Tage Alter Musik – Almanach 2019

ist beachtlich. Der Chorklang leuchtet feier- lich in den großen Gesten des Credo und Sanctus. Dazu kontrastieren federleicht kammermusikalische Soloarien wie etwa das von Lächeln durchwirkte Laudamus te, vor- züglich gesungen von der Sopranistin Katja Stuber. Im Crucifixus dringen die Akzente der Streicher wie Nägel ins Herz, klopft der Tod mit gedämpften Pauken an die Tür, ge- stopfte Trompeten streifen das Bizarre, fast wie bei Berlioz. Das Publikum, das nach Regensburg kommt, ist anspruchsvoll und treu. Es füllt die bedeutenden Kirchen der Welterbe- Stadt, viele Besucher kommen seit Jahrzehn- ten. Sie werden auch von der Ausstellung im Salzstadel an der Steinernen Brücke angezo- gen, einer Art Instrumenten-Börse. Hier kann man sich über Gamben, Barockbögen, Dudelsäcke oder historische Harfen infor- mieren. Die Instrumentenbauer reisen zum Teil aus Cremona, Montpellier, Budapest oder aus Übersee an, um ihre Novitäten an der Donau zu präsentieren. Künstlerisch verbunden ist das Festival mit der Schola Cantorum Basiliensis, einer in Basel ansäs- sigen, europaweit wichtigen Musikakademie für das Erlernen historischer Aufführungs- praxis. Ihre Absolventen und Dozenten kommen seit der ersten Ausgabe der Tage Alter Musik 1984 an die Donau. Am Pfingstfest konnte man schön erleben, wie ein ganz bestimmter Zweig der Alten Musik, nämlich die Praxis des gregoriani- schen Chorals, in Gottesdiensten zur Gel- tung kommt: Sowohl im Pontifikalamt im Dom als auch in dem lateinischen Choral- amt in der Basilika Unserer Lieben Frau san- gen Choralscholen die einstimmigen mittel- alterlichen Gesänge der Liturgie. Welch ein Reichtum, wenn eine Stadt sogar über meh- rere Gregorianik-Scholen verfügt! Dass zu den Regensburger Tagen Musiker aus vielen verschiedenen Ländern eingela- den werden, versteht sich von selbst. Die polnische Gruppe „Arte dei Suonatori“ mit dem Cembalisten Marcin Świątkiewicz setzt sich vehement für den in Gdansk geborenen Johann Gottlieb Goldberg ein, jenen Gold- berg von den berühmten Variationen. Er lernte bei Johann Sebastian Bach in Leipzig und wirkte bis zu seinem frühen Tod in Dresden – sein Cembalokonzert in d-Moll tritt selbstbewusst und raumgreifend auf. Von dem schwedischen Ensemble „Höör- Barock“ können junge Interpreten lernen, Musik zum „Erzählen“ zu bringen. Die technisch ungemein versierten Schweden stellen den Komponisten Johan Helmich Roman vor, etwas jünger als Händel, doch mit ähnlicher Wärme und Festlichkeit im Ton. Lebt ein Nachmittagskonzert in der Stifts- kirche Unserer Lieben Frau vom lichtdurch- fluteten Raum, der vor lauter Goldstuck schier überfließt und die Himmelskönigin auf einem fliegenden Teppich entschweben lässt, haben die Nachtkonzerte ihren eigenen Zauber. Je später der Abend, desto tiefer stei- gen wir in die Jahrhunderte hinab, folgen Martin Luther zu seinem Lieblingskompo- nisten Josquin Desprez. Variationen über Choralmelodien, Ostergesänge, Psalmen, deutsch und lateinisch, erheben sich in der grandiosen benediktinischen „Schottenkir- che“ aus dem zwölften Jahrhundert mit ihrer archaischen Schönheit. Die Ensembles „Uto- pia“ (Gesang) und „InAlto“ (Posaunen, Zink) aus Belgien konzertieren in quasi ob- jektiver Mehrstimmigkeit; wir sind dem Mittelalter sehr nah. Gleichwohl berühren die Posaunen als Ewigkeitsinstrumente durch innig geführte Stimmen. Von ähnlicher Dringlichkeit das nächtliche Konzert imDom Sankt Peter. Die charisma- tische Chorleiterin Suzi Digby versammelt mit den „ORA Singers“ achtzehn der besten Sängerinnen und Sänger Englands, denen die vielgerühmte, vor allem an Colleges ge- pflegte Chortradition vertraut ist. Gleich im legendären Miserere von Gregorio Allegri überwinden sie souverän die komplizierte Akustik im Regensburger Dom. Im Mittelpunkt der Nacht stehen dann die kunstvoll fließenden Psalmvertonungen des großen englischen Shakespeare-Zeitgenos- sen William Byrd. Mit zwei modernen, von den Alten Meistern durchaus inspirierten Werken von Wolfram Buchenberg und Ja- mes MacMillan praktizieren die ORA Sin- gers lebendige Tradition – die Metamorpho- sen gehen weiter. Frankfurter Allgemeine 41 Ausstellung im Salzstadel an der Steinernen Brücke

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