Tage Alter Musik – Almanach 2016

28 Pulcinella Orchestra Seit über 30 Jahren finden in Regensburg zu Pfingsten die „Tage Alter Musik“ mit Klän- gen zwischenMittelalter und Romantik statt. Im Mai dieses Jahres traten Ensembles aus zwölf verschiedenen Ländern auf, die die historischen Kirchen und Säle der Stadt mit musikalischem Leben füllten. Das französi- sche Pulcinella Orchestra war eines davon. Am Pfingstsonntag präsentierte das renom- mierte Ensemble in der Dreieinigkeitskirche ein Programm mit Sonaten, Sinfonien und Konzerten von Carl Philipp Emanuel Bach. Heute Abend hören Sie hier unsere Auf- nahme des Konzertes sowie Auszüge aus ei- nem Gespräch mit der Cellistin Ophélie Gaillard, der künstlerischen Leiterin des Pul- cinella Orchestra; dazu begrüßt Sie Thomas Daun. ” O-Ton: Ophélie Gaillard „La base de cet ensemble…” „Die Basis unseres Ensembles ist im Grunde ein vergrößertes Con- tinuo; es gibt keine hierarchische Struktur – nur eine künstlerische Leitung. Ich dirigiere immer vom Violoncello aus, auch bei großen Aufführungen, etwa Oratorien. Wir arbeiten also eher kammer- musikalisch miteinander. Jeder soll seine Persönlichkeit einbrin- gen, denn alle Musiker unseres Ensembles sind sehr vielseitig. Der Cembalist zum Beispiel, Francesco Corti, ist Professor an der Schola Cantorum in Basel. Je- der von uns verfolgt auch eine Karriere als Solist oder spielt in sehr guten Kammermusik-En- sembles“ Das Programm mit Musik von Carl Philipp Emanuel Bach entwickelte Ophélie Gaillard mit ihrem Orchester 2014 – zum dreihun- dertsten Geburtstag des Komponisten. Die CD gewann damals den renommierten fran- zösischen Schallplattenpreis „Diapason d’or“. Seitdem hat sich das Ensemble immer wie- der mit Musik des zweitältesten Sohnes von Johann Sebastian Bach beschäftigt. ” O-Ton: Ophélie Gaillard „Il est pas tellement...“ „Er wird heutzutage längst nicht so häufig gespielt wie zu seinen Lebzeiten. Damals war er viel be- kannter als sein Vater. Mozart sagte einmal, Carl Philipp Ema- nuel sei der Vater von Komponis- ten wie Haydn, Beethoven und von ihm selbst. Auch wenn Carl Philipp heute vielleicht ein wenig im Schatten seines Vaters steht, ist sein Werk doch äußerst originell. Er geht einen neuen und völlig anderen Weg als Johann Sebas- tian Bach.“ Hier können Sie nun in einer Aufnahme vom 15. Mai aus der Dreieinigkeitskirche in Regensburg das Konzert a-moll für Violon- cello und Orchester von Carl Philipp Ema- nuel Bach hören, in der Interpretation durch das Pulcinella Orchestra. Die Solistin ist Ophélie Gaillard. Musik ” O-Ton: Ophélie Gaillard „Dans ce programme…” „In diesem Programm stellen wir Stücke aus dem konzertanten Re- pertoire, eine Sinfonie und Kam- mermusik nebeneinander. Wir wollen damit die verschiedenen Facetten dieses Komponisten auf- zeigen. Jedes Mal, wenn er eines dieser Genres in Angriff nimmt, sei es ein Konzert, eine Sinfonie oder Kammermusik, macht er eine Re- volution daraus. In der vorange- gangenen Epoche, also in der Ba- rockzeit, stand immer die Form im Vordergrund: die Strukturen wa- ren wichtiger, die Affekte zwei- trangig. Jetzt spricht man plötzlich von „Empfindsamkeit“, von der Gewalt der Gefühle. Kontraste werden wichtig – sehr unterschied- liche Gefühle stoßen aufeinander: etwa Zärtlichkeit und Zornesaus- bruch. Bach übersetzt diese Ge- fühle musikalisch durch Nuancen, durch brüske und plötzliche Wech- sel im Tempo, in der Phrasierung oder Artikulation. Und diese Ge- fühle entscheiden über die Form des Stücks. (...).“ Soweit die künstlerische Leiterin und Cellis- tin des Pulcinella Orchestras. Ophélie Gail- lard. Ein anschauliches Beispiel für die unkon- ventionellen Kompositionsideen von Carl Philipp Emanuel Bach stellt die Triosonate c-Moll dar. „Gespräch zwischen einem San- guineus und einemMelancholicus“ – so be- zeichnete Bach das Motto des Stückes in ei- nem Untertitel. ” O-Ton: Ophélie Gaillard „Un autre example…” „(…) In der Sonate „Sanguineus und Melancholicus“ setzt er zwei Personen auf die Bühne, man könnte auch sagen: er lässt zwei sehr unterschiedliche Charakter- züge einer einzigen Person gegen- einander antreten. Der eine ist Sanguiniker, fröhlich, voller Ener- gie, der andere melancholisch, man könnte sagen fast depressiv, voller Schmerzen. Bach lässt diese beiden Personen in einen Dialog treten. In ein- und demselben Takt hört man die beiden so unterschiedlichen Aspekte einer Person, eine regelrecht schizoph- rene Persönlichkeit. Das ist etwas völlig Neues.“ Hören Sie die Triosonate c-Moll für zwei Violinen und Basso continuo von Carl Phi- „Musik-Panorama“ // 1. August 2016 // Autor: Thomas Daun

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