Tage Alter Musik – Almanach 2017

Der Neue Tag 31 Zwei Konzerte der „Tage alter musik“ kreisen am Samstag um die gleichaltrigen Barock- meister Bach und Händel. „alia mens“ erringt mit ihremBach-Kantatenkonzert in der alten Kapelle achtung, Solomon’s Knot Baroque Collectiv wirkt beim „messiah“ in der Dreiei- nigkeitskirche schier ein umjubeltes Wunder. olivier Spilmont (Lille) hat drei Kantaten aus- gewählt: BWV 12 „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“, achtsam gestaltet die Schmerz- und Seufzer-affekte. BWV 18 „gleich wie der Schnee vomHimmel fällt“, in still ergebenem gottvertrauen. BWV 106 „gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“, der „actus Tragicus“ wie eine gedankenschwere meditation über den Tod als Tor zum Himmel. Bestechend die perfek- tion und Transparenz von „alia mens“, die lichtklare Sopranistin maïlys de Villoutreys ragt heraus, Nachsicht dem eingesprungenen Tenor. Und dennoch: Spilmont – unprofessio- nell sein stummes mitartikulieren bei instru- mentalpassagen – scheint Bach nur mit Samt- handschuhen anzupacken, sein dämpfendes Dirigat lässt der musizierfreude wenig Frei- raum, sollte er das ensemble nicht besser vom Cembalo aus leiten? manmöchte den Hut zie- hen, aber nicht begeistert hochwerfen. Charismatischer Appell ganz anders abends in der Dreieinigkeitskir- che: Das „Solomon’s Knot Baroque Collec- tive“ aus London setzt mit der Dubliner Fas- sung des „messiah“ von Händel (1742) über- schäumende Begeisterung frei. auf Details dieser Version kann hier nicht eingegangen werden, sie ist für kleine Besetzung modifi- ziert, die acht Sängerinnen und Sänger sind exzellente Solisten und Choristen in perso- nalunion, den alt singen Frauenstimme und Countertenor. Sensationell: Sie musizieren in den zweieinhalb Stunden nicht nur ihre Soli, sondern auch alle Chorpartien auswendig. Sie singen überirdisch schön a cappella (and with His Stripes we are healed), sie sprechen glasklar, ihre hochvirtuosen Koloraturen kommen mit nie gehörter konzentrierter Leichtigkeit daher und immer ist noch raum für deren musikalische gestaltung! Je nach Bedarf treten sie vor das hinreißend spie- lende ensemble, man musiziert dirigenten- frei auf Blickkontakt. Spiritus rector ist der Bassist Jonathan Sells, mit „Thus saith the Lord“ liefert er einen dramatischen einstand mit beeindruckender autorität. Vom ersten Ton bis zum „amen“ rauben die exzeptio- nelle musikalität, das Charisma, die dichte Kommunikation untereinander und mit dem publikum, die Vitalität, die Sing- und Spielfreude der engländer schier den atem. Die spirituell erfüllte aufführung rührt wie selten an die Substanz. Licht- und Klangwunder Stellvertretend seien zwei „Wunder“ des abends beleuchtet: eine magie des Zufalls - Jonathan Sells singt, wie das im Dunkeln wandelnde Volk ein Licht erblickt, und eben da wird er durch ein Fenster von der unter- gehenden Sonne golden beleuchtet. Und das „Halleluja“? es jubiliert, dynamisch überreich schattiert, in erhabener größe und aristokratischer Würde, doch ohne das hier- zulande so beliebte „teutonische Triumph- geschrei“. „ich glaubte den Himmel offen zu sehen“, soll Händel beim Komponieren ge- äußert haben. Nach dieser denkwürdigen aufführung kann man das nachvollziehen. Tief bewegt, ja aufgewühlt das publikum, tu- multartige ovationen. Offener Himmel über Regensburg Meditative Bach-Kantaten wecken Hochachtung, Händels Messias begeistert mit charismatischem Sendungsbewusstsein Peter K. Donhauser dell sprechen getrennte Striche hervorragend in der Bogenmitte, da braucht es die kunst- voll springenden Spiccato-Striche seltener. Das verleiht der musik eleganz und ge- schmeidigkeit, die artikulationen von geige und Klavier harmonieren bestens. Wie weg- gebeizt scheint der Firnis eines Beethoven- Bildes mit herrischen und heroisch-patheti- schen Zügen. an seine Stelle tritt das hoch- differenzierte porträt einer sensiblen, fein- sinnigen, blitzgescheiten, emotionalen, aber auch heißblütigen, ja hitzigen persönlichkeit. Beethoven authentisch in gut gelaunter grundstimmung die a- Dur-Sonate op. 30/1, die beiden musiker be- seelen das gewichtige adagio mit stiller in- timität. C-moll-Dramatik in op. 30/2, zu glanzpunkten geraten das wie improvisiert wirkende adagio und das geistreich mit Taktbetonungen jonglierende Scherzo. Sanft wiegend bis beredt sprudelnd die g-Dur-So- nate op. 30/3, mit virtuoser Selbstverständ- lichkeit aus dem Ärmel geschüttelt und zu recht mit Bravo-rufen honoriert. Solomon's Knot Baroque Collective Foto: Hanno Meier

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