalter verzichteten dankenswerter Weise auf die Bezeichnung „Open Air“, und das in unserer anglizis- musverliebten Zeit!). Echo du Danube lud in den In- nenhof der Hochschule für Katholische Kirchenmusik im ehemaligen Augustinerstift St. Mang ins einst freie und bayerische Stadtamhof und zu schmissigen Werken „alla Napolitana“. Hier erklangen Werke aus dem Neapel des 17. Jahrhunderts, welches damals nach Konstantinopel die bevölkerungsreichste Me- tropole Europas war. Weniger Süditalien und mehr Spanien, hier regierten die spanischen Vizekönige, mischten sich hier die Melodien und Rhythmen der Spanier mit der Lebendigkeit der Italiener. Das Kon- glomerat bot Sprengstoff, fuhr in die Glieder, riss mit, zumal, da es von Echo du Danube so beschwingt und flüssig vorgetragen wurde. Zwar waren die akustischen Bedingungen vor Ort per se nicht ideal. Der immer wieder auffrischende Wind ließ die Tripelharfe zur Äolsharfe mutieren, von der Regensburger Altstadt wehten fröhliche Einsatzhorn- klänge über die Donau, die Turmglocke St. Mangs schlug pünktlich und viertelstündlich und sogar ein historischer Doppeldecker machte der alten Ratisbo- na kreisend seine Aufwartung. Und dennoch, dort auf dem Rasen sitzend und den Klängen lauschend, deren Lautstärke sich natürlich am Salterio orientieren musste, das hatte Charme, vor allem wenn die Sopra- nistin Francesca Boncompagni mit Leidenschaft und Witz ihren Part vortrug. Dann ging es über Donau und Steinerne Brücke zurück nach Regensburg. Ja, auch heute unterschei- det der Regensburger zwischen seiner Stadt und Stadtamhof am nördlichen Brückfuß. In die St.-Os- wald-Kirche am Weißgerbergraben lud das Ensemble Leones zu „Farben im Dunkel“ bzw. zur „Wunderbaren Klangwelt Alexander Agricolas“. Den Eindruck, den das Konzert der sieben Künstlerinnen und Künstler hinterließ, möchte ich mit „kraftvoller Ruhe“ und „in- nerem Frieden“ beschreiben. Die ehrliche und aut- hentische Interpretation entsprang hoher Konzentra- tion, technischer Perfektion in der Beherrschung der Instrumente, hoher Musikalität und permanenter Spannung – Verve, eben. Dann kam das mit Spannung erwartete Konzert der Musica Humana 430 im Neuhaussaal des Stadtthea- ters. Irgendwie ging das Gerücht, das polnisch-deut- sche Orchester käme mit den Orchesterwerken von Mozart, Kraus, Vanhal und Wranitzky nicht zurecht. Il Suonar Parlante D er Schlussakkord schwebt hinauf ins Dunkel des gotischen Gewölbes, löst sich auf in der absolu- ten Stille der vollbesetzten Kirche. Die Künstler wir- ken so erschöpft wie beseelt, noch immer gebannt von der Harmonie, der Stimmung, welche sie selbst geschaffen, ja entfesselt haben. Langsam, nur sehr langsam, finden sie zurück ins Hier und Jetzt, in die Dominikanerkirche, ins nächtliche Abschlusskonzert des so ereignisreichen Pfingstsonntags, den Joshua Rifkin keinem Geringerem als Claudio Monteverdi und seiner 1610 veröffentlichten Sanctissimae Virgi- ni Missa senis vocibus ad ecclesiarum choros, ac Ves-

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