Tage Alter Musik – Almanach 2016

Mittelbayerische Zeitung 42 abrupte Wechsel der Äußerungen beider en- det und der Sanguiniker den Gegenspieler mit seinem Temperament mitreißen kann: So komponierte es Carl Philipp Emanuel Bach in einer c-Moll-Triosonate. Die Auf- führung der Sonate bildete den spektakulär- sten Programmpunkt beimAuftritt des Pul- cinella Orchestra im Rahmen der Tage Alter Musik. Ganz Carl Philipp Emanuel Bach gewidmet war das Konzert am Sonntagabend in der Dreieinigkeitskirche. Das aus Frankreich an- gereiste, im Continuopart nicht vom Cem- balo, sondern bereits vom „modernen“ Hammerflügel unterstützte Streicherensem- ble interpretierte aus den „Hamburger Sin- fonien“ jene in h-Moll (und gab am Schluss noch zwei Sätze der C-Dur-Sinfonie zu). Ganz als „Sturm und Drang“ wirkte Bachs Musik mit ihren erregten, gezackten Figu- ren, kraftstrotzenden Unisono-Themen, ab- rupten Pausen und jähen harmonischen Wendungen, doch auch untermischt mit zart-empfindsamen und sogar einigen we- nigen galanten Wendungen. Etwas verblüfft blickte man auf den Mann, der den Kontra- basspart innehatte: ähnelte er nicht bis aufs Haar Frank Wittich, einemMitglied des Re- gensburger Philharmonischen Orchesters? Und in der Tat: dieser war dankenswerter- weise kurzfristig für einen erkrankten fran- zösischen Kollegen eingesprungen. Ophélie Gaillard, die Gründerin des Pulci- nella Orchestra, stand im Mittelpunkt des Konzerts. Auf ihrem Barock-Cello gestaltete sie die Solopartien in Carl Philipp Emanuel Bachs Cellokonzerten in a-Moll und A-Dur. Gedeckt und leicht nasal ertönte ihr Instru- ment, auf dem sie ungemein beweglich zu musizieren verstand: mit schnellen Passagen und Akkordbrechungen, Doppelgriffen und Ausflügen in die Diskantlage, aber auch mit intensiv sanglichen Abschnitten, in denen sie das Melos mit geschmackvoll eingesetz- tem Vibrato belebte. Kraftstrotzend, aber auch empfindsam Das Pulcinella Orchestra aus Frankreich spielte in der Dreieinigkeitskirche Regensburg Musik von Carl Philipp Emanuel Bach Von Gerhard Dietel, MZ Das Pulcinella Orchestra aus Frankreich in der Regensburger Dreieinigkeitskirche Foto: altrofoto.de Es ist das Bild, das den Besuchern des Nacht- konzerts am Pfingstsonntag in der Dominik- anerkirche in Erinnerung bleiben wird: Die Vokalisten von CutCircle aus den USA ste- hen dicht gedrängt vor einem großen Chor- buch, Schulter an Schulter. Jesse Rodin po- sitioniert sich als „primus inter pares“ am Pult, gibt die Impulse und blättert die riesi- gen Seiten der „Missa Ecce ancilla domini“ von Guillaume Du Fay. Das ist authentische Aufführungspraxis vom Feinsten und er- zeugte am Schluss des Konzerts eine völlig neue, dichte Klangkultur im Vergleich zur der üblichen chorischen Aufstellung des Abends. Unter demmehrdeutigen, vielleicht auch ironisch gedachten Konzerttitel „My Fair Lady“ verbargen sich Werke der Ma- rienverehrung, kontrastiert von höfischen Chansons des 15. Jahrhunderts. Die Welt der Renaissance trennte in der Musik nur gering die geistliche und weltliche Liebe und Ver- ehrung. So verzahnte das intelligente Pro- grammMotetten und Chansons von Du Fay, Antoine Busnoys und Johannes Ockeghem. Die acht Sänger traten in verschiedenen Be- setzungen auf, stets in bester Intonation und einer unglaublichen Souveränität bei der Ge- staltung der hochkomplexen Partituren. Er- staunlich war auch, wie eine Truppe ausge- wachsener Individualisten mit Charakter- stimmen zu solch einem homogenen Klang- körper zusammenfanden, manches Mal so- gar verschmolzen. Dabei war Schönklang nicht das Ziel. Ganz eng orientiert am Text wurde auch zupackend und kräftig musi- ziert. Auch bei der abschließenden Messe, ganz eng aneinander stehend. Den Atem des anderen im Genick. Dieses Bild wird blei- ben. Schulter an Schulter vor dem Chorbuch Authentische Aufführungspraxis vom Feinsten: Cut Circle faszinierte mit dem Nachtkonzert in der Dominikanerkirche Regensburg Von Andreas Meixner, MZ Cut Circle Foto: Hanno Meier

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