Tage Alter Musik – Almanach 2019

des polyphonen Klangbildes, auch Schönge- sang kann ermüden. Alles in allem war dies aber eine gelungene Vorstellung eines jun- gen und dynamischen Ensembles. Am Pfingstmontag führte die Matinee in der profanierten Minoritenkirche wiederum bzw. indirekt nach Spanien. Das französi- sche Ensemble Céladon entführte in die Nuits Occidanes, Nächte Okzitaniens, mit Liedern der Troubadoure aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Okzitanien war schon im Mittelalter Mittler der Kulturen, im Süden (jenseits der Pyrenäen) die der Katalanen und Basken, die wiederum direkt von den Taifa-Reichen der Mauren kulturell inspi- riert wurden, und im Norden die der Nord- franzosen, der Franken, der Normannen, der Engländer. Und Okzitanien selbst war unbequem, kritisch, aufmüpfig, intelligent. Hier lebte man noch lange die römische Kul- tur, war der Stadtadel aus alten Senatorenge- schlechtern entsprossen, entwickelte sich aus dem Latein die okzitanische Sprache, stemmte man sich mit der katharischen Be- wegung demWeltmachtanspruch der katho- lischen Kirche entgegen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Edle und Ritter aus dieser Ecke der Welt dann die Edlen und Regenten des Königreichs Jerusalem stellten, tolerant und muslimaffin, wie sie nun einmal waren, vertraut mit der Pracht des Orients, der sich bis ins Kalifat von Córdoba erstreckte. Hier in der okzitanischen Melange entstand fol- gerichtig die Kultur der Troubadoure, kom- ponierten berühmte Minnesänger, allen voran Marcabru, der sich lange auch amHof des Königs Alfonso VII. von León und Kas- tilien aufhielt. Von ihm, aber auch von Raimon Jordan, Bertran de Born, Beatriz de Dia, Elias Rai- mon Berenger, Guiraut de Bornelh, Bernart de Ventadorn, Raimon de Miraval und Be- reguier de Palazol, stammten die Lieder, wel- che das Ensemble Céladon unter der Leitung des Countertenors Paulin Bündgen vortrug. Unterstützt wurde er dabei durch Clara Coutouly (Sopran), Gwénaël Bihan (Block- flöten), Florent Marie (Mittelalterlaute), Nol- wenn Le Guern (Fidel, Rebab) und Ludwig Bernaténé (Schlagwerk), allesamt Meister ihres Fachs. So brach sie denn an, die Okzitanische Nacht, gegliedert in „Abenddämmerung“, „Während der Nacht“ und „Morgengrauen“. Sie war von Beginn an verzaubernd, wie eine arabische „1001 Nacht“. Ein Hauptgrund da- für war das Timbre der beiden Gesangsso- listen, das so ideal harmonierte, so ineinan- der überging, kaum zu unterscheiden. Aber auch die ausgewogene Balance innerhalb des Ensembles, die Perfektion des Spiels und Zu- sammenspiels und die absolut glückliche Auswahl der Stücke waren der Grund für die ergreifende, phantastische Reise in eine ver- lorene Welt. Nichts blieb hier dem Zufall überlassen, wie ein winziges Detail demon- strierte: Man sang nicht aus einem der üb- lichen Plastikordner heraus, sondern aus kleinen, lederähnlich gebundenen Büchlein, in die man die Noten geklebt hatte. Winzige Details, auch im Spiel der Instrumentalisten, die Mitternachtsglocke in Berengers Alba „S’anc fui bela ni prezada“ – das waren die Zutaten zu diesem außergewöhnlichen Kon- zert, das ich als eines der besten Mittelalter- konzerte seit Bestehen der TAGE ALTER MUSIK Regensburg werte. Und schließlich noch einmal Spanien und eine Reise zu den Goldenen Städten – Las Ciudades de Oro mit L’Harmonie des Sai- sons , dem kanadischen Ensemble unter der Leitung von Mélisande Corriveau (Block- flöte, Viola da gamba, Violoncello) und Eric Milnes (Cembalo). Sie luden zumNachmit- tagskonzert in die St.-Oswald-Kirche am Weißgerbergraben unweit der Donau. Diese Goldenen Städte im riesigen spani- schen Herrschaftsgebiet Mittel- und Süd- amerikas sind symbolisch gemeint und ste- hen sowohl für das reale Gold aus den Gold- minen und Tempelschätzen Lateinamerikas bzw. einer permanenten Suche nach dem mystischen El Dorado als auch für die Wirt- schaftsmacht, die aus der Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und der Boden- schätze der neuen Kolonien entsprang. Städte wie Mexiko, Puebla, Cuzco, Quito oder Bogotà florierten, der Stadtadel baute sich Paläste im Stil der alten Heimat und man machte in Kultur. Musikalisch interes- sant ist hier das Bewahren und Gedenken der Heimat: So zitiert die Musik des Kon- zertprogramms mit der Harmonie des Sai- sons aus dem Zeitraum 1630-1730 in drei Phasen die Stile der Renaissance (1630- 1670), des Italien des frühen 17. Jahrhun- derts (1670-1701) und eines Barocks a la Vi- valdi oder Corelli (ab 1701). Im zurückge- lassenen Europa hingegen läutet man hier bereits das (Früh-) Barock bzw. die Früh- und Wiener Klassik ein. Die Musik der spanischen Kolonien ist sehr interessant. Der Stil von Palestrina ufert z.B. mehr und mehr aus, dann mischen sich in die italienische Manier lokale Einflüsse aus der Musiktradition der afrikanischen Sklaven, später setzt man auf die Kunstformen, die in Venedig, Rom und Madrid präsent sind. Die Komponisten sind meist aus Europa einge- wandert, wie Santiago de Murcia oder Dome- nico Zipoli, im Land geborene Hidalgos oder – damals schlimmer –Mischlinge, die man in fünfzehn verschiedene „castas“ einteilte. Die in den Kolonien Geborenen sind für uns völ- lig Unbekannte, wie Alonso Torices, José de Orejón y Aparicio, Juan Gardia de Zespedes, Manuel Jose de Quiros oder Roque Jacínto de Chavarría. Das Konzert begannmit einem spektakulären Einzug der Gruppe, gefolgt von nicht minder packenden Interpretationen. Hier überzeugte das Gesamtensemble, die hervorragenden In- strumentalisten nicht minder als die erstklas- sigen Vokalisten. Letztere waren mit zwei strahlenden Sopranistinnen (Hélène Brunet, Elaine Lachica) und drei stimmgewaltigen Tenören (Philippe Gagné, Mark Bleeke, Ro- drigo del Pozo) besetzt, die in jeder Weise überzeugten. Der Gesamteindruck des Kon- zerts war daher fröhlich, pulsierend und mit- reißend. Und die Wahl der Tempi bzw. der Arrangements durch die beiden Ensemblelei- ter waren so schlüssig wie schmissig. Aber auch die intimen Momente des Konzerts müssen hier genannt werden, die Interpreta- tionen der beiden Gitarristen (Daniel Zulu- aga, David Jacques) zum Beispiel, das berü- ckend schöne „Convidando está la noche“ der fünf Vokalisten und das erlösend gelungene Tempo der „Pastorale“ von Domenico Zipoli, das zur Weihnachtszeit so oft als Schnulze und mit rührseligem Pathos erklingt. Mittelbayerische Zeitung 65 L’Harmonie des Saisons in der St.-Oswald-Kirche

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