Tage Alter Musik – Almanach 2017

mit The gesualdo Six stellte sich im Nacht- konzert ein erst 2014 gegründetes Vokalen- semble aus großbritannien vor. Die sechs Sänger und ihr Leiter owain park nahmen das publikum mit auf eine hörenswerte reise durch die musik der englischen re- naissance. Das Spektrum reichte von einer noch spätmittelalterlichen isorhythmischen motette von John Dunstable über John Ta- verner bis hin zur elisabethanischen epoche mit Werken von Thomas Tallis und William Byrd. The gesualdo Six entfalteten ein ruhig fließendes, perfekt aufeinander abgestimm- tes geflecht durchweg exzellenter Stimmen. als schließlich kurz nach mitternacht der letzte akkord von Thomas Tomkins „When David heard“ in der Schottenkirche verklun- gen war, feierten die Zuhörer das junge en- semble mit frenetischem applaus. The ge- sualdo Six sind sicherlich die entdeckung der Tage alter musik 2017! Mittelalter im neuen Gewand Das deutsche Bläserensemble Les Haulz et les Bas, bereits 2013 zu gast bei den Tagen alter musik, gab am Samstagmittag zu- nächst ein Konzert in den Straßen und auf den plätzen der regensburger altstadt mit musik des Spätmittelalters, ehe es im Leeren Beutel sein aktuelles programm „ars Super- nova“ vorstellte. Jahrhunderte alte melodien leuchten – gleich dem astronomischen phä- nomen einer Supernova –im neuen gewand von Jazz-improvisationen hell auf, um an- schließend wieder zu verlöschen. ist das noch historische aufführungspraxis? ist das erlaubt? egal. Letztlich stellt sich jedem interpreten, ob purist oder Crossover-Jün- ger, die Frage, wie musikwerke längst ver- gangener Zeiten einem heutigen publikum nahezubringen sind. gesine Bänfer, ian Har- rison, Nathaniel Wood, miguel Tantos und andrea piccioni wählten einen besonderen Weg. Neben Schalmei, Zugtrompete, pom- mer etc. griffen sie zu Saxophon und moder- ner posaune, luden mike Schweizer (Sax), Jeffrey miller (Tuba), Thomas Bergmann (gitarre), Florian Döling (Kontrabass) und rolf Kilchling (Drums) zu diesem gemein- samen projekt ein und ließen die musik schließlich über eine anlage tontechnisch abmischen. ein durchaus gelungenes expe- riment, das ausführenden wie publikum gleichermaßen Spaß machte. mit größerem anspruch auf authentizität zeichnete das ensemble masques in der St.- oswald-Kirche denWeg norddeutscher und österreichischer musik aus den Schrecken des 30-jährigen Krieges hin zu neuer Blüte nach. Die kanadische Formation musizierte ausgewogen und unaufdringlich. Daniel guillon fügte sich mit weichem Counterte- nor sensibel in diese Klangästhetik ein. Kompositionen wie Johann Heinrich Schmelzers „Lamento sopra la morte Fer- dinandi iii“ oder Dietrich Buxtehudes „muß der Tod denn auch entbinden“ kam dieser interpretationsansatz sehr entgegen. Hinge- gen vermisste man über weite Strecken die für Schütz, Buxtehude, Schmelzer, Biber und Zeitgenossen so typische, an italienischen Vorbildern orientierte expressivität. Überzeugender agierten am abend Scherzi musicali in der Dreieinigkeitskirche. Unter der Leitung von Nicolas achten stellten die Belgier das geistliche oratorium „La mad- dalena“ von antonio Bertali, 1663 in Wien uraufgeführt, als Hauptwerk ihres pro- gramms vor. Nicht nur in der person des Komponisten wurde der einfluss der italie- nischen musik auf den Wiener Kaiserhof deutlich, sondern auch stilistisch durch vor- angestellte Werke von Claudio monteverdi, Domenico mazzochi, Salomone rossi u. a., die anlässlich einer früheren aufführung zu ehren der maria magdalena 1617 in mantua komponiert wurden. Die hervorragenden instrumentalisten boten den angemessenen rahmen, in dem die Sänger Deborah Cachet (Sopran), pauline Claes (mezzosopran), rei- noud van mechelen (Tenor), Nicolas achten (Bariton) und Sönke Tams Freier (Bass) ihre durchweg vorzüglichen Stimmen entfalten konnten. Zu vorgerückter Stunde waren im reichssaal