Tage Alter Musik – Almanach 2016

sammen standen, uns die Hände auf die Schultern gelegt und uns fast umarmt haben. Das ist sehr seltsam. Sänger wollen das erst mal nicht, sie wollen Platz für sich. Aber nach drei Tagen hatten wir uns daran gewöhnt. Es hilft natürlich, dass das alles liebe Menschen sind und einander ver- trauen. Ich habe sie dann gefragt, können wir versuchen, so aufzu- treten? Und sie haben „ja“ gesagt. Bei der Messe stehen wir also vor dem großen Chorbuch. Wir be- rühren uns vielleicht nicht unbe- dingt, aber wir stehen wirklich nahe zusammen. Musik: Dufay: Missa Ecce ancilla Do- mini: Gloria Das Gloria aus der Messe über die gregoria- nische Antiphon “Ecce ancilla Domini”, komponiert 1464 von Guillaume Dufay und gestern imNachtkonzert wieder zum Leben erweckt vom Cut Circle unter der Leitung von Jesse Rodin. Sie hören das Tafel-Confect auf BR-KLASSIK. Musik: Haydn, Agnus Dei Das Agnus Dei aus der „Missa in tempore belli“ von Joseph Haydn, mit denen die Tage Alter Musik Regensburg am vergangenen Freitag begonnen haben. Das Konzert mit den Regensburger Domspatzen und dem Orfeo Barockorchester unter der Leitung von Roland Büchner können Sie im Internet noch einmal nacherleben, als Video on de- mand unter brklassik.de. Ja, und heute abend gehen die Tage Alter Musik auch schon wieder zu Ende, und zwar nochmal mit einem Paukenschlag: Um 20 Uhr verei- nen sich zwei Ensembles aus der Schweiz und aus Großbritannien, das Orchester Les Passions de L’ame und das Vokalensemble Solomon’s Knot, um eine echte Rarität auf- zuführen: eine große Hommage an William Shakespeare, komponiert von Thomas Lin- ley. Bei mir im Studio ist jetzt der Bassist und musikalische Leiter des Projekts, Jonathan Sells. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie sich vor den Proben und der Aufführung heute abend die Zeit genommen haben, bei uns hier vorbeizuschauen. Ich muss gestehen, den Namen Thomas Linley habe ich beim Blättern durch die Programm- ankündigung der Tage Alter Musik zum er- sten Mal gesehen. Wer war Thomas Linley? J OnATHAn S ELLS : Das wissen wir auch in England nicht so sehr. Er ist leider mit 22 bei einem Bootsunglück gestorben und des- wegen wurde gar nicht so viel von seiner Musik überliefert und ist auch in Großbri- tannien kein großer Begriff, leider. Aber wenn man in dieses Stück vor allem rein- schaut, dann sieht man, dass die Vergleiche, die damals mit dem kleinen Mozart ge- macht wurden, gar nicht so weit entfernt sind von der Wahrheit, denn was es in die- sem Stück gibt, ist wirklich eine ganz präch- tige Musik! Also man muss vielleicht dazusagen, er war ein Zeitgenosse von Mozart. J OnATHAn S ELLS : Ja im gleichen Jahr gebo- ren, sie haben sich auch gekannt, getroffen in Italien, und da war wirklich die Rede von den beiden als kleinen Genies, damals. Also Linley war so ein hoffnungsvolles Talent, das sich dann aber nicht so entfalten konnte - Mozart ist auch schon früh gestorben, aber Linley eben schon mit 22. J OnATHAn S ELLS : Eben. Da gibt es was ganz Berührendes, gerade in diesem Stück, das wir aufführen, denn der Text sehnt sich nach einem neuen Shakespeare, einem neuen Ge- nie. Leider konnte Linley diese Aufgabe nicht erfüllen, weil er so früh gestorben ist. „Es geht also in dem Stück um Shakespeare - aber die Texte sind nicht von Shakespeare, oder? J OnATHAn S ELLS : Nein, es gibt keinWort von Shakespeare selber, es ist sehr poetisch ge- schrieben. Es wurde geschrieben gerade in einer Zeit, wo das 18. Jahrhundert Shakes- peare quasi als Gott neu erfunden hat. Sieben Jahre vor der Uraufführung dieses Stückes gab es ein riesiges Shakespeare-Jubiläum, wo Shakespeare wirklich in den Himmel geho- ben wurde als fast göttliche Figur in der Vor- stellung der Zeit damals. Der Schriftsteller, der das Libretto geschrieben hat, war sehr, sehr jung, mit 17 Jahren noch jünger als Lin- ley damals, er hat diese Idee übernommen, BR Klassik 19 Dresdner Kammerchor und Barockorchester Foto: Hanno Meier

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