Tage Alter Musik – Almanach 2016

Schlaginstrumente und Zefiro verfügt über all das und darüber hinaus über einen schel- mischen Chef! Der ließ es krachen. Meistens. Denn das Programm enthielt durchaus berührende, ja stille Momente, was man einem solchen Instrumentarium gar nicht zutrauen würde. Wenn man aber diese so meisterlich zu spie- len versteht, wie es hier geschah (Paolo Grazzis Oboensolo soll hier genannt wer- den), dann erklärt sich der Erfolg des En- sembles nicht nur hier, sondern vor allem auch in der beinahe 30-jährigen Geschichte des Ensembles. Es ist die Kombination aus Fröhlichkeit und feinsinnigemWitz mit ho- her Musikalität und Seelentiefe, welche das Ensemble auszeichnet. Und, ich habe Tränen gelacht, der Schalk saß natürlich auch in Re- gensburg im Nacken: Zur Zugabe präsen- tierte sich die Gruppe mit angeklebten Tür- kenbärten und roten Fesen. Das war der Vormittag und schon spurtete man zum Frühnachmittagskonzert in die Minoritenkirche, übrigens nach der Domi- nikanerkirche die zweitgrößte Bettelordens- kirche Süddeutschlands – und ebenso kalt in diesen Tagen. Es warteten das belgische En- semble ClubMediéval und Werke des Flo- rentiner Abtes Paul, besser bekannt als Paolo da Firenze (1355–1436). Ballate und Madri- gale erklangen in der Überakustik der Pre- digerkirche, welche den Ausführenden aber keinerlei Schwierigkeiten machte. Man wagte sogar einen Echochor, der die Qualität der Ausführung nur umso plastischer er- scheinen ließ. Denn keinerlei Intonations- schwierigkeiten trübten den Eindruck, ja, vielmehr waren auch noch in der deutlichen Distanz, in der Tiefe des Mittelschiffs, die Einzellinien der Stimmen vor dem schönen Gesamtklang klar erkennbar. Überhaupt ge- riet dieser Vortrag, nur mit Fiedel, Hackbrett und Organetto instrumental unterlegt, schlüssig und spannend, das „Ma’, ria, ver di me pietà“ geradezu triumphal, was sowohl den harmonierenden Timbres der Einzel- stimmen als auch dem Herzblut geschuldet war, welches hier vergossen wurde. Panta rhei symbolisiert die philosophische Lehre Heraklits, alles fließt, oder auch: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss stei- gen. Der Gitarrist Enrike Solinis, der bereits bei La Ritirata mitgewirkt hatte, lud in den Neuhaussaal und zum „Liebeszauber“ des „El Amor Brujo 1715“. „Das Bild, das mir bei dem Begriff Volksmusik in den Sinn kommt, ist das eines Flusses, der sämtliche Epochen durchströmt und sich als unerschöpflicher Quell musikalischer Inspirationen erweist“, schreibt er im Programmheft. Man kann nichts festhalten, nicht die Zeit, nicht das Le- ben, nicht das Hier und Jetzt. Auch die Alte Musik und die Historische Aufführungspra- xis haben sich gewandelt, wandeln sich und werden sich wandeln – die Tage Alter Musik Regensburg haben in ihrer 32jährigen Ge- schichte das ihre dazu beigetragen. Und so war das, was das Euskal Barrokensemble und die FlamencoSängerin Rocio Márquez zum Entsetzen weniger und zur Freude sehr vieler in ihrem Konzert vorstellten, musika- lisch nur folgerichtig. Der Neuhaussaal geriet damit zur Start- rampe in die Welt der Phantasie. Hier war die Genesis der Transition in andere Welten, die Welt der Kinder (Ensemble sinn&ton), die Welt der Sehnsucht nach den Weiten Spaniens, nach demmaurischen Erbe von Al Andaluz, welches sich im Flamenco und in der unsäglichen Trauer der Lieder wider- spiegelte (Euskal). Unglaublich ehrlich und lebendig wurde hier musiziert und – getanzt! Die Flamenco- tänzerin Maria Moreno verstand es ebenso, das Publikum in ihren Bann zu schlagen, wie Enrike Solinis und sein Ensemble. Noten? Sie lagen auf den Pulten, doch musizierte man mit geschlossenen Augen. Und Euskal schuf einen musikalischen Kosmos, den man schwer beschreiben kann, makellos, be- rührend, faszinierend, mitreißend, erschüt- ternd. Alles war Musik, selbst das Stimmen des Instruments, wie das Enrike Solinis vor- führte. Wo hört die Musik eines Cantemir, Kapsberger, Sanz auf? Wo beginnt die Klangwelt eines Manuel de Falla? Panta rhei! Wie gut die Gruppe war und ist, zeigte sich letztendlich und unwiderlegbar bei den Zu- gaben. Warumman Rocio Márquez als „Of- fenbarung“ der jungen FlamencoGeneration bezeichnet, mit Preisen überhäuft – späte- stens jetzt musste es einem jeden klar sein. Wie beginnt man nun ein Folgekonzert nach solch einer Vorlage, mit Musik eines völlig unbekannten Komponisten? Genauso, wie es Solomon’s Knot (Großbritannien) und das Orchester Les Passions de l’Ame (Schweiz) machten – mit Pauken und Trompeten und unglaublicher Präsenz. Im Jahr William Sha- kespeares endeten die Tage Alter Musik Re- gensburg mit „A Lyric Ode on the Fairies, Aerial Beings and Witches of Shakespeare“, im Jahre 1776 veröffentlicht von Thomas Linley (1756–1778), der im selben Jahr wie Mozart das Licht der Welt erblickte und drei- zehn Jahre vor ihm starb. Er war alles andere als ein Kleinmeister, soviel steht nach diesem Konzert fest. Und seine anspruchsvolle Kom- position stellt ebenfalls allerhöchste Ansprü- che an die Sängerinnen und Sänger. Wieder waren es deren acht und wieder überzeugten diese mit einer formidablen Leistung und einer ungeahnten Klangpracht. Während beim Euskal Barrokensemble die Noten noch unbeachtet auf den Pulten la- gen, verzichteten diese Vokalisten hier völlig darauf: Ihre Einzelstimmen waren auswen- dig gelernt. Knapp und bündig, das Konzert dauerte knapp sechzig Minuten, gesanglich fehlerlos und unterstützt von einem her- vorragenden Orchester geriet dieses Konzert zum krönenden Abschluss eines erneut spannenden und faszinierenden Konzertrei- gens. Toccata 65 Les Passions de L'Ame & Solomon’s Knot Foto: Hanno Meier

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