Tage Alter Musik – Almanach 2019

54 Die 35. Tage Alter Musik in Regensburg // Autor: Ingo Negwer www.omm.de Für Freunde der Alten Musik nimmt das Pfingstwochenende einen festen Platz im Terminkalender ein. Alljährlich trifft man sich in der historischen Regensburger Alt- stadt, um an altehrwürdigen Orten der Mu- sik vergangener Epochen zu lauschen. Die- ses Mal fanden die Tage Alter Musik Regens- burg nun zum 35. Mal statt und erfreuten sich nach wie vor großer Beliebtheit. Nahezu jedes der fünfzehn Konzerte war ausver- kauft. Selbst Chormusik der Renaissance lockte zu später Stunde circa 800 Zuhörerin- nen und Zuhörer in den gewaltigen goti- schen Dom. Wie erstmals im Jahr 2000 und dann ab 2007 in quasi ununterbrochener Folge eröffneten die Regensburger Domspatzen auch 2019 das Festival. Auf dem Programm standen Werke von Leopold Mozart, der vor 300 Jah- ren in Augsburg geboren wurde. Seine Missa solemnis C-Dur führt zu Unrecht ein Schat- tendasein. Der Vater Wolfgang Amadeus Mozarts stand durchaus noch auf dem Bo- den der zu Ende gehenden Barockzeit, weist aber in seiner prächtig besetzten, feierlichen Messe der aufbrechenden Wiener Klassik bereits denWeg. Es war ein schöner Zug des scheidenden Domkapellmeisters Roland Büchner, der in Kürze in den Ruhestand geht, für sein Abschiedskonzert bei den Ta- gen Alter Musik keinen Repertoire-Hit der geistlichen Musik zum wiederholten Male präsentieren zu wollen, sondern stattdessen dem Publikum die Ohren für Leopold Moz- art zu öffnen. Die Solisten waren Katja Stu- ber (Sopran) und Dorothée Rabsch (Alt) so- wie die ehemaligen Domspatzen Robert Buckland (Tenor) und Joachim Höchbauer (Bass). Für den instrumentalen Part zeich- nete die Hofkapelle München verantwort- lich. Die Domspatzen zeigten sich auch bei ihrem vorerst letzten Konzert bei den Tagen Alter Musik von ihrer besten Seite. Roland Büchner, der dem international renommier- ten Knabenchor seit 25 Jahren vorsteht, mochte seinemNachfolger nicht vorgreifen, so dass das Festival im kommenden Jahr ohne die Domspatzen stattfinden muss. Dass man im Rahmen der Tage Alter Musik ein Konzert im gotischen Dom erleben darf, gehört zu den großen Raritäten des Festivals. Zuletzt sang vor neunzehn Jahren das Huel- gas Ensemble in der Regensburger Bischofs- kirche. Nun waren die ORA Singers unter der Leitung von Suzi Digby in dem impo- santen Sakralbau zu hören. Das achtzehn- köpfige Vokalensemble, das erst vor drei Jah- ren gegründet wurde und sofort in den er- lauchten Kreis britischer Spitzenchöre vor- stieß, überzeugte in der durchaus nicht un- problematischen Akustik mit exzellenten Stimmen, die auch die extrem hohen Passa- gen in Gregorio Allegris „Miserere“ nahezu mühelos meisterten. Leider blieben die Text- verständlichkeit und das kunstvolle Stim- mengewebe der Werke von William Byrd und Thomas Tallis imHall des Domes weit- gehend auf der Strecke. Dennoch gelang den ORA Singers eine stimmige Darbietung, nicht zuletzt dank der beiden zeitgenössi- schen Kompositionen von Wolfram Bu- chenberg (*1962) und James MacMillan (*1959), mit denen die Chorwerke der Re- naissance ergänzt wurden. Vom Zauber der leisen Töne In der Deutschordenskirche St. Ägidius setzte die kanadische Gambistin Mélisande Corriveau am nächsten Morgen die Tage Al- ter Musik mit französischer Musik des Ro- koko fort. Auf ihrem Pardessus de Viole, dem kleinsten Instrument der Gambenfami- lie, spielte sie Kompositionen von Louis de Caix D’Hervelois, Jean Bodin de Boismortier und Charles Dolle. Der Pardessus erlebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor- nehmlich in Frankreich eine kurze Blütezeit, ehe er von der Violine abgelöst wurde. Mé- lisande Corriveau entlockte ihrem faszinie- renden Instrument, das seinerzeit auch als „Violine der Dame“ bezeichnet wurde, feine, zauberhaft warme Klänge, die ideal zum Idiom des eleganten französischen Stils pas- sen. Zusammen mit Eric Milnes (Cembalo) gelangen ihr exzellente Interpretationen die- ser fragilen Tanz- und Charakterstücke. Nach dem letzten Programmpunkt, einem Arrangement der Orgel-Triosonate Nr. 3 d- Moll von Johann Sebastian Bach, gab es viel Applaus, für den sich das Duo mit einer Zu- gabe bedankte. Ein vorzügliches Kammer- konzert, das gerade in seiner Intimität einen bleibenden Eindruck hinterließ. Für das Abendkonzert war eigentlich Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion mit dem französischen Ensemble Akadêmia ange- kündigt. Da öffentliche Zuschüsse seitens des französischen Staats nicht bewilligt wur- den, musste das Konzertprogramm kurzfris- tig abgesagt werden. Stattdessen sprang die Hofkapelle München ein und präsentierte in St. Emmeram eine Hitparade der Bachschen Orchestermusik. Zu Beginn litt das erste Brandenburgische Konzert in opulenter Be- setzung noch ein wenig unter dem starken Nachhall der großen Kirche, so dass man- ches Detail im Raumklang verloren ging. Auch Naturhörner hat man schon sauberer blasen gehört. Der Ouvertüre Nr. 2 h-Moll kam die große Streicherbesetzung wiederum sehr entgegen. Hier war es vor allem der her- vorragende Flötist Marcello Gatti, der mit großer Virtuosität und Souveränität über- zeugen konnte. Mit dem dritten Branden- burgischen Konzert ging es schließlich in die Pause. Einen Höhepunkt des Programms bildete das fünfte Brandenburgische Kon- zert. Filigran und luftig musizierten Rüdiger Lotter (Violine), Marcello Gatti (Travers- flöte) und Olga Watts (Cembalo) zusammen mit der Hofkapelle, ehe zum krönenden Ab- schluss die prächtig instrumentierte dritte Ouvertüre erklang. Das Orchester um Kon- zertmeister Rüdiger Lotter zeigte sich insge- samt am zweiten Abend hintereinander in Regensburg nach einigen wenigen Anlauf- Kontinuität und Wandel

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