Tage Alter Musik – Almanach 2018

Musik: Peranda, Kyrie III (La Folia) Ein Kyrie des Dresdner Hofmusikers Marco Giuseppe Peranda, behutsam bearbeitet von Johann Sebastian Bach und am Samstag- abend wieder aufgeführt vom La Folia Ba- rockorchester und dem Ensemble Polyhar- monique. BR-KLASSIK war live dabei, und auch noch sechs weitere Konzerte von den diesjährigen Tagen Alter Musik Regensburg können Sie im Radio nacherleben – ab dem 29. Juni im Rahmen der Festspielzeit auf BR- KLASSIK. Alle Sendetermine finden Sie über unsere Website brklassik.de. Musik: Tessier, Madonna di Coucagna (Stylus Phantasticus) Da zwitschern die Vögel im Regensburger Reichssaal in diesem Stück von Charles Tes- sier. Denn während unsere Sendung Tafel- Confect hier aus dem Studio in Regensburg läuft, fand gleichzeitig ein weiteres Konzert statt. Dort, wo früher der Reichstag des Hl. Römischen Reichs zusammengekommen ist, im Reichssaal, da spielte eben das Ensemble Stylus Phantasticus. Und mein Kollege Falk Häfner war dort und hat nicht nur seine Ein- drücke mitgebracht, sondern auch einen brandaktuellen Mitschnitt dieses Konzerts. Das Motto lautete „La carte de tendre oder Die Geographie der Gefühle“ – worauf zielte dieser Titel ab? Fh: Dieser Titel bezieht sich im Grunde auf einen Roman von Madeleine de Scudéry, eine französische Schriftstellerin des 17. Jahrhun- derts, die einen berühmten Salon unterhielt, in der gelehrte Damen ein- und ausgingen, zusammenkamen und diskutierten. Und diese Madame de Scudéry hat auch einen Roman geschrieben, nämlich ‚Clélie’, und sie be- schreibt darin in vielen Facetten die Liebe in ihren Seelenzuständen - ausladend zehnbän- dig ist dieses Buch. Es gibt in diesem Buch ein Bildnis: eine Landkarte, wie man denWeg zur richtigen Liebe findet, vorbei an einem gefähr- lichen Meer, einem See der Gleichgültigkeit und anderen Dörfern, die dann möglicher- weise auch noch der Liebe in die Quere kom- men könnten. Nun gibt es heute wahrscheinlich nicht viele, die diesen Roman gelesen haben. Man kennt Mme de Scudéry vielleicht allenfalls aus der Erzählung « Das Fräulein von Scuderi » von E.T.A. Hoffmann. Was aber hat das alles mit Musik zu tun? Fh: Es gab in Frankreich zwischen 1570 und 1660 ein musikalisches Pendant, die Airs de cour, also die Lieder des Hofes, kleine Liedfor- men mit vielen Strophen seit der Zeit von Henri IV. bis zu Louis XIII., am Hof immer wieder gepflegt und aufgeführt. Es sind Stücke mit minimaler Besetzung, entweder vorgetra- gen von vier oder fünf Stimmen a capella oder eben durch eine Stimme, die minimal begleitet wird, vielleicht durch eine Laute oder durch Gamben. Von der Charakteristik her sind diese Airs de cour sehr intime kleine Gesänge, die alle Seelenzustände spiegeln, von verzwei- felt über melancholisch bis heiter, euphorisch oder gar liebestoll. Nun ist die Liebe ja ein internationales Thema, aber Friederike Heu- mann, mit der ich gesprochen habe über dieses Thema, meint, dass das wirklich typische französische Musik sei, die keinerlei Entspre- chung in anderen Ländern findet. ” O-Ton Friederike Heumann: „Es gibt kein Pedant, es ist schon sehr französisch, weil so virtuos mit der Sprache umgegangen wird. Es gab wirklich seit dieser Zeit, be- sonders seit diesem Salon der Ma- dame de Scudéry, eine sehr diffi- zile