Tage Alter Musik – Almanach 2016

52 Festival – prall gefüllt In diesem Jahr boten die Tage Alter Musik in Regensburg mit sechzehn Konzerten ein überreiches Angebot. Originalklangensem- bles aus Deutschland, Europa und den USA gestalteten in der historischen Altstadt an der Donau ein vielfältiges und weitgehend überzeugendes Festivalprogramm mit Mu- sik vom Mittelalter bis zur Romantik. Das für seine langjährige Treue bekannte Publi- kum– viele Gesichter der eingeschworenen Fangemeinde sieht man alljährlich wieder – nahm das Angebot einmal mehr dankbar an, so dass in den Konzerten kaum ein Platz leer blieb. Ein schöner Zug der Veranstalter war, dass man sich nach dem ersten gelungenen Versuch vor zwei Jahren (mit dem Jugend- barockorchester Bachs Erben) wieder für ein Kinderkonzert entschieden hat. Das Ensem- ble sinn&ton führte am Samstagnachmittag „Der Sturm – Ein Jugendstück mit Alter Musik“ nach William Shakespeares gleich- namigem Drama auf. Traditionell zum Auftakt am Freitagabend sang jedoch der am Ort residierende musi- kalische Nachwuchs. Die Regensburger Domspatzen präsentierten sich unter der Leitung von Roland Büchner auf höchstem Niveau mit Joseph Haydns „Paukenmesse“. Die Missa in tempore belli C-Dur aus dem Jahr 1796 ist eine ebenso originell wie indi- viduell gestaltete Komposition und bietet dem Chor große Entfaltungsmöglichkeiten, die die Domspatzen mit Klangpracht und präziser Deklamation nutzten. Den Instru- mentalpart übernahm das österreichische L’Orfeo Barockorchester, das zu Beginn Haydns dreisätzige Sinfonie Nr. 30 „Alleluja“ mit kammermusikalisch transparentem Spiel interpretierte. Die Solisten des Abends waren Yeree Suh (Sopran), Ulrike Mayer (Alt), Uwe Gottswinter (Tenor) und Chris- toph Hartkopf (Bass). Ehe nach der Pause die „Paukenmesse“ erklang, sangen sie, be- gleitet von L’Orfeo, Haydns Salve Regina g- Moll als gleichsam stilles Gebet. Im anschließenden Nachtkonzert erinnerte das tschechische Tiburtina Ensemble an Kö- nig Wenzel II. von Böhmen und seine Frau Judith von Habsburg. Mit Minnesang von Walther von der Vogelweide, Neidhart von Reuenthal u.a. ließen Barbara Kabátková und ihr Ensemble das Publikum in das mu- sikalische Leben am Prager Hof des späten 13. Jahrhunderts eintauchen. Den Erzähl- rahmen bildete ein Marienleich Heinrichs von Meißen, genannt „Frauenlob“. Das gut einstündige Programm war musikalisch ab- wechslungsreich und auf einem beachtlichen Niveau. Durch Stimmpausen (die beiden Harfen mochten sich in der nächtlich kühlen Schottenkirche einfach nicht akklimatisie- ren) und für den durchschnittlich gebildeten Konzertbesucher unverständliche lateinische Rezitationen war es aber leider nicht ohne Längen. Große Bühne für Heinrich Schütz Der Samstagmorgen begann schwung- und temperamentvoll mit Tänzen vom Hof der spanischen Vizekönige in Neapel. Das junge Ensemble La Ritirata aus Spanien brachte die einzigartige neapolitanische Musikkultur des 17. Jahrhunderts, in der italienische und spa- nische Elemente eine faszinierende Synthese eingegangen sind, zumKlingen. Spielfreudig und virtuos zogen die sieben Musikerinnen und Musiker das Publikum im Reichssaal von Beginn an in ihren Bann. In der zweiten Konzerthälfte zeigten die Instrumentalisten in kleineren Besetzungen ihre beachtlichen Fähigkeiten, beispielsweise Daniel Zapico an der Theorbe mit Improvisationen über eine Passacaglia von Giovanni Girolamo Kaps- berger oder Tamar Lano (Blockflöte) mit Diego Ortiz’ Recercadas über „Doulce Me- moire“. Besonders beeindruckte EnrikeSoli- nís (Barockgitarre), der sich mit David May- oral (Perkussion) einen höchst virtuosen Wettstreit lieferte. Gaspar Sanz’ berühmtes Canarios ließ er mit außergewöhnlicher Brillanz und Präzision im Reichssaal wie ein funkensprühendes morgendliches Feuer- werk aufsteigen. Von ihm sollte später noch mehr Erstaunliches zu hören sein! Der Oboist Alfredo Bernardini war schon mehrfach in Regensburg zu Gast. Dieses Mal leitete er in der St.-Oswald-Kirche das Or- chester Barokkanerne aus Norwegen. Auf dem Programm standen von Georg Philipp Telemann eine Ouvertüre B-Dur für drei Oboen, Fagott, Streicher und Basso Conti- nuo sowie das Oboenkonzert c-Moll, außer- dem zwei Solokantaten von Johann Sebas- tian Bach. Barokkanerne stellte sich als ho- mogen aufeinander abgestimmte Formation vor. In Telemanns Tanzsätzen bevorzugten die Norweger frische bis sehr rasche Tempi, wobei klangliche Kontraste deutlicher hätten hervorgehoben werden können. Die Kanta- ten „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ BWV 170 und “Geist und Seele wird verwir- ret“ BWV 35 wurden von Marianne Beate Kielmann mit warmem, in der Tiefe etwas blassem Mezzosopran gesungen. Am selben Ort war Alfredo Bernardini zu- sammen mit seinem Ensemble Zefiro am Montagmorgen noch einmal zu erleben. Dem ursprünglich als Freiluftkonzert ge- planten Auftritt der Italiener machten die Eisheiligen, die am Pfingstwochenende mit kühlem, unbeständigenWetter regierten, lei- der einen Strich durch die Rechnung. Zefiro unterhielt sein Publikum in der St.-Oswald- Kirche nichtsdestotrotz mit kurzweiliger Harmoniemusik u.a. von Wolfgang Ama- deus Mozart, Gioacchino Rossini, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn Bar- tholdy.Im Zentrum des Programms stand die „Türkenmode“ der klassisch-romanti- schen Bläsermusik mit ihren charakteristi- schen Exotismen. Den festlichen Höhepunkt erlebten die dies- jährigen Tage Alter Musik jedoch am Sams- tagabend mit einer Auswahl aus den Psal- men Davids von Heinrich Schütz. Selten hat man Gelegenheit die großbesetzte Musik dieses bedeutenden deutschen Barockkom- ponisten zu erleben, nicht zuletzt, weil der in Venedig von Giovanni Gabrieli in der Mehrchörigkeit unterwiesene Schütz für seine Werke häufig ein großes Aufgebot an versierten Sängern und Instrumentalisten verlangt. So sind die 1619 imDruck erschie- Konzertmarathon bei den 32. Tagen Alter Musik in Regensburg // Autor: Ingo Negwer www.omm.de

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