Tage Alter Musik – Almanach 2016

neuen Kombinationen formierten sich So- listen, Chöre und das Orchester und breite- ten die ganze Vielfalt des mehrchörigen Komponierens aus, wie es Schütz in Venedig erfahren hat. Gleichfalls beeindruckt zeigten sich die Zu- hörer vom – nicht selbst besuchten – Kon- zert des European Union Baroque Orchestra (EUBO) in der Basilika St. Emmeram. Das Orchester setzt sich zusammen aus jungen Musikern aus ganz Europa; es wird von der Europäischen Kommission unterstützt und von ihr als Kulturbotschafter eingesetzt. 1985 war das Orchester zum ersten Mal in Regensburg, unter der Leitung von Roger Norrington. Dieses Jahr stand es unter der Leitung der Geigerin Rachel Podger und war mit Klassikern des Repertoires angereist, darunter Concerti grossi von Händel. Wie nicht anders erwartet, setzten wieder, mitten in der Nacht bei den Nachtkonzerten, Vokalensembles Glanzlichter auf das Pro- gramm. Die italienische Gruppe La Com- pagnia del Madrigale – zwei Damen, vier Herren - interpretierte Madrigale von Carlo Gesualdo als herzzerreißende Minidramen von der Liebe gepeinigter Seelen; die ameri- kanische Vokalformation „Cut Circle“ war- tete mit makellosem Ensemblegesang und einem Programmmit Werken von Desprez, Ockeghem und Du Fay auf. Schönheit wie im Symphoniekonzert Wie schon öfters an dieser Stelle gesagt: Aus Regensburg nimmt der Liebhaber der Alten Musik einen Hörvorrat für ein ganzes Jahr mit, bis zum nächsten Festival. Eindrücke, die einen lange beschäftigen und zu weiteren Hörabenteuern anregen, sei es im Konzert, sei es auf CD. Ein weiterer Eindruck drängte sich auf: der schon erwähnte Hang zur Perfektion. Er er- gibt sich auch in dieser Szene gewiss gleich- sam natürlich. Die Musikerinnen und Mu- siker erhalten immer bessere Ausbildungen, Alte Musik ist an den meisten Hochschulen etabliert, an Spezialinstituten wie der Schola Cantorum in Basel unterrichten absolute Meister ihres Fachs. Allerdings führt das auch dazu, dass sich vor allemOrchester im- mer mehr als aufführungspraktische Versio- nen etablierter Symphonieorchester geben. Das war hier bei Barokkanerne und Pulci- nella zu hören, und auch am EUBO wurde diese Perfektion geboten. Freunde des „Ori- ginalklangs“ vermissen schon das Raue, Kratzige, Ungeschönte der frühen Ensem- bles wie eines Concentus Musicus Wien oder die Verwegenheit eines Giardino armo- nico. Heute schnurrt vieles imOriginalklang ab wie eine gut geölt Präzisionsmaschine, früher hingegen schnaufte, ächzte die Mu- sik. Ein Ensemble, das denMut zeigte, die Arbeit an der Musik auch hörbar zu machen, war „Les Basses Reunies“ unter seinem Leiter, dem Cellisten Bruno Cocset, im Barockde- lirium des Raums der Alten Kapelle. Hier wackelte so manches, aber in den Sätzen von Bach und den Konzerten von Vivaldi war eine ganz besondere seelenvolle, individua- listische Musikalität aller Beteiligten auszu- machen. Ähnlich stark berührte das Konzert des Bläserensembles „Zefiro“. Ursprünglich als Freiluftkonzert gedacht, musste es wegen Regens in der Oswaldkirche stattfinden. „Zefiro“ ist nun kein Neuling in Regensburg mehr, aber es gelingt demGründer Alfredo Bernardini und seinen Herren mit ihren Flö- ten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Posau- nen, Hörnern und dem Schlagzeug immer wieder, einen akustischen Paukenschlag zu hinterlassen. In Sätzen von Haydn, Mozart, Rossini und Donizetti wurden Geist und Seele aufs Feinste „verwirret“, um eine Bach- kantate zu zitieren, imGrunde zu Prozessio- nen nach Italien entführt, wo Oboen quä- ken, Klarinetten kreischen, Posaunen schep- pern und Fagotte knarzen. Und das alles bei größter Kunst und höchster Spielfreude, ab- seits des Mainstream. Und noch lange war nicht alles gehört, denn das Festival wartete an seinen dreieinviertel Tagen mit sechzehn Konzerten auf, plus Rahmenveranstaltungen. Man merkt, wie das Programm gespeist ist von der Begeiste- rung und der Sachkenntnis der Veranstalter. Aber man resigniert auch leicht vor der Fülle, weil es dann doch zu viel wird, weil die wunderbaren Versuchungen mit sehr viel Sitzfleisch bezahlt werden müssen. Schön wäre es, einmal eines der großartigen Vokal- ensembles der Nachtkonzerte auch bei Tag hören und goutieren zu können. Nach 22.45 Uhr ist es doch arg spät und die Konzentra- tion wurde bereits reichlich gefordert. Es tre- ten dort die Besten ihres Faches auf, und ihre Leistung sollte mit voller Energie bewundert werden können. KlassikInfo.de 32 Tiburtina Ensemble Foto: Hanno Meier

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