anschließend Werke von Juan Hidalgo zu hören. Seine Tonos, Villancicos und Thea- termusiken schöpfen aus der Fülle der ibe- rischen Volksmusik und ihrer vitalen rhyth- mik. La grande Chapelle nahm sich mit Verve des geistlichen und weltlichen Schaffens des spanischen Barockmeisters an. interpreten und publikum hatten allerdings unter den kaum erträglichen klimatischen Bedingun- gen einer tropischen Nacht zu leiden. Dem vorzüglichen ensemble wäre ein angemes- senerer rahmen zu wünschen gewesen. Doch die alten gemäuer, in denen die Kon- zerte stattfinden, sind – zumeist ein Segen für das Festival – manchmal auch Fluch zu- gleich. Sternstunde mit Händel am Sonntagnachmittag feierte das franzö- sische ensemble alia mens mit frühen Kantaten von Johann Sebastian Bach seine erfolgreiche Deutschlandpremiere. in so- listischer Besetzung mit maïlys de Villou- treys (Sopran), pascal Bertin (altus), Jef- frey Thompson (Tenor) und etienne Ba- zola (Bass) gelangen überzeugende inter- pretationen der Weimarer Kantaten „Wei- nen, Klagen, Sorgen, Zagen“ und „gleich wie der regen und Schnee vom Himmel fällt“. einige wenige abstimmungspro- bleme und gelegentliche Defizite in der Textverständlichkeit, die demNachhall der alten Kapelle geschuldet gewesen sein mö- gen, konnten den gesamteindruck nur we- nig trüben. Den Höhepunkt des Konzerts bildete der actus tragicus: Berückend schön das arioso mit Choral „Heute wirst du mit mir im paradies sein“. Das Solomon’s KnotBaroque Collective, bereits im Vorjahr zu gast in regensburg, führte am abend die ursprüngliche Dubli- ner Version von Händels „messiah“ auf. Kein Chor also stand vor dem publikum. Stattdessen übernahmen acht Sängerinnen und Sänger sowohl die Solo- als auch die ensemblepartien. Zoë Brookshaw, Laura oldfield (Sopran), Kate Symonds-Joy, ro- derick morris (alt), Thomas Herford, ru- ari Bowen (Tenor) und Jonathan Sells (Bass und Leitung) traten, jeweils auswendig sin- gend, vor das publikum, was der auffüh- rung eine besondere, persönliche Note ver- lieh. Lediglich Simon robinson (Bass), kurzfris- tig für den erkrankten alex ashworth ein- gesprungen, durfte sich des Klavierauszugs bedienen. Das orchester war ebenfalls auf eine minimalbesetzung reduziert, was aber dem gesamteindruck in der Dreieinig- keitskirche keinen abbruch tat. im gegen- teil gelangen den hervorragenden musi- kern wunderbare momente, etwa in der sanft von den Streichern begleiteten arie „He shall feed his Flock like a Shepherd“. Waren die Trompeten in Teil 1 nur aus der Ferne (Sakristei) zu hören, betraten sie ge- gen ende des zweiten Teils den altarraum, um zusammen mit der pauke dem be- rühmten „Hallelujah“ die majestätische Klangpracht zu verleihen. – Nachdem zu- vor schon eine Umbesetzung notwendig war, erkrankte in der pause auch Laura oldfield, die allerdings tapfer bis (fast) zum Schluss durchhielt. Dennoch gelang eine aufführung von Händels wohl bekanntes- temWerk, die als Highlight der Tage alter musik 2017 lange in erinnerung bleiben dürfte. Nach diesem wahrlich fulminanten „mes- siah“ fiel es nicht leicht, sich noch einmal auf andere Töne einzulassen. Dennoch blieb auch in der Schottenkirche kein platz frei, als die tschechische Cappella mariana musik aus der Zeit Kaiser rudolfs ii. vor- stellte. 1583 machte der Kaiser prag zu sei- ner ständigen residenz. mit ihm kamen zahlreiche berühmte musiker in die Stadt an der moldau, unter ihnen philippe de monte, dessen achtstimmige missa super Confitebor tibi Domine das Hauptwerk des überaus hörenswerten Nachtkonzerts bil- dete. instrumentalmusik von alessandro orologio, Liberale Zanchi, Salomone rossi sowie weitere italienische madrigale von philippe de monte rundeten das stimmige programm ab, das mit der Litaniae Deipa- rae mariae Virginis von Jacobus regnart endete. Online Musik Magazin 61

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