Tage Alter Musik – Almanach 2016

58 17. Mai 2016 // Autor: Egbert Tholl Regensburg – Ein bisschen neidisch kann man als Münchner schon werden. In der Landeshauptstadt fristet die Alte Musik nach wie vor ein Schattendasein; gäbe es nicht ein paar aufopferungsvolle Veranstalter wie die Tonicale oder Ralf Jaensch, es gäbe praktisch keine Konzerte mit Musik vor Bach, gut, vielleicht mal einen Monteverdi an der Staatsoper, das wäre es dann schon gewesen. Dann fährt man nach Regensburg, zu den „Tagen Alter Musik“, und das erste Konzert am Samstag vor Pfingsten mit Musik von Heinrich Schütz in der wahrlich nicht klei- nen Dreieinigkeitskirche ist überfüllt, und vor dem danach in der Minoritenkirche ste- hen einige Menschen mit „Suche Karte“- Schildchen in der Hand. Da ist es bereits elf Uhr nachts und die Leute begehren Einlass zu einem Konzert mit mehr als 400 Jahre al- ten Madrigalen von Carlo Gesualdo, zu Mu- sik also, die nur von sechs Sängern gestaltet wird, rein a capella, ohne jedes Instrument. Bei diesem Festival hört man internationale Meister ihres Fachs. Natürlich: Die „Tage Alter Musik“ finden in diesem Jahr zum 32. Mal statt, sie dürfen mit Fug und Recht als eines der wichtigsten Fes- tivals für Alte Musik gelten, und die hier ver- sammelten, wirklich internationalen Musi- ker, gehören allesamt zu Meistern ihres Fachs. Vor allem aber stoßen sie hier auf ein ungeheures Interesse, auf Neugier, gepaart mit einem über Jahrzehnte erworbenen Sachverstand. Über die Compagnia del Ma- drigale aus Italien kann man im Programm- heft lesen, sie habe gerade in den Philharmo- nien von Köln und Essen gesungen; am ver- gleichbaren Ort in München würden sie ver- mutlich ein tristes Erlebnis haben, also auf nach Regensburg. Tatsächlich prunken die sechs Sängerinnen und Sänger mit stimmlicher Perfektion, die bei dem frühen Expressionisten Gesualdo keineswegs selbstverständlich ist. Die Ho- mogenität ist atemberaubend, das exakte Aufeinander hören ohnehin. Aber wenn man schon so viel kann und auch so viel weiß über diese Musik, wenn man schon Stücke auswählt, die emotionale Extremver- fassungen ausloten, und zwar mehrheitlich nicht die lustigsten, dann könnte man mit Gesualdos krassen Dissonanzen ein ganz an- deres stimmliches Theater veranstalten. So aber raubt die Kultiviertheit, so beeindru- ckend sie ist, der Musik ihre Exaltiertheit. Winziges Gegenbeispiel unter einer ganzen Horde prächtiger Solisten beim Schütz-Kon- zert davor: Charles Daniels. Sieht aus wie ein britischer Butler, der bald sein 50-jähriges Dienstjubiläum feiert, und singt seinen Te- nor-Part mit einer Inbrunst, die einen fiebrig erfüllt. Das Dresdner Barockorchester und der Dresdner Kammerchor unter seinem Gründer Hans Christoph Rademann führen die „Psalmen Davids“ von Schütz auf, als ein so furios lebendiges Spiel mit Klang, mit dem Raum in immer wieder wechselnden Aufstellungen, dass die Musik völlig frisch erklingt, wie eben entstanden. Schütz ist ein Meister der farbigen Wortexegese, verfolgt keinen sturen Plan, gestaltet immer neu – das wird hier zum Erlebnis! Völlig frisch Zu den „Tagen Alter Musik“ in Regensburg Stühle für St. Emmeram Fotos: Privat Verdiente Pause der Transporteure

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