Tage Alter Musik – Almanach 2016

Mittelbayerische Zeitung 37 Tänze am Hof der spanischen Vizekönige in Neapel im17. Jh. waren nicht nur zumZeitver- treib da, sondern hatten zeremoniellen Char- akter. Alles war genau festgelegt: wer mit wem tanzte, wer eröffnete, dass die Vizekönigin nie- mals tanzte. Eine Sammlung solcher Musik er- schien um 1650. Komponist war der Italiener und Lautenist Andrea Falconieri, der sowohl in Italien als auch in Spanien gelebt hat und lange Kapellmeister am neapolitanischen Hof war. Die Gruppe La Ritirata aus Spanien, die sich um ihren Leiter, den Cellisten Josetxu Obregón schart, brachte diese Musik auf höchst farbige Art und Weise zum Klingen. Il Spiritillo Brando heißt ihr Programm und auch ihr Al- bum. Spiritillo das ist nach dem Volksglauben ein himmlisches Wesen, das in den Straßen Neapels versucht, die Fehler der Menschen zu rechtfertigen. Und Brando ist die italienische Bezeichnung für den französischen Renaissan- cetanz Brando. Und was La Ritirata aus dieser Musik macht, das ist ein wahres Feuerwerk, zu erleben bei den Tagen Alter Musik am Samstag im Regensburger Reichssaal. Da erklingen Tänze genauso wie Sonaten oder Diminutio- nen über bekannte Melodien, Bizzarerien, En- sembles und Solos. Jeder der vorzüglichen jun- gen Musiker darf mal imMittelpunkt stehen, auch das Cello, das ja sonst vorwiegend imGe- neralbass abtaucht. Von Domenico Gabrielli hörte man ein Ricercare, eine der ersten über- lieferten Kompositionen für Violoncello solo überhaupt. Auch andere komponierende Cellisten, wie G.B. Vitali oder Jacchini hörte man, typische Gitarrenmusik von Kapsberger oder Sanz, Chaconnen, Passacaglien und Folias. Im Zen- trum des Programms standen aber doch die meist größer und farbig besetzten Stücke Fal- conieris. Blockflöte und Violine zeigten sich als tolles Gespann, unterstützt von den General- bassinstrumenten und dem Perkussionisten David Mayoral, der mal zurückhaltend, mal hervortretend Akzente setzte. Das Konzert war dramaturgisch sehr klug in- szeniert. Die Zupfinstrumente sorgten oft für die nahtlosen Übergänge zwischen den einzel- nen Werken, die Blöcke waren abwechslungs- reich kombiniert. Gegen Ende verdichtete sich alles, da rockte man mit Gaspar Sanz’ Canario schon mal den Reichssaal, bis mit Falconieris Battaglia das Konzert martialisch zu Ende ging. Fantastische Musik, ein fast im Hintergrund agierender Leiter, ein stützender Generalbass, farbig und abwechslungsreich besetzt: eine äu- ßerst kurzweilige Konzertstunde der Ober- klasse. Ein musikalisches Feuerwerk gezündet Fantastische Musik, farbig und abwechslungsreich besetzt: Das Ensemble La Ritirata aus Spanien im Regensburger Reichssaal Von Claudia Böckel, MZ Das Ensemble La Ritirata im Historischen Reichssaal des Alten Rathauses Foto: altrofoto.de Wie sich das Leben amHofe Wenzeslaus’ II. trotz der eindeutigen historischen Bezüge auf die Biographie von Judith Guda und ganz allgemein um 1300 abspielte, davon be- kamen die Zuhörer beim Auftritt des 2008 in Prag gegründeten Tiburtina Ensembles bei den Tagen Alter Musik einen guten Ein- druck. Schwebend, nahezu entrückt und außerordentlich zart im Detail der Durch- hörbarkeit gestaltete die Sopranistin Barbora Kabátková Freitagnacht in der Schottenkir- che ihren Vortrag. Vollkommen kontrolliert, auf ein einheitliches Zentrum bezogen, unterstützen sie dabei die anderen Sängerin- nen bei der Wiedergabe von Minneliedern aus dem „Frauenlob“ von Heinrich von Mei- ßen. Dabei wurde auch deutlich, dass am Hofe der Fürsten Lieder in großer thematischer Bandbreite dargeboten und geschätzt wur- den. Nachdenkliche Texte wechselten sich ab mit stark sinnlich geprägten Liedern und Rückgriffen auf das traditionelle Fürstenlob. Hier war der Text die Hauptsache und wurde durch eine relativ einfache, gemessen an der damaligen Zeit aber durchaus ein- fallsreiche Melodie vervollständigt. Mit durchdachter Artikulation wurden die bei- den Lectiones – Dudum contracta sic fit om- nio von Abt Peter von Zittau aus der Chro- nik des Klosters Königsaal bei Prag und dem Matthäusevangelium – vorgetragen. Zu den Klängen mittelalterlicher Harfen ge- sellte sich auch der feine Ton des Fiedelspiels von Thomas Wimmer. Sein mit großer Hin- gabe musiziertes „Meie, din liehter schin“ des Neidhart von Reuental gehört zu den Er- lebnissen, die das Zeitgefühl außer Kraft setzten. Nichts wirkte in diesem Konzert überladen. Die Musiker vertrauten ganz der emotionalen Kraft der im Hochmittelalter entstandenenWerke. Auch im romanischen Kirchenschiff entfalteten die Lieder, die für höfische Darbietungen gedacht waren, ihren Zauber. Die Zuhörer bedankten sich bei den Inter- preten für ihre alle Farben und Finessen der Stücke ausleuchtenden Darbietung mit lang anhaltendem Applaus. Musikalisches Porträt des Mittelalters Schwebend und außerordentlich zart im Detail: Das Nachtkonzert mit dem Tiburtina Ensemble in der Regensburger Schottenkirche. Von Ulrich Alberts, MZ Tiburtina Ensemble Foto: altrofoto.de

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