Tage Alter Musik – Almanach 2017

Mittelbayerische Zeitung 55 REGENSBURG. Zum 33. Mal präsentie- ren die Tage Alter Musik am Pfingst- wochenende (2. bis 5. Juni) an histori- schen Stätten in Regensburg Musik vomMittelalter bis zur Romantik. Den Abschluss des renommierten Musik- festivals bildet heuer eine exquisite musikgeschichtliche Rarität. Denn zum 500-jährigen Jubiläum der Refor- mation hat der britische Dirigent, Mu- sikwissenschaftler und Zinkenist Ro- land Wilson eine festliche Luthermes- se rekonstruiert, die er mit seinen For- mationen Musica Fiata und La Capella Ducale zur Aufführung bringen wird. Die eigentliche Messe entstand zum 100. Jahrestag der Reformation im Herbst 1617 in Dresden am Hofe des sächsischen Kurfürsten Johann Georg und wurde während der dreitä- gigen Feier aufgeführt. Am Pfingst- montag ist sie ab 20 Uhr in der Dreiei- nigkeitskirche wieder zu hören. Für die klangvolle, mehrchörige Musik ha- ben Heinrich Schütz und Michael Praetorius auch Lieder von Martin Lu- ther vertont, darunter das bekannte „Ein feste Burg“. Es waren allerdings nur drei Stimmen überliefert, die rest- lichen mussten eigens rekonstruiert werden. „Die dazugehörige Choralmelodie war, wie andere Teile der Messe auch, eigentlich schon lange bekannt“, er- zählt Wilson über seine Arbeit in Bib- liotheken und Archiven. „Und wenn man sich auskennt, ist eine Rekonst- ruktion fehlender Teile durchaus mög- lich.“ Schwierig sei es nur mit dem Sanctus gewesen, einem Werk von Schütz. „Erst habe ich gedacht, das ist unmöglich“, beschreibt Wilson seinen ersten Eindruck von „Esaia dem Pro- pheten, das geschah“. Auch im Zug und Café geschrieben Nach einigen Tagen schaute Wilson die vorhandenen Fragmente noch ein- mal genauer an und merkte: „Es kann doch gehen!“ In einem „sehr aufwän- digen Prozess“, im Zuge dessen er im- mer wieder fertig gestellte Teile an Kollegen schickte und deren Kom- mentare einholte, baute er es nach und nach auf. „Manchmal schrieb ich im Zug“, verrät er lachend, „manchmal so- gar zwischendurch in einemCafe.“ Nach vier Jahrhunderten ist dieses Schütz-Werk im Juni nun erstmals wieder in einer Aufführung zu hören. Die Zuhörer bei den Tagen Alter Mu- sik erwartet somit ein nicht alltägli- ches Erlebnis, bei dem Schütz im letz- ten Abschnitt vom Choral abweicht, um dieWorte „Zittert Schwell und Bal- ken gar / das Haus auch ganz voll Rauchs und Nebel war“ besonders bildhaft und effektvoll darzustellen. Im Prinzip sei „diese Messe nicht sehr weit von vergleichbaren katholi- schen entfernt“, erläutert Wilson, aber natürlich mit deutschen Texten. Lu- ther habe ja keineswegs „alles aus dem Feld schmeißen“ wollen. Wenn der Re- formator „heute den jetzigen Papst treffen würde“, spekuliert der 66-jähri- ge Musiker, „würde er sich bestimmt gut mit ihm verstehen.“ Die Frage, ob er als Engländer der anglikanischen Kirche angehöre, die ja halb protestantisch, halb katholisch sei, verneint er. Er sei „in einer metho- distischen Kirche groß geworden“ und heute Mitglied der evangelischen Kir- che. Als solches widme er sich „immer auch den Problemen der Zeit, wenn ich mich mit Musik beschäftige“, und zwar „mit den positiven genauso wie mit den negativen Erscheinungen“. Denn ohne Luther, davon ist der Musi- ker überzeugt „wäre die Musikge- schichte eine ganz andere gewesen“. „Ein Antrieb, Fragen zu stellen“ Für ihn ist deshalb die Beschäftigung mit alter Musik, mit der aus Luthers Zeit ebenso wie aus jeder anderen Epo- che, niemals rückwärts gewandt. Viel- mehr sieht er darin einen Antrieb, „Fragen zu stellen“. Fragen danach, was damals für die Menschen wichtig war, wie sie gedacht haben und was davon für die heutige Zeit von Bedeu- tung ist. Das gelte „für alle Kunst“, be- tont Wilson und zitiert den amerika- nischen Künstler Robert Rauschen- berg, der meinte: „Wenn jemand seine Meinung nicht änderte, nachdem er meine Kunst gesehen hat, dann habe ich als Künstler versagt.“ Wilson hat das Konzert deshalb auch nicht als „museale Rekonstrukti- on, sondern als künstlerisch schlüssi- ge Einheit in Form einer lutherischen Messe“ konzipiert, welche die Werke zweier der größten deutschen Kompo- nisten des beginnenden 17. Jahrhun- derts einander gegenüberstellt. Seine Luthermesse würde Wilson übrigens längst nicht überall aufführen, vor al- lem nicht in modernen Konzertsälen mit ihrer optimierten Akustik. Die Dreieinigkeitskirche hält er dagegen für geeignet, auch wenn die Messe für die eher kleine Schlosskapelle in Dres- den geschrieben worden sei. DemVergessen entrisseneMusik FESTIVAL Die 33. Tage Alter Musik stehen vor der Tür. Der britische Dirigent Ro- landWilson rekonstruiert eine Luthermesse von 1617. ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON MICHAEL SCHEINER, MZ Die „Tage Alter Musik Regensburg“ gibt es seit dem Jahr 1984. Sie bieten Musik vom Mittelalter bis zur Romantik an historischen Stätten. Foto: altrofoto.de ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● 16 KONZERTE AN VIER TAGEN ➤ Die 33. Auflage der Tage Alter Musik Regensburg findet am Pfingstwochen- ende vom 2. bis zum 5. Juni statt. Insge- samt 16 Veranstaltungen stehen dabei auf dem Spielplan. Traditionell bestrei- ten die Regensburger Domspatzen unter der Leitung von Domkapellmeister Ro- land Büchner das Eröffnungskonzert am Freitag, 2. Juni, um 20 Uhr in der Dreiei- nigkeitskirche. ➤ Detaillierte Infos zum gesamten Pro- gramm gibt es im Internet unter www. tagealtermusik-regensburg.de . Karten kann man entweder per Mail (Adresse: TageAlterMusik@t-online.de ) oder tele- fonisch unter der Rufnummer (0941) 8979786 bestellen. Vorbericht in der Mittelbayerischen Zeitung vom 11. Mai 2017

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