Tage Alter Musik – Almanach 2019

64 Eine Reise durch Raum und Zeit // Ausgabe Juli/August 2019 // Autor: Robert Strobl Die 35. Tage Alter Musik präsentierten auch 2019 wieder ein kompaktes Konzerterlebnis, das die Zuhörer in die Epochen vomMittel- alter bis zur Klassik einlud. Aus den fünf- zehn Veranstaltungen an historischen Stät- ten der ehemaligen Freien Reichsstadt greife ich hier drei Konzerte heraus. Das niederländisch-portugiesische Ensem- ble Seconda Pract!ca , 2012 von Nuno Ata- laia (Flöte, Gesang) und Jonatan Alvarado (Gitarre, Gesang) gegründet, stellte „Musi- kalische Traditionen Portugals des 15. bis 17. Jahrhunderts und ihre weltweiten Auswir- kungen“ unter dem Titel „Missa Mundi“ in der Matinee am Pfingstsonntag im Reichs- saal des Alten Rathauses vor. Im Programm- heft des Festivals erläuterte Jonatan Alvarado kurz die Intentionen der Ausführenden zur Kompositionsauswahl mit Werken aus dem Archiv der Biblioteca Geral da Universidade in Coimbra und/oder Kompositionen von Mateo Flecha, Gaspar Sanz, Pedro de Torde- sillas oder Franciosco Guerrero – um hier die bekannteren Namen aufzuführen. Für Portugal war die Epoche, aus welcher die im Konzert vorgestellten Kompositionen stammen, eine schmerzliche. Denn imNor- den und Osten des Reiches saß die über- mächtige spanische Konkurrenz, die sich mit und in der Neuen Welt ein Reich schuf, „in dem die Sonne nicht unterging“. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, vor al- lem aber nach dem Ende des Dreißigjähri- gen Krieges, erhoffte die leidende Mensch- heit den Weltfrieden, um es salopp auszu- drücken. Es herrschte damals eine Stim- mung, die der nach dem Fall des Warschauer Paktes glich. Und dennoch positionierten sich die Königreiche mit Hegemonialmacht- ansprüchen. Sich hier auf Prophezeiungen zu berufen war trickreich. Und schließlich gab es die bibli- sche Reichstheorie der Fünf Reiche (nach den Vier Tieren des Propheten Daniel): Nach den Weltreichen der Syrer, Perser, Griechen und Römer erwartete man einen neuen Messias und Begründer des Fünften Reiches. Spanien legte diese biblische Pro- phezeiung rein iberisch aus und interpre- tierte die Reiche als die der Alanen, Vanda- len, Sueven und Visigoten; folgerichtig käme nur Weltreich Spanien als Fünftes (eschato- logisches) Reich in Betracht, so der spani- sche Verhandlungsführer beim Westfäli- schen Frieden, Diego Saavedra Fajardo (1584-1648). Natürlich hofften dann auch die Portugiesen auf ihre messianische Auf- gabe, immerhin umsegelten sie gerade Afrika und besaßen in Brasilien ebenfalls Territorien in der Neuen Welt. Dann kam König Sebastian von Portugal (1554-1578). Er war ein Vorzeigekönig, lebte keusch und fromm wie ein Miles Christi. Die Spanier, Anführer der Heiligen Liga, hatten gerade vor Lepanto (Nafpaktos) die osmanische Flotte zerschlagen (1571); also wollte der Portugiese die Muslime aus den christlichen Ursprungsländern vertreiben und ihre Gebiete in Nordafrika sukzessive gen Osten aufrollen, sich schließlich mit dem Reich des sagenhaften Priesterkönigs Johannes vereinigen. Sebastian setzte folg- lich und beherzt im Jahr 1578 mit der Blüte der portugiesischen Ritterschaft nach Ma- rokko über – und scheiterte kläglich. Sein Heer wurde großteils aufgerieben, die Über- lebenden in die Sklaverei verkauft, der König blieb verschwunden. 1580 kassierte der spa- nische König dann die portugiesische Mon- archie, die lediglich von einem betagten Kar- dinal verwaltet wurde. Die beiden mächtig- sten Weltreiche waren nun unter der spani- schen Krone vereint, die Frage der Hegemo- nialmacht eindeutig geklärt! Die Missa Mundi, die in der Pfingstsonn- tagsmatinee erklang, reflektierte musikalisch die Widersprüche und Ziele, das Sehnen und Leiden Portugals. Angereichert wurde die Weihnachtsmesse mit Folklore und Volksliedern. Der Vortrag dieser Werke ge- riet absolut sauber und in jeder Besetzung ausgewogen, das Ensemble agierte geschlos- sen. Allerdings war die Wahl der Stücke zu- nehmend ermüdend, denn meist getragen und im schleppenden Tempo vorgestellt. Auch verschwand zuweilen und zu oft die Umsetzung des Textes hinter der Gestaltung Ensemble Céladon, v. links: Paulin Bündgen, Clara Coutouly, Nolwenn Le Guern

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