Tage Alter Musik – Almanach 2017

56 nmz eue usikzeitung 6. Juni 2017 // Von Juan Martin Koch Wenn die Regensburger Tage Alter Musik als Seismograph der Szene funktionieren, dann sind da in letzter Zeit keine größeren Erdbe- ben zu verzeichnen gewesen. Aber manchmal ist eine kleine Erschütterung, ein feines Zittern auch eindrücklicher, hallt länger nach. Das kanadische Ensemble Masques vermag solches zu erzeugen. angeführt von der gei- gerischen Finesse einer Sophie gent und zu- sammengehalten von olivier Fortin an Cembalo und orgel entwickelt es einen wunderbar ausbalancierten, durch zwei Bass-gamben und Violone dunkel vibrie- renden Klang, der dem deutschen instru- mentalrepertoire des 17. Jahrhunderts be- stens bekommt. So vermag das frei mäande- rende phantasieren eines Heinrich ignaz Franz Biber oder eines Johann Heinrich Schmelzer in jedem Takt zu überraschen und zu faszinieren. Wenn dann Counterte- nor Damien guillon auch noch Dietrich Buxtehudes hinreißendes Klag-Lied „muß der Tod denn auch entbinden“ anstimmt, ist im stillsten, unspektakulärsten moment gleichzeitig ein gipfelpunkt des Festivals er- reicht. am anderen ende des Spektrums, kaum weniger eindringlich, singen acht Choristen in Händels „messiah“ um ihr Le- ben. Die Dubliner Uraufführung von 1742, die das britische Solomon’s Knot Baroque Collective heraufbeschwören will, war zwar sicherlich etwas größer besetzt, doch wenn die Sängerinnen sich nach ihren jeweiligen (nicht ganz so überzeugenden) arienauftrit- ten zu einem auswendig singenden mini- malchor zusammenfinden, hat das schon eine elektrisierende Wirkung. Dynamisch feiner und plausibler durchgearbeitet hat man das „Hallelujah“ kaum je gehört. Instrumentales rein instrumentale programme waren an diesem langen pfingstwochenende klar in der minderheit. Zwei von ihnen wagten sich außerdem historisch am weitesten von der „alten musik“ weg. Susanna Ogata hatte sich zusammen mit Ian Watson am Ham- merflügel Beethovens Sonaten für Klavier und Violine opus 30 vorgenommen, und auch wenn ogatas entscheidungen für oder gegen Vibrato nicht zu jedem Zeitpunkt interpretatorisch nachvollziehbar wurden, gelang den Beiden doch, insbesondere in der c-moll-Sonate, eine klanglich intelligent durchgearbeitete und energisch durchpul- ste Lesart. Die mittelalter-Truppe Les haulz et les bas hatte indes gleich im Leeren Beutel Quartier bezogen, wo sonst der regensbur- ger Jazzclub seine Konzerte serviert. Um Sa- xophon und eine rhythmusgruppe ver- stärkt, versuchte man sich am munteren Crossover und brachte die alten Tanzmelo- dien zum Swingen. Vom Jazz-Standpunkt aus betrachtet war das ganze auf eher mitt- leremNiveau angesiedelt, aber für wippende Beine und gute Laune reichte es allemal. Vokales Hochkarätig Vokales gab es dann aber reich- lich: in großer Besetzung hatten die Regens- burger Domspatzen unter roland Büchner zur eröffnung Haydns eigenwillig ausla- dende Cäcilienmesse von 1773 präsentiert. Die ausgezeichnete, vom L’Orfeo Barockor- chester bestens gestützte interpretation konnte indes nicht über manche Länge des Werkes hinweghelfen, und man sehnte sich mitunter nach dem esprit der einleitenden C-Dur-Symphonie (Hob. i:38) zurück. mit großer risikobereitschaft ging die junge britische a-cappella-Formation The Gesu- aldo Six ihr Deutschland-Debüt an. Nach anfänglichen intonationstrübungen fanden die sehr charakteristischen, immer wieder expressiv hervortretenden einzelstimmen zu einer sehr speziellen Form von Homoge- nität, die vor allem in den eigentümlich zwi- schen gespanntheit und Loslassen sich be- wegenden Schlusswendungen zur geltung kam. Das programm reihte perlen englischer Vokalpolyphonie von Dunstable bis Thom- kins auf, mit John Taverners unwiderstehlich aus der Tiefe aufsteigendem „Quemadmo- dum“ und John Sheppards, in der aus- drucksintensität der gesualdos beinahe wie postromantischer renaissance-Fake wirken- den, „Libera Nos“-Vertonungen als Höhe- punkten. polyphon tönte auch die tschechische Cap- pella Mariana , verdoppelte dabei aber, etwa in einer messe von philippe de monte, die exquisiten Singstimmen mit posaunen und einem Zink. Den gab es auch beim belgi- schen ensemble Scherzi Musicali zu bewun- dern, von adrien mabire so geblasen, dass er der menschlichen Stimme im Timbre und in der Beweglichkeit so nahe kommt, wie es eben geht. Das aus musikeinlagen zu einem mantuaner Schauspiel von 1617 (u.a. von monteverdi) und einemoratoriumantonio Bertalis von 1661 zusammengesetzte pro- gramm changierte – der besungenen Figur „La maddalena“ entsprechend – zwischen bußfertiger andacht und sinnlicher Verlo- ckung. Leider entwickelte sich trotz großer Besetzung kein wirklich raumgreifender Feine Erschütterungen und großes protestantisches Sakral-Kino Tage Alter Musik Regensburg 2017

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