Tage Alter Musik – Almanach 2016

agierten zugleich als Darsteller (fantastisch hier James Bush, Cello/Caliban), unterbra- chen ihr Spiel bzw. ordneten es der Drama- turgie unter, was eine Rezension der vorge- tragenen Werke von Purcell, Locke, Harst, Sweelinck, Byrd, Lawes, Johnson oder Clarke natürlich ad absurdum führt. Doch die Idee war bezaubernd und verzaubernd: Jung und Alt spielerisch mit Alter Musik zu infizieren –was auch spielerisch gelang! Bach, Telemann, die Altistin Marianne Beate Kielland und das norwegische Orchester Ba- rokkanerne unter dem Dirigat von Alfredo Bernardini (Oboe): Das waren die Zutaten des Folgekonzerts in der St.OswaldKirche. Zur Aufführung gelangten die Ouvertüre B- Dur TWV 55:B10 und das Konzert cmoll TWV 51:c1 sowie Bachs Kantaten Nr. 170 „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ und Nr. 35 „Geist und Seele wird verwirret“. Beide Solisten zeigten sich von ihrer besten Seite, das Orchester agierte mit technischer Bril- lanz, spielte so beseelt wie frech. Henricus Sagittarius, 100 Jahre vor Bach ge- boren, Opfer des verheerenden Dreißigjäh- rigen Krieges lautet dessen Kurzbiographie. 1609 durfte der junge Heinrich Schütz mit der Unterstützung seines Brotherrn nach Italien reisen und bei Giovanni Gabrieli Unterricht nehmen, 1613 kehrte er, inspi- riert von der italienischen Kunstmusik, wie- der zurück. Fünf Jahre später brach der Krieg aus, der das Heilige Römische Reich entvölkern und die Kunstszene völlig zum Erliegen bringen sollte, weitere sieben Jahre später starb Schützens Frau, der Komponist heiratete nie wieder und brach 1628 erneut nach Venedig auf. Seine Psalmen Davids hatte Schütz ab 1613 komponiert, damals war seine Welt noch in Ordnung, obwohl die dunklen Wolken be- reits heraufzogen. Als der vermaledeite Krieg endlich zu Ende war, führte man im Leipziger Dankgottesdienst 1650 sein „Dan- ket dem Herren, denn er ist freundlich“ SVW 45 auf. Mit diesem Psalm eröffneten die neun Solisten, der Dresdner Kammer- chor und das Dresdner Barockorchester un- ter der Leitung von HansChristian Rade- mann ihr Konzert mit zwölf Psalmvertonun- gen am Samstagabend in der evangelischen Dreieinigkeitskirche. Der Vortrag war rund, festlich, packend und spannend inszeniert. Ja, inszeniert, denn Rademann arbeitete mit Echoeffekten, ließ seinen Chor ins Kir- chenschiff wandern und riskierte den Kon- trollverlust in der Überakustik. Doch hier musizierten Profis und die ließen sich nicht irritieren. So endete das Konzert festlich und prachtvoll – buchstäblich mit Pauken und Trompeten! Es folgte das Konzert mit ausgewählten Ma- drigalen von Carlo Gesualdo, Principe da Venosa, in der polarkalten profanierten Mi- noritenkirche. Der Fürst, der in jungen Jah- ren seine vier Jahre ältere, untreue Ehefrau und deren Liebhaber gemeuchelt hatte, ver- fiel in späteren Jahren der Melancholie und Depression. Dazwischen schuf er ein Vokal- werk, das die Tür zum Barock aufstoßen sollte und mit seinen häufigen Ton- artwechseln eine Herausforderung für jedes a cappella Ensemble darstellt. Die zwei Sängerinnen und vier Sänger von La Compagnia del Madrigale schien weder die späte Stunde noch die Temperatur zu stören. Ihr Vortrag der sechzehn Motetten des chromatisch exzentrischen Fürsten war stets präsent, intonationsrein, köstlich und souverän, die Stimmbeherrschung (auch und vor allem im pianissimo und in höch- ster Lage) staunenswert. Anthony Holborne heiratete am 14. Juni 1584 in Westminster. Andere biographische Daten sind von ihm nicht bekannt, was be- merkenswert ist. Denn als Komponist hatte er einiges drauf! Dies galt es dem luxembur- gischen GambenEnsemble L’Archéron zu be- weisen. Wieder gelang eine Überraschung, denn mit solchen (Gamben)Tönen hatte man in der Sonntagsmatinee im Reichssaal nicht gerechnet. Nicht nur Holbornes außer- gewöhnliche Tanzmusik schlug die Hörer in den Bann, sondern vor allem auch das fa- cettenund abwechslungsreiche Ensemble- spiel. Holborne, Hofmusiker Elisabeths I., Toccata 62 ClubMediéval Foto: Hanno Meier

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