Tage Alter Musik – Almanach 2015

46 Ewiger, edler Klang Reinhard Mawick Großartige Musik aus vergangenen Jahrhunderten in herrlichen Kirchräumen – auch 2015 konnten die Tage Alter Musik in Regensburg auf der ganzen Linie überzeugen. Pfingstimpressionen aus dem Musikmekka an der Donau. Zu Pfingsten kommt der Geist, aber er weht, wo er will. Warum bloß tauchen die gefährdeten Ruinen des Weltkulturerbes im syrischen Palmyra plötzlich alptraumhaft vor dem inneren Auge eines Menschen auf? Eines Menschen, der im Weltkulturerbe Regensburg im Konzert kurz vor Mitternacht englischer Renaissancemusik lauscht? Musik, die in ihrer Schönheit betört, die überwältigt. Dann erklingt diese Zeile aus einem Werk von Nicholas Strogers, der um 1560 lebte und wirkte: A dolefully deadly pang consumes my pining heart … zu Deutsch: „Ein trauriger, tödlicher Stich verzehrt mein bekümmertes Herz …“. Da, da wird der geängstigten Seele bewusst, was eigentlich passiert dort im Nahen Osten, was für einem Irrsinn die Kunstzerstörer des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak auf den Weg setzen: Wer Kulturerbe vernichtet, der vernichtet Freiheit, Geist und lebensnotwendige Erinnerung. Weg, weg, böses Traumbild! Anders als die Ruinen von Palmyra stehen die herrlichen Kirchen von Regensburg an der Donau – Gott sei Dank! – noch festgemauert und unerschüttert, einige sogar frisch renoviert. Engelsgleich singt The Marian Consort aus Oxford, engelsgleich spielt zwischen ihrem Gesang das Rose Consort of Viols , am Ende vereinigen sich die vokale und die instrumentale Zauberkraft Großbritanniens und ver- schmelzen mit dem wunderbaren Raum der Dominikanerkirche. Die 1246 begonnene und bereits um 1300 vollendete Kirche ist ein für Nachtkonzerte prädestinierter Raum. Die Wände wachsen in den Himmel und meist fühlt man sich hier dem Paradies näher als den höl- lischen Abgründen, besonders, wenn so wunderbar musiziert wird wie am Samstag vor Pfingsten: Die britischen Ensembles präsentier- ten Werke, die Robert Dow, ein Gelehrter des elisabethanischen Zeitalters, in seinem kurzen Leben – er starb 35-jährig 1588 – zusam- mengestellt hatte, ein Kaleidoskop der europäischen Musik, naturgemäß mit einem Schwerpunkt in der britischen Musik, aber auch Werke aus Flandern und Italien sind darunter, und in den Klängen der herausragend dargebotenen Musik verschwindet schließlich das Horrorbild von Palmyra … Die Tage Alter Musik in Regensburg finden zum 31. Male in ununterbrochener Folge seit 1984 statt, und man darf sagen, das Festival ruht in sich und dagegen spricht erstmal gar nichts: 17 Konzerte in wunderbaren Kirchen; die meisten Karten kosten weit weniger als 50 Euro, sogar für unter 20 ist etwas zu kriegen. Wo gibt’s das noch? Dafür fehlt das ganze Schicki-Micki-Gehabe anderer Festivals. Bayerisch-urwüchsig geht es hier um die Musik und um sonst gar nichts. Die Spur, die das Marian und das Rose Consort gelegt haben, verfolgen zwei Tage später, am Pfingstmontag, gleich zwei Ensembles auf ähnlich elysischem Niveau weiter: Zum einen Phantasm . Das fünfköpfige Ensemble präsentiert morgens im schmucken Reichssaal Gambenconsort-Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Was es doch für unzählige und unerdenkliche Möglichkeiten gibt, Schönheit in gelehrte Musik zu fassen! Das ebenmäßige, blitzsaubere Spiel des international besetzen Quintetts kann absolut begeistern, obwohl diese Art von Musik eigentlich als Inbegriff der Introvertiertheit gilt. Zum anderen ist in dieser Sparte das Mittagskonzert mit den vier smar- ten Herren von New York Polyphony zu erwähnen . Die hatten vokal einen deutlich kräftigeren Zugriff als die Gambenschar in ihrem instrumentalen Habit, obwohl das musikalische Terrain der New Yorker zeitlich sogar noch etwa früher angesiedelt ist, nämlich Vokalmusik aus dem 16. Jahrhundert, vornehmlich der ersten Hälfte. Das Quartett bewies in vollendeter Meisterschaft, dass die blutar- me Darbietung solchen Repertoires kein Schicksal ist: Kräftig, aber ohne übermäßig zu forcieren, verlieh New York Polyphony den Werken eine überwältigende Note. Ganz besonders gelungen der Abschluss mit den „Lamentationes Hieremiae Prophetae“ des spani- schen Meisters Francisco de Peñalosa (um 1470 – 1528). Fast schade, dass das Konzert schon nach deutlich weniger als 60 Minuten an sein Ende kam. Auf jeden Fall sollte man sich die Chance nicht entgehen lassen, es noch einmal nachzuhören. Dazu besteht im Bayerischen Rundfunk (BR Klassik) am 21. Juli 2015 ab 20:03 Uhr Gelegenheit, und am 16. November 2015 ab 22:05 Uhr wird es nochmal im Deutschlandfunk gesendet. Aus dem diesjährigen Regensburger Spannungsfeld zwischen Spätrenaissance und Frühbarock muss auf jeden Fall noch von Joshua Rifkin und seinen drei Konzerten berichtet werden: Der international renommierte Musikforscher und Dirigent aus den USA, der Anfang der 1980-er Jahre die Musikwelt mit der These geschockt hatte und bis heute viele davon überzeugt hat, dass auch die Chorpartien im Werk von J.S. Bach ursprünglich solistisch aufgeführt wurden, nahm sich heuer in Regensburg der sogenannten Marienvesper von Claudio Monteverdi aus dem Jahre 1610 an. Seine These: Die im Erstdruck von 1610 miteinander verquickten Gattungen Messe, Vokalkonzerte und Vespermusiken seien eigentlich getrennt gedacht. Gedacht, getan und flugs dreigeteilt aufgeführt: Zuerst am Mittag, wieder in der erhabenen Dominikanerkirche, die Messe aus der 1610-er Sammlung zu sechs bis sieben Stimmen. Dieses Mini-Konzert von gut einer halben Stunde Länge geht famos als vorgezogene Vesper durch, ein Moment zum Genießen und Durchatmen. Am frühen Abend klingt es dann an gleicher Stätte weiter: Nun kommen die aus der Marienvesper bekannten und geliebten Vokalkonzerte an die Reihe – prachtvolle Stücke und allesamt sehr überzeugend musiziert, wenn auch introvertierter als gewohnt. Hier funktioniert das Format aber nicht. Auch da ist schon nach einer guten halben Stunde wieder Schluss. Schade, da hatte man sich gerade festgehört! Das

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