Tage Alter Musik – Almanach 2016

sehr sinnlich und man muss die- sen Klang finden. Es ist herrliche Musik, große Musik, steht Bach in nichts nach.“ Musik: Schütz, Lobe den Herren Ein echtes Erlebnis: der Dresdner Kammer- chor und das Dresdner Barockorchester un- ter der hochpräzisen Leitung von Hans- Christoph Rademann vorgestern bei den Ta- gen Alter Musik Regensburg mit den Psal- men Davids von Heinrich Schütz. Es lohnt sich, dieses vielfältige und klangsinnliche Konzert, bei dem die Chor- und Instrumen- talgruppen zum Teil im ganzen Kirchen- raum verteilt waren, nicht nur nachzuhören, sondern auch nachzusehen. Und Sie können das tun unter www.br-klassik.de – Dort steht das Konzert als Video on de- mand für Sie bereit. – Nicht nur großbe- setzte Barockmusik ist zur Zeit hier in Re- gensburg zu hören, sondern zu Gast sind auch die kleinen, aber feinen Ensembles, die sich der Musik des Mittelalters und der Re- naissance widmen. Am Freitagabend zum Beispiel gab es in der hochromanischen Schottenkirche ein sehr stimmungsvolles Mittelalter-Konzert mit dem tschechischen Tiburtina-Ensemble. Bei mir zu Gast hier im Studio in Regens- burg waren vor der Sendung die Leiterin des Ensembles, Barbora Kabátkova, mit zwei ih- rer Sängerkolleginnen. Und ich habe Barbora Kabátkova zunächst gefragt, was Sie an der Musik des Mittelalters fasziniert. B ARBORA K ABáTKOVA : Mittelaltermusik ist ganz anders als Barockmusik, sie ist in ge- wisser Weise simpler. Man hat viel mehr Platz für Improvisation, was ich sehr mag. Man hat eine einstimmige Melodie, und man kann damit machen , was man will, na- türlich muss man sich an die mittelalter- lichen Regeln halten, aber man kann… ja, man kann mehr Musik machen, vielleicht kann man das so sagen. Nun haben Sie uns Musik mitgebracht, und Ihre Harfe haben Sie auch mitgebracht. Sie werden uns jetzt erstmal ein Lied vorspielen, ein Liebeslied – worum handelt es sich dabei? B ARBORA K ABáTKOVA : Es ist nicht unbe- dingt ein Liebeslied. Es könnte zwar eines sein, aber es basiert auf demHohelied. Es ist auf Alt-Tschechisch geschrieben, stammt aus dem 14. Jahrhundert, aus der Regierungszeit Karls des Vierten. Anonym, Leich (live) Ein sehr atmosphärisches, ein sehr schönes Stück – ein Leich aus demMittelalter, gesun- gen und gespielt von Barbora Kabátkova, Lei- terin des Tiburtina Ensembles und heute mein Studiogast hier in Regensburg. Sie haben sich jetzt selbst begleitet auf einer Harfe. Diese ist ja viel kleiner als eine Harfe, wie man sie aus dem Orchester kennt, man kann sie leicht auf dem Schoß halten - was ist das für ein Instru- ment? B ARBORA K ABáTKOVA : Es ist eine romani- sche Harfe, die Kopie einer Harfe, die auf dem Portal des Klosters St. Blasien im Schwarzwald abgebildet ist, eine Harfe des 12. Jahrhunderts. Rainer Thurau hat sie nachgebaut. Es ist ein wunderschönes In- strument mit einem vollen Klang, was unge- wöhnlich ist für so eine kleine Harfe. Sie hat 24 Saiten, ist diatonisch gestimmt, und die Säule hier ist verziert: unten kann man die Hand oder die Pfote eines Tiers erkennen und oben Blätter und Spiralen, so wie die Harfe auf dem Kirchenportal abgebildet ist – es ist also eine echte Kopie. Was weiß man über die Musik? Woher stammt dieses Lied? B ARBORA K ABáTKOVA : Das Thema ist die Liebe zwischen dem böhmischen König Wenzeslaus dem Zweiten und seiner Frau Guta von Habsburg. Ich habe in unserem Konzert versucht, das Leben dieser beiden nachzuzeichnen, als sie gekrönt wurden in Prag, nachdem sie schon zehn Jahre verhei- ratet waren und Kinder bekommen hatten. Die Krönung war dann 1297. Guta starb dann schon bald nach der Krönung, viel- leicht war sie wieder schwanger und es gab Komplikationen. Es gab also gleich einen Unglücksfalls nach der Krönung. Das ist die Geschichte. Und es war am Freitag einfach großartig, diese mittelalterliche Musik in ei- ner vollbesetzten großen Kirche zu machen, ich war so glücklich. Vor zehn Jahren war das bei uns in Tschechien noch undenkbar. Was mich am Freitag auch fasziniert hat, ist die Weise, wie Sie dirigiert haben. Also nicht wie ein Orchesterdirigent, der einen Takt schlägt, sondern mit sehr fließenden Bewe- gungen, eine sehr freie Rhythmik, und trotz- dem ist das Ensemble immer zusammen. Wie funktioniert das? B ARBORA K ABáTKOVA : Es ist nicht einfach – wir müssen das lange üben. Es ist eine be- sondere Art, gregorianischen Choral zu di- rigieren, weil es da keinen Rhythmus gibt. Ich folge da tatsächlich der Melodie, ich male die Melodie mit meiner Hand. Wir kennen uns sehr gut, und das ist auch wirk- lich nötig. Unser Ensemble gibt es seit 2008, und ich merke, wie es immer besser wird, weil wir uns immer besser kennen und weil wir immer noch in fast der gleichen Beset- zung sind. Das braucht man für diese Art von Musik. Jetzt haben Sie uns noch ein Gesangsstück mitgebracht, das Sie zu dritt singen werden – es ist aber kein einstimmiges Stück, kein gre- gorianischer Choral, sondern ein Stück mit dem Titel „Ave Dei genitrix“. Was verbirgt sich dahinter? B ARBORA K ABáTKOVA : Es ist ein dreistimmi- ges Stück aus dem 14. Jahrhundert und wurde komponiert zur Anbetung der Jung- frau Maria. Es ist sehr einfach und sehr schön, mit einem hübschen Text, der zu- sammen mit der Musik geschrieben wurde. Musik: Anonym, Ave Dei genitrix (live) EinMarienlied aus dem 14. Jahrhundert, ge- sungen von Barbora Kabátkova, Daniela Tschermakova und Kamilla Ma[z]alova. Die drei Mitglieder des tschechischen Tiburtina Ensembles waren vor der Sendung bei uns hier im Studio in Regensburg zu Gast. Sie hören eine Sonderausgabe des Tafel-Con- fects auf BR-KLASSIK, und zwar aus Anlass der 32. Tage Alter Musik Regensburg, eines der wichtigstenOriginalklang-Festivals welt- weit. BR Klassik 13 Dresdner Kammerchor & Barockorchester Foto: Hanno Meier

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