Tage Alter Musik – Almanach 2016

Mittelbayerische Zeitung 47 REGENSBURG. Freitagabend. Haydns Klangpracht schallt durch die Dreieinig- keitskirche. In vorderster Reihe wippt sachte eine weiße Mähne, ein Fuß tippt lautlos auf den hölzernen Boden der Bankreihe, präzise im Takt. Hans Meier-Scherrmann folgt ge- bannt den ersten Tönen des Festivals. Mit seiner Frau hat er sich zum Eröffnungskon- zert eingefunden – zum 29. Mal. Dass der 77-Jährige eine Konstante des Fes- tivals ist, merkt man schon vor Konzertbe- ginn. Souverän mischt sich Meier-Scherr- mann in das Getümmel am Hauptportal und erspäht die Väter des Festivals, Ludwig Hartmann und Stephan Schmid. Seine Freundschaft zu Hartmann hat den pensio- nierten Lehrer erstmals 1987 zum Festival geführt. Seither ist er jedes Jahr wiederge- kommen. Auch heute wechseln die Männer lockere Worte. Die Stimme des Gasts aus Germering klingt munter, jungenhaft, und aus dem Blick durchs Brillenglas blitzt Witz hervor. Wenig Lack, viel Wärme DemVeranstalter-Duo sieht man jetzt Span- nung und Vorfreude an. Eineinhalb Jahre Arbeit münden in vier Tage mit 16 Konzer- ten. Ensembles aus zwölf Ländern formen das Programm. „Wenn jetzt noch was fehlen würde, hätten wir etwas falsch gemacht“, konstatiert Stephan Schmid. Konzert Nummer eins kann beginnen. Das Publikum strömt herein bis die ersten Ton- kaskaden erklingen. Der spezielle Sound dieser Tage zeichnet sich sofort ab: Wenig Lack und Glanz, dafür viel Wärme. Die Oboen näseln in Klangfülle, die Hörner schallen mit waidmännischer Force. In diese Festlichkeit bricht ein mediales Aufgebot, das vom Rang dieses Events zeugt: Kameras, Mikrophone, Scheinwerfer. Als die Zu- schauer in die Nacht entlassen werden, ver- mengt sich viel Geplauder mit dem fernen Donner des Maidult-Feuerwerks. Hartmann schwingt sich aufs Rad hin zum nächsten Konzertort. Beherzt und hemdsärmelig, auch mit Jeansjacke, so managt er alles. Hans Meier-Scherrmann zieht sich nun in sein Pfingst-Domizil zurück. „Der Auftakt war sogar better than expected“, lächelt er. Die Nachtkonzerte sparen sich die Germe- ringer diesmal. Viele andere ziehen weiter zur Schottenkirche. Tiburtina aus Prag bringt eindrückliche Vokalmusik aus dem 13. Jahrhundert zu Gehör. Eine Spur von Weihrauch hängt sogar in der Luft. Die Bandbreite des Fests ist somit fast schon ge- spannt: Vom Mittelalter bis zur frühen Ro- mantik umfasst es über 500 Jahre Musikge- schichte. Man merkt bald, dass der herzliche Applaus der Nenner des Publikums ist. Die Wertschätzung für die Künstler wird spür- bar. Freunde der Alten Musik sind von weit her angereist. „Samstagnachmittag kommt oft der erste Durchhänger. Aber man will hier einfach nichts verpassen“, erzählt eine Lübeckerin. Regensburg bietet dieser Klanggeschichte eine besondere Bühne. An den zehn Spiel- orten, vom mittelalterlichen Reichssaal bis zum klassizistischen Neuhaussaal, schwingt Historie mit. Dem Bogen der Architektur folgt die Konstruktion des Festivals. Sowohl für Gesualdos Madrigale als auch für Joseph Haydns Sinfonien – es findet sich ein pas- sender Rahmen. Am zweiten Tag ist die Aufregung des Auf- takts einem gemütlichen Treiben gewichen. Die Meier-Scherrmanns schlendern zum Salzstadel, dem Festival-Infozentrum. Dort finden die Eröffnungsreden statt. Hartmann wirbt für mehr Förderung, auch seitens der Landesregierung. Als Lehramtsreferendar hatte Hartmann mit Schmid das Projekt 1984 gegründet. Heute erfreut sich das Fes- tival internationaler Bekanntheit, vor allem in der blühenden Nische der Alten Musik. Was erhalten geblieben ist: die familiäre Atmosphäre. Ein fester Kern an Fans gibt sich hier ein Stelldichein. Man kennt und grüßt sich. „Immer dieselben Köppe“, fasst Meier-Scherrmann das Phänomen ver- schmitzt zusammen. Das Paar sitzt bei je- dem Konzert in der ersten Reihe. Schnell entsteht eine Sogwirkung. Der musikalische Strudel beschleunigt sich und ein Klanger- lebnis jagt das nächste. Das Konzert des Dresdner Kammerchors zählt zu den Höhe- punkten. Sie bringen die „Psalmen Davids“ von Heinrich Schütz zumKlingen. Doch das Credo des Paars aus Germering bleibt recht schlicht: „Wichtig ist, dass man merkt, dass die Musiker Spaß haben.“ Sie kennen die akustischen Tücken Wenn das Paar aber über die Spielorte sin- niert, blitzt gereiftes Fachwissen auf. Sie ken- nen die akustischen Tücken einzelner Orte und was den Klang betrifft, sind sie sensibel. Denn diese eigene Tonalität der Alten Mu- sik, die sich mit der Suche nach dem authen- tischen Klangerlebnis verbindet, führt sie je- des Jahr hierher. Unplugged, ohne Wucht und Verzerrung, so soll es sein. „Bei dieser Musik braucht man keine Tricks und keine Verstärkung“, findet Scherrmann. Wenn am Montagabend die letzten Töne verklungen sind, wandern die Karten 2016 wieder in die alte Erinnerungskiste in Ger- mering. – 7000 Karten hat das Festival zu vergeben, fast alle Konzerte sind ausverkauft. Auch 2017 werden in jedem Saal und jede Kirche zwei Plätze reserviert sein, für Hans Meier-Scherrmann und seine Frau. Natür- lich in allererster Reihe. Der Musikfreund aus Reihe eins Die Tage Alter Musik haben einen festen Kreis an Fans. Wie Hans Meier-Scherrmann: Er versäumt seit 29 Jahren kein Festival Von Veronika Lintner, MZ Hans Meier-Scherrmann und seine Frau Wiltraud, regelmäßige Festival-Gäste Foto: Hanno Meier

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