Tage Alter Musik – Almanach 2019

66 Nachtrag: Tage Alter Musik Regensburg 2018 // November/Dezember 2018 Von Martin Hoffmann Hier tagte von 1663 bis 1806 der Immerwäh- rende Reichstag und machte Regensburg zum politischen Zentrum des Heiligen Rö- mischen Reiches. Im kleinen, feinen und dennoch unspektakulären Reichssaal wurde große Politik gemacht. Aus aller Herren Län- der kamen die Legaten in die Donaustadt. Heute sind es hör- und wissbegierige Besu- cher aus der ganzen Welt. Sie kommen, um junge, ambitionierte Künstler kennen zu ler- nen. Spezialisten aus Deutschland, Frank- reich, Belgien, aus Tschechien und der Schweiz, aus Finnland und Norwegen waren es in diesem Jahr. Man könnte fragen, warum kein Ensemble aus den Niederlanden oder Italien eingela- den war und auch kein amerikanisches oder kanadisches. Zudem könnte man fragen, ob sich das Klangideal der Alten Musik in Rich- tung eines unverwechselbaren idiomati- schen Ausdrucks bewegt oder doch eher am Mainstream orientiert. Für ästhetisch-stilistische Beobachtungen dieser Art ist Regensburg der rechte Ort. Denn es gelingt den Veranstaltern Jahr für Jahr, einzigartige Ensembles mit markantem Klangprofil auf ihr Festival zu locken. Inter- national nivellierte Beliebigkeit ist hier je- denfalls nicht anzutreffen. Man kann nur immer wieder staunen, wenn zum Beispiel das wunderbare Alamire & The English Cornett & Sackbut Ensemble unter dem Spannung verheißenden Titel „Spy’s Choir- book“ mit höchster Vokalkunst und fein zeichnenden Posaunen in Motetten aus dem reich illustrierten Chorbuch des Petrus Ala- mire die Klanglichkeit der Zeit Heinrichs VIII. offenbart. Einfach umwerfend! Bisweilen trifft man in Regensburg auf Künstler, für die der Begriff „Szenestar“ eine unzulässige Untertreibung wäre. Hana Bla- žíková ist ein wahrhaft leuchtender Stern. Ihre Stimme mischt sich in der auratischen Schottