Tage Alter Musik – Almanach 2017

58 Natürlich wäre es wieder mal das Beste gewe- sen, die „Tage Alter Musik“ in Regensburg von Anfang bis Ende zu buchen: Es gab interes- sante Neuentdeckungen und Wiederbegeg- nungen in 16 Konzerten an vier Tagen. Und der subjektive Eindruck: Den Schwerpunkt bildete 2017 die Musik des 17. Jahrhunderts, die Zeit des 30-Jährigen Kriegs. Aber der stür- misch gefeierte Höhepunkt war denn doch Georg Friedrich Händels „Messias“: möglichst genau so, wie er bei der Uraufführung 1742 in Dublin geklungen hat. regensburg – „Solomon’s Knot Baroque Collective“ heißt ein ensemble aus London, das voriges Jahr erst am ende des Festivals die Veranstalter offenbar so begeistert hat, dass sie heuer gleich wieder kommen durf- ten. Sein projekt war aber auch zu verlo- ckend: Händels „messias“ in der Dubliner Version für die Newmusic Hall und den 13. april 1742. Die Londoner musiker und Sän- ger sind (auch mit ihrem messias) inzwi- schen vom Bachfest Leipzig, von den Hän- delfestspielen Halle oder göttingen, von den Thüringer Bachwochen Weimar so promi- nent in Deutschland, dass die Dreieinigkeits- kirche bis auf den letzten platz ausgebucht war – aber das ist bei den „Tagen altermu- sik“ ja keine ausnahme: „Vitales musizieren“, „intelligente programme“ gehen dem Baro- que Collective als ruf voraus. Und das erlebte man von der ouvertüre an in einer hinreißenden Klanggestalt bei dem kleinen orchester und dem achtköpfigen Vokalensemble für Chor und Soli. es gibt zwar einen „Leiter“: Jonathan Sells, aber der singt selber Bass und steht mittendrin in sei- nem Kollektiv. Trotzdem klappt die auffüh- rung in unglaublicher perfektion, dynamisch feinst zugeschnitten, unablässig auf dieses Urform-projekt fokussiert. Ohne Schlips und Kragen „Das größte oratorium, das je gesungen wurde“: der „messiah“ hat in der englisch- sprachigenWelt einen noch höheren Stellen- wert als bei uns. Barockmusiker, besonders aus england, haben schon immer Chorex- perimente versucht – extrem kleine Beset- zungen: hier besteht das „Collective“ aus Stimmen mit größtmöglicher ausdrucks- kraft, aus rigoros zupackenden Bässen, ei- nem schwebenden altus, Sopranen in durchdringendem Verkündigungston. alle singen im Sinne der barocken Klangrede, wenden sich einander zu, hören aufeinander, arien werden gelegentlich sogar auf zwei Sänger aufgeteilt. Das alles ist ohne Schlips und Kragen ohne jeden feierlichen aplomb, trotzdem von alt- testamentarischer Wucht, in flüssigen Tempi von mitreißender Konsequenz, situativ in der Dramatik. Und wenn obendrein gerade dann die Sonne durch die Westfenster der Kirche bricht und den Tenor beleuchtet, wenn er „the Lord shall arise“ singt, dann lässt sich die ergriffenheit und Begeisterung mit Händen greifen. Und das „Halleluja“? Das begreift dieses Konzept als große Stei- gerung von einem dezenten Beginn aus, am ende als strahlenden Triumph mit Natur- trompeten und Sopranen: leise Fragen, mächtige, glaubenssichere antworten. „So- lomon’s Knot“ ist zweifellos die interessan- teste Truppe, die es derzeit im oratorienbe- reich gibt. ganz leise, unspektakuläre Töne sind aber beim publikum genauso gefragt: in den Kan- taten von Bach mit dem französischen „en- semble alia mens“ zum Beispiel, auch hier mit solistisch besetztem Chor. oder beim kanadischen „ensemble masques“, das mit dem minderwertigkeitskomplex deutscher Kantaten und instrumentalmusik im 17. Jahrhundert gegenüber dem marktführer italien aufräumen möchte: ein programm für alte-musik-Spezialisten, aber auch für das typische publikum von heute: gefühle gefragt. Und inniger geht es kaum noch zwi- schen erbarmensbitte und -gewissheit: „auf des Kreuzes Finsternis folgt die Sonne ganz gewiss.“ oder wenn der Countertenor Da- mion guillon doppeldeutig singt: „Hier ist unser Leid-gesänge schwarzer Noten Traur- gemenge mit viel Kreuzen durchgemischt.“ Barocke Bilderflut Das alles war feingliedrig musiziert, spiel- technisch auf der Höhe des originalklangs und durch die Notenbücher eines Johann Heinrich Schmelzer auch in Nürnberg unterwegs, einer 1662 durch die Kriegsfol- gen darnieder liegenden reichsstadt: dunkle gambentöne, engelsgleich geigen, trotzdem auch mit einigen polychromdelikaten in- strumental-Keckheiten. Und natürlich der barocken Bilderflut dieser post-war-poetry bei der pfingstlichen ausgießung geistlicher musik in regensburg. 6. Juni 2017 // Von Uwe Mitsching So spielte man den „Messias“ in Dublin „Solomon’s Knot Baroque Collective“ begeisterte in Regensburg mit unglaublicher Perfektion Aufbauteam in der Dreieinigkeitskirche

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