Tage Alter Musik – Almanach 2016

50 Die Schönheiten und Kuriositäten des al- ten Regensburgbekommt das Publikum aus ganz Europa gratis dazu. Schon allein in St. Emmerameine antik-karolingisch- romanisch-barocke Vergangenheit, wo man vor einem Konzert der „Tage Alter Musik“ auch noch schnell die Epitaphien studieren kann: für einen Joseph Perper- schlager, einst fürstlicher„Silber-Diener“. Oder für Johann Egl, der noch am 21. April 1945 kurz vor Kriegsende hingerich- tet wurde: als Mesner und Luftschutzpoli- zist wegen seiner Kritik an Hitler und den „Schrecken des Krieges“. REGENSBURG—Das Konzert dann in der Kirche und in überbordender Asam-Deko- rationspracht beschäftigt sich mit einem durchaus modern klingenden Thema: den Bedingungen des Musikmarkts im18. Jahr- hundert und führt dazu vor, was damals pro- minent im Angebot war. Das jung besetzte „European Union Baroque Orchestra“ mit der charmanten Rachel Podger als Primaria zeigt in geschickt gewählten Stücken die Marktführer von damals: Lully, Vivaldi, Händel, mittendrin auch einen Unico Wil- helm van Wassenaer. Dessen „Concerto ar- monico“ war damals ein Zugeständnis ans konservative Publikum – schließlich musste der Diplomat und komponierende Schloss- herr auch kein Geld damit verdienen. Ansonsten spielen die jungen Leute mit fri- schem Zugriff das Wichtigste zum Markt- und-Mode-Thema: aus einem gravitätischen Operaballet Lullys, den elegant-imitatori- schen Streicherschwung von Albinoni bis hin zu Händels behender Blockflöten- und Oboenartistik: für alles war Rachel Podger ein mitreißendes Motivationswunder für die Musiker aus zehn europäischen Ländern. Norwegen war dabei nicht gerade dasjenige, das man mit „Alter Musik“ in Verbindung bringt. Aber ausgerechnet aus Oslo kamen die „Barokkanerne“ zu ihrem Regensburg- Debüt. Haben sich allerdings mit Alfredo Bernardini den Mann als Dirigenten und Oboensolisten ausgesucht, der wohl über- haupt am meisten an den 32 Jahren „Tage Alter Musik“ in Regensburg war. „Barocke Kerle“ So wie die heftig attackierenden „Barocken Kerle“ Telemann und Bach spielen, liebt das kundige Publikum die altenMeister: mit his- torischen Instrumenten und alten Bögen, gemischt die Klangfarben von Oboe d’amore und da caccia, in hinreißender Spannung wie in den Passepieds von Telemanns Ou- vertüre B-Dur oder mit dem balsamischen Alt von Marianne Beate Kielland in den Bachkantaten BWV 170 und 35: Sie kontra- stiert innig-weiche Melodienlust mit dem Ekel am sündigen Leben und demonstriert höchstmögliche Kantaten-Kompetenz. Bis zu drei Oboen wirft Bernardini in die Oboen-Bataille bei Telemann und in St. Os- wald: instrumentale Hochglanz-Dramatik und Jubel für die Entdeckung aus dem ho- hen Norden. Nur ein paar Schritte und eine abendliche Jausen-Pause weiter noch so ein Gipfel im Regensburger Vier-Tage-und-16-Konzerte- Programm: Hans-Christoph Rademann führt ein weiteres Kapitel seines Heinrich- Schütz-Zyklus’ mit den „Psalmen Davids“ in der Dreieinigkeitskirche vor. Bei der letzten Ansbacher Bachwoche 2015 waren die „Symphoniae Sacrae“ das Spitzenereignis, inzwischen hat Rademann den „Europäi- schen Kirchenmusikpreis“ bekommen und ist Rillings Nachfolger bei der Gächinger Kantorei. Nach Regensburg bringt er seine Besten mit: den Dresdner Kammerchor und das Barock- orchester. Alle für das Klangwunder der bei Gabrieli in Venedig erlernten Doppelchörig- keit. Jeder Psalm in einer anderen Besetzung für die venezianische Klangpracht mit Zink, Dulzian oder Violone in beständigemWech- sel. Aber die Dreieinigkeitskirche ist nicht der Markusdom, und so bleibt manches vom Wunder der Echowirkungen aus. Trotzdem bewunderte man das geniale Konzept, hätte sich vielleicht einen Regisseur für die Dra- maturgie der ständig neuen Klangfarben und der dialogischen Struktur gewünscht. Am Ende von viel überwältigender Detail- arbeit gab es genauso besinnlich wie ehern einen ergreifenden Schlusspunkt. Manche strömen weiter zum Nachtkonzert in die Minoritenkirche, manche schlafen aus für den nächsten Morgen mit „L’Achéron“ aus Luxemburg im Reichssaal. Außer man hatte sich noch nach dem Nachtkonzert bei „Amore, Vino & Amici“ verquatscht. Sinnenlust und Sündenekel „Tage Alter Musik“ locken viele Gäste nach Regensburg Von Uwe Mitsching

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