Tage Alter Musik – Almanach 2019

32 Das Eröffnungskonzert der Tage Alter Mu- sik 2019 meisterte den Spagat zwischen An- fang und Abschied: Nach 25 Jahren reicht Domkapellmeister Roland Büchner den Stab weiter. Der Abend gerät auch zu einer aufwertenden Reverenz an Leopold Moz- art. Beeindruckend, wie nachhaltig Büchner die Domspatzen geprägt hat: Ablösung eines allzu oft cholerisch-einschüchternden durch einen empathisch-charismatischen und doch fachlich fordernden Probenstil. Einführung einer systematischen, locker- natürlichen Stimmbildung. Öffnung gegen- über historisch informierter Aufführungs- praxis. Vergangenheitsbewältigung der un- glaublichen Verstöße gegen die Würde der Jugendlichen, den die hohe Geistlichkeit zunächst unter den Gebetsteppich kehren wollte. Große Fußstapfen für Nachfolger Christian Heiss (52)! Zukunfts-Kapital Trotz der immer früher aufschlagenden Pu- bertät, trotz des Wegfalls der Jungs der 13. Jahrgangsstufe im G-8-Gymnasium, trotz der Nachwuchsprobleme im Schlepptau der unsäglichen Delikte hat Büchner den Chor auf einen Gipfelpunkt geführt: Schon beim ersten a-cappella-Einsatz im Kyrie von Leo- pold Mozarts Missa Solemnis in C faszinie- ren die Knabenstimmen mit einem unglaub- lich warmen und runden, erwachsenen und fülligen Klang, der wunderbar mit dem der Männerstimmen verschmilzt. Auch die ma- kellose Intonation ist in der obersten Liga angelangt. Ein vielfältiges Farbspektrum, hellwache Präsenz, bestens verständliche Aussprache und musikalische Gestaltung bis ins Detail begeistern. Chapeau! Es spricht für Büchner, dass er ein Abschieds-Opus ohne spektakuläre Applaus-heischende Ef- fekte gewählt hat. Er weist damit auf das Zentrum der Chor-Aufgaben: Die Gestal- tung der Liturgie im Dom. Leopold der Große Die Messe von Leopold (1719-1787) lässt den Rang des Komponisten Mozart senior erkennen - da hatte das „Wolferl“ weit mehr als einen braven Harmonielehre-Lehrer! Sie ist im modernen süddeutsch-italienischen Geschmack ihrer Zeit geschrieben, vereint melodiebetont-empfindsamen Stil mit kontrapunktischen Fugen-Künsten. Orches- terteile, Chorpartien, anspruchsvolle Solo- Arien (mit delikaten Solokadenzen) wech- seln. Feinsinnig, nie opernhaft aufbau- schend, mit harmonischer Raffinesse und erstaunlich nachdenklich beleuchtet Leo- pold Mozart den Ordinariums-Text, das ist alles andere als dienstbeflissener Dauer-Dur- Jubel. Büchner arbeitet all diese Facetten sensibel heraus. Unter den Höhepunkten der bemerkenswert vielschichtigen Mess-Komposition seien das „Crucifixus“ mit Kreuzigungs-Schlägen der „verdeckten“ Pauken nebst den bizarr klin- genden gestopften Trompeten hervorgeho- ben. Gleiches gilt für das innig-berührende Travers-Flöten-Solo von Marcello Gatti im Benedictus, dialogisierend mit der großarti- gen Sopranistin Katja Stuber. Sie ragt aus dem Solistenquartett (souverän und präsent: Robert Buckland, JoachimHöchbauer) her- vor. Für die kultivierte singende Dorothée Rabsch scheint die Alt-Partie zu tief zu lie- gen; trotz der vorzüglichen Begleit-Qualitä- ten der Hofkapelle München geht ihre Stimme in weiten Teilen unter. Rüdiger Lotter hat das Ensemble zu hohem Niveau entwickelt. Die gefällige „Neue Lam- bacher Sinfonie“ in G von Leopold Mozart musizieren sie eingangs souverän und zügig ausschreitend, mit recht geradlinigem Me- trum. Warum Lotter stereotyp wippend und schlagend dirigiert statt die Musiker vom Konzertmeister-Pult aus zu inspirieren, bleibt ein Rätsel. Begeisterter Applaus, Ova- tionen für Büchner und die Domspatzen. Schlusskapitel im Buch Büchner Von Peter K. Donhauser Der Neue Tag Domkapellmeister Roland Büchner

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