Tage Alter Musik – Almanach 2016

Mittelbayerische Zeitung 46 Sieht man sein von Gainsborough gemaltes Porträt, meint man den jungenMozart zu er- blicken, so sehr ähnelt er ihm in Gewandung und Haartracht. Doch handelt es sich umden englischen Komponisten Thomas Linley, der wie Mozart im Jahr 1756 geboren wurde und mit diesemwährend seiner Studienzeit in Ita- lien zusammentraf. „Tommasino, wie er dort genannt wird, und der kleine Mozart werden in ganz Italien als die vielversprechendsten Genien unseres Zeitalters betrachtet“, berich- tete der englische Musikschriftsteller Charles Burney von dieser Begegnung. Doch Linley blieb wenig Zeit, sein Talent weiter zu entfal- ten: Gerade als er sich im britischenMusikle- ben zu etablieren begann, ertrank er, eben zweiundzwanzig Jahre alt, bei einem Boots- unfall. Mutige Programmplanung Wer nun wissen wollte, wie die Musik dieses „englischen Mozart“ klingt, hatte beim Ab- schlusskonzert der „Tage Alter Musik“ am Montag in der Regensburger Dreieinigkeits- kirche Gelegenheit, einem seiner wenigen großen Werke zu begegnen: der „Lyric Ode on the Fairies, Aerial Beings and Witches of Shakespeare“, aufgeführt in Zusammenarbeit zwischen dem von der Geigerin Julia Schrö- der geleiteten Schweizer Orchester „Les Pas- sions de L’Ame“ und Jonathan Sells britischem Gesangsensemble „Solomon’s Knot“. Es war eine mutige Programmplanung der Festivalmacher, ein derart ungeläufiges Werk an den in früheren Jahren stets besonders ak- zentuierten Schluss der „Tage Alter Musik“ zu setzen, aber auf die Offenheit und Neugier der Festivalbesucher ist offenbar Verlass. Zwar nicht ganz ausverkauft, aber doch be- stens gefüllt mit Hörern war die Dreieinig- keitskirche, und nach demEnde der Auffüh- rung wurden die Musizierenden so lange be- jubelt, bis sie den wuchtigen Finalchor des Werks als Zugabe wiederholten, in dem es be- schwörend heisst: „O gib unserer Insel einen neuen Shakespeare!“ Dramatisches Talent Ein wenig seltsammutet der von French Lau- rence verfasste Oden-Text an, der nur aus dem Zeitgeist, einer neu erwachten Shakes- peare-Begeisterung im späteren 18. Jahrhun- dert heraus zu verstehen ist. Überschwänglich auch Laurences Poesie, die aus Shakespeare geradezu eine Messias-Figur macht und zu- gleich die übernatürlichen Erscheinungen in seinen Dramen in den Vordergrund stellt: die Elfen, wie sie im „Sommernachtstraum“ er- scheinen, die freundlichen Luftgeister von der Art des Ariel aus dem „Sturm“, doch auch die Hexen des „Macbeth“. Wie aber klingt Linleys zu diesem Libretto komponierte Musik? Am wenigsten nach Mozart, allenfalls fühlt man sich in einigen wenigen Momenten an Haydns spätere Ora- torien erinnert. Doch ist es keinWunder, dass Linleys Kunst kaumBerührung mit der Wie- ner Klassik zeigt, sondern in guter britischer Tradition wurzelt. Manchmal scheint diese bis zu Henry Purcell zurückzureichen, vor al- lem aber ist der Einfluss von Georg Friedrich Händels Oratorien übermächtig: sowohl in den Arien als auch in den Chorsätzen, zumal in deren polyphonen Höhepunkten. Das überrascht nicht, war Linley doch mit Hän- dels Musik vertraut und führte einst selbst dessen „Messiah“ im Londoner Drury Lane Theatre auf. Spektakulärer Koloraturgesang Wirkungsvoll weiss Linley diese Überliefe- rung zu zitieren und fortzuführen. Man spürt auch sein dramatisches Talent, vor allem im zweiten Teil des Werks, der sich in jäher Ver- düsterung der dunkel-dämonischen Hexen- welt zuwendet, mit schlagkräftigen Orches- ter-Akzenten und geschickter Klangmalerei. Hier treten aus dem achtstimmigen Ensemble von „Solomons Knot“ die Bassstimmen als „Fearful observers“ hervor, während zuvor, im eher idyllischen ersten Teil, die beiden So- prane in den Rollen von „Spirit of Avon“ und „Fancy“ die Hauptaufmerksamkeit auf sich ziehen – mit viel inniger Lyrik, die Linley je- doch oft unerwartet in spektakulären Kolo- raturgesang münden lässt. Vorzügliches leistet auch das Orchester „Les Passions de L’Ame“, wobei die Streicher die Hauptakzente setzen, während die Bläser eher färbend und, was die Trompeten betrifft, krö- nend hinzutreten. Nur selten sind sie selbst- ständiger geführt, wie in dem hübschen, der Ouvertüre angehängten „Minuetto“. Und ein- mal haben auch die Hörner einenmagischen Moment: im romantische Naturstimmungen vorausnehmenden „There in old Arden’s“. Da ahnt man, wohin Linley sich noch hätte ent- wickeln können, wäre ihm längeres Leben vergönnt gewesen. Klänge des „englischen Mozart“ Thomas Linleys „Lyric Ode“ an Shakespeare bei den Tagen Alter Musik in Regensburg: Das Publikum jubelte Von Gerhard Dietl, MZ Garderobe für Hornequipment Foto: Privat Übertragungswägen des Bayerischen Rundfunks Foto: Hanno Meier Les Passions de L’Ame und Solomon’s Knot Foto: altrofoto.de

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