Tage Alter Musik – Almanach 2017

12 Wenn ausgerechnet dann die Sonnenstrah- len durch die Westfenster auf das gesicht des Tenors fallen, während der inbrünstig „the Lord shall arise“ in Händels messias singt, sind das zusätzliche große gefühlsmomente bei den Tagen alter musik in regensburg. Das verstärkt noch den sensationellen ein- druck, den eine aufführung des oratoriums in der Fassung der Dubliner erstaufführung von 1742 durch das Londoner Solomon’s Knot Baroque Collective macht. Die endete nach drei Stunden mit geradezu tumultarti- gem applaus als einer der Höhepunkte von regensburgs Festival. Das war ergreifend wie vermutlich vor 250 Jahren. Wie damals auch spielte ein kleines, historisch besetztes instrumentalensemble ohne „Chor“. Denn dessen aufgabe über- nimmt das achtköpfige Collective mit dop- pelt besetzten Stimmen, die auch rezitative, arien und Duette singen – aber ohne Diri- genten. gleichwohl gibt es einen Leiter: Der heißt Jonathan Sells und singt selber eine der beiden Bassstimmen. man hatte das Ziel, das wahrscheinlich be- rühmteste oratorium in der gestalt aufzu- führen, wie es beim ersten mal erklungen haben mag. Dazu hat Solomon’s Knot viril auftrumpfende Bässe, wortgewaltig dekla- mierende Tenöre,v ergeistigte altstimmen und engelsreichen Verkündigungston bei- den Sopranen. Vieles ist im Sinne der barocken Klangrede geradezu szenisch gedacht: die im flüssigen gesamtablauf sehr abwechslungsreichen Tempi, dass man sich einander zuwendet und zuhört, situativ geradezu dramatisch reagiert und die arien untereinander auf- teilt. Das Halleluja: dezent begonnen und strahlend-triumphal gesteigert – einfach grandios. Die Londoner Truppe war schon zum zweiten male in regensburg und ist ei- nes der aufregendsten erlebnisse der alte- musik-Szene. ansonsten lag dieses Jahr der Schwerpunkt offenbar 100 Jahre früher auf der musik des 17. Jahrhunderts, des Dreißigjährigen Kriegs, auf vergessenen Komponisten und dem Thema „erbarme dich“. man will be- weisen, dass die bislang unterschätzten deut- schen Komponisten dieser Zeit – etwa Jo- hann Heinrich Schmelzer, philipp Heinrich und Christian geist – keine minderwertig- keitskomplexe gegenüber den marktführen- den italienern hätten haben müssen. Emotionaler Hörgenuss bei den Tagen Alter Musik // 9. Juni 2017 // Autor: Uwe Mitsching Solomon's Knot Baroque Collective Foto: Hanno Meier

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