Sprache, um Liebeszustände auszudrücken. Tatsächlich hat das sie erfunden, kann man sa- gen, und das hält an in der fran- zösischen Sprache, diese Art der komplizierten Verpackung von Dingen, das gibt’s bis heute, also das ist tatsächlich anders als in anderen Sprachen. Das ist der eine Unterschied, der andere sind die Instrumente der Zeit, die es an den Höfen der französischen Herrscher gab, wie Gamben und Lauten, die die Kammerinstru- mente des Königs waren. Es ist schon speziell zugeschnitten auf dieses Repertoire.“ Fh: sagt Frederike Heumann, die eine der Gamben gespielt hat. Sie gehört dem Ensem- ble Stylus Phantasticus an, hat das geleitet, und sie spielten auch auf den Instrumenten der Gambenfamilie – eine Diskantgambe war dabei, eine Altgambe, eine Bassgambe und eine Violone, eine Art kontrabassartiges In- strument, außerdem ein Zink, und ganz wich- tig: eine Laute, die gehört unbedingt auch zu diesen Airs de cour. Und wie klang das dann in der Realität? ” O-Ton Friederike Heumann: Ich würde sagen, wahrscheinlich ge- nau so, wie es klingen sollte. Der Reichssaal ist ein perfekter Saal, er ist schon im 14. Jh. erbaut, aber nachdem er 1564 nochmal umgestaltet wurde, fällt er genau in diese Zeit, er hat eine alte Holzdecke, einen Holzfußboden, d.h. er hat eine völlig andere Ak- kustik als die vielen Kirchen hier in Regensburg, in denen die Kon- zerte stattgefunden haben. Dazu kommen die Gamben, die mit ih- rem Oberton-Reichtum sich sehr, sehr schön mit der menschlichen Stimme mischen und auch der Zink. Ich hab vorher gedacht, das wäre eine richtige Zimmertrom- pete, der deckt nicht alles zu, sondern er mischt sich sehr gut mit der Stimme. Dann kommt natürlich die wunderbare Stimme der Mezzosopranistin Claire Lefilliâtre dazu, eine voll- mundig dunkle, samtig weich klingende Stimme, die trotz ihrer Größe doch sehr biegsam ist und sehr flexibel. Sie hat viel ausge- ziert bei diesen doch sehr einfa- chen Gesängen und zeigt, wie wunderbar sie ihre Stimme tat- sächlich auch beherrscht. Sie sang übrigens unter dem Balda- chin, unter dem der Kaiserthron auch steht, man konnte sich also wirklich direkt vorstellen, wie möglicherweise auch ein franzö- sischer Herrscher da gelümmelt hätte und sich dieses Konzert hat kommen lassen. Das war wirk- lich ein leichtes, heiteres weltli- ches Konzert, an dem auch das Publikum ganz viel Spaß hatte. Gerade auch weil Claire Lefilliâ- tre auch ihr schauspielerisches Talent hat zeigen können, dann rausgegangen ist aus der Kon- zertsituation, rein ins Publikum, und ein bisschen Kontakt aufge- nommen hat mit den Besuchern dieses Konzerts. Und dann gab’s, das war besonders schön, auch noch ein paar externe Instru- mente, nämlich die Glocken des Domes und andere Glocken, die dann pötzlich schlugen und ganz im Metrum passend geschlagen haben und für viel Witz und Freude im Publikum gesorgt ha- ben. Ja, dann schlüpfen wir nochmal in die Rolle des sich hinlümmelnden französischen Kö- nigs und hören nochmal ein Stück: ein Lied von Antoine Boesset. Musik: Boesset, A la fin cette bergère (Stylus Phantasticus) “A la fin cette bergère” von Antoine Boesset, mit dem Ensemble Stylus Phantasticus unter der Leitung der Gambistin Fiederike Heu- mann, gerade eben aufgenommen bei den BR Klassik 28

RkJQdWJsaXNoZXIy OTM2NTI=