Tage Alter Musik – Almanach 2017

80 Seit elf Jahren ist die Stadt regensburg ein UNeSCo-Weltkulturerbe. „aus dem Kul- turkalender dieser Stadt sind die Tage aL- Ter mUSiK am pfingstwochenende nicht mehr wegzudenken“, schreibt gertrud maltz-Schwarzfischer, die Bürgermeisterin der Stadt, in ihrem grußwort an das tradi- tionsreiche Festival für alte musik und His- torische aufführungspraxis, „das in Bayern und Deutschland seinesgleichen sucht“, so Dr. Ludwig Spaenle, Bayerischer Staatsmi- nister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, ebenfalls in seinem grußwort. Und für den ehemaligen Leiter der archiv produktion und präsident der Deutschen grammophon gesellschaft, prof. Dr. an- dreas Holschneider, sind die hier stattfin- denden Konzerte „fesselnde auseinander- setzungen mit zumeist ungewohnten Hör- eindrücken, an die sich der Besucher heute in der regel zunächst einmal gewöhnen muss. alte musik in veränderter Welt!“ (prof. Dr. Holschneider im grußwort). Haben die Tage aLTer mUSiK regens- burg inzwischen Kultstatus? Das wäre in der Umgangssprache eine Qualität, die Kultur- phänomene in einem speziellen anhänger- kreis gewinnen können. „Kultur“, vom La- teinischen cultura, pflege, abgeleitet, ist in der deutschen Sprache seit dem ende des 17. Jahrhunderts belegt und bezeichnet neben der Bodenbewirtschaftung eben auch die „pflege der geistigen güter“. insofern muss meine Frage eindeutig mit Ja beantwortet bewerden: Die Tage aLTer mUSiK re- gensburg haben inzwischen eindeutig Kult- status erlangt! Kunst und Kultur in einer verändertenWelt. Wie sehr sich unsere Welt in den letztenmo- naten verändert hat, wurde demKonzertpu- blikum schockierend klar, als Jonathan Sells, der künstlerische Leiter des Solomon’s Knot Baroque Collective, vor das auditorium trat. einen Tag vorher war London an der Lon- don Bridge erneut Ziel eines Terroraktes ge- worden. Southwark ist die Heimat der en- semblemitglieder, hier leben sie, hier kaufen sie, hier gehen sie entlang, hier wohnen Freunde und Bekannte. Hier hat sich die Welt erneut verändert. Und leider zum er- sten mal in der 33-jährigen geschichte des Festivals begann ein Konzert mit einer Schweigeminute zum gedenken an die op- fer dieses grauenhaften ereignisses. Das ist nicht mehr meine Welt. Und ich kann angesichts der Betroffenen und meiner eigenen Betroffenheit auch nicht zum nor- malen alltag übergehen und hier eine nette, kleine rezension über das diesjährige Festi- val schreiben. Sie wird dieses mal anders ausfallen, denn die Welt hat sich verändert. „musik vom mittelalter bis zur romantik“ war das programm der 33. Tage aLTer mUSiK untertitelt. Diese Zeitreise begann und endete in der evangelischen Dreieinig- keitskirche, dem Spielort der 20-Uhr-Kon- zerte. Hier konzertierten die regensburger Domspatzen mit dem österreichischen L’or- feo Barockorchester, das belgische ensemble Scherzi musicali, das britische Solomon’s Knot Baroque ensemble Collective und die deutsche musica Fiata & La Capella Ducale. man konzertierte musik von Haydn (Sym- phonie Nr. 38; Salve regina; Cäcilienmesse), mazzocchi, monteverdi, rossi u.a. (La mad- dalena, 1617) bzw. Bertali (La maddalena, 1663), Händel (messiah, Dublin-Fassung 1742) und Schütz & praetorius (messe zum reformationsfest Dresden 1617). Zweimal führte der Weg in die romanische Schottenkirche St. Jakob ins Nachtkonzert mit den britischen The gesualdo Six (Dun- stable, Cornysh, Taverner, Byrd, Tomkins u.a.) und der tschechischen Cappella mari- ana (musik in prag während der regent- schaft von Kaiser rudolph ii. mit Werken von de monte, Lasso, rossi, regnart u.a.) und in die St. oswald-Kirche mit dem kana- dischen ensemble masques (Kantaten und instrumentalmusik von Biber, Schmelzer, Schütz, Buxtehude u.a.) und der italieni- schen La Fonte muscia (metamorfosi Tre- cento, da Firenze, de Vitry, de machaut, da perugia, de Caserta et al.). gleich dreimal nahmman im reichssaal des alten rathauses zu Konzerten mit der spa- nischen La grande Chapelle (Juan Hidalgo – música para el rey planeta), dem österrei- chischen Schwanthaler Trompetenconsort (musica maestora da Camera) und der spa- nischen La galanía mit der Sopranistin ra- quel andueza (Yo soy la Locura – span. mu- sik des 17. Jhs.) platz. Je einmal waren der Neuhaussaal des Thea- ters am Bismarckplatz mit den US-ameri- kanern Susanna ogata und ian Watson (Beethoven: Sonaten für Klavier und Violine op.30 1-3), der Leere Beutel mit den deut- schen Les Haulz et les Bas (ars Supernova – medieval Jazz), die minoritenkirche mit dem russischen ensemble Labyrinthus (Car- mina Helvetica), die alte Kapelle mit dem französischen ensemble alia mens (Bach: Kantaten BWV 12, 18, 106) und die Basilika St. emmeram mit dem Zürcher Barockor- chester (Bach: Kantaten BWV 199, 84; Tele- mann, Heinichen) die Konzertorte. Sechzehn Konzerte unterschiedlichster art, alle auf ihre art solitär und engagiert vorge- tragen, führten vommittelalter bis zum Jazz, hinterließen teils frenetischen Beifall, sogar einmal standing ovations, Bravi en masse, Zugaben. mich persönlich beeindruckten die Leistungen von Hannah morrison (So- pran, Domspatzen); die sieben Herren der gesualdo Six mit einem perfekten, gar köst- lichen Vortrag voller Höhepunkte und nicht mehr zu übertreffender gesangskultur; die befreite, freche und spritzige Vorstellung der Les Haulz et les Bas, hier vor allem die in- verse atemtechnik des Tubisten Jeffrey mil- ler, der sein instrument kurzerhand zum Borduninstrument und Digeridoo umwan- delte; der über jedwede Kritik erhabene, ex- trem runde und geschlossene Vortrag der Scherzi musicali (einer der geschlossensten und perfektesten der Festivalhistorie); die in- nige und stimmige interpretation von Con- ductus und rondelli aus den Schweizer Bis- tümern und Bibliotheken durch das ensem- ble Labyrinthus; der höchst mitreißende Vortrag auf höchstem technischen und künstlerischen Niveau der Trompeter, po- saunisten und Chalumeaux-Spieler des Alte Musik in veränderter Welt! // Ausgabe Juli/August 2017 // Autor: Robert Strobl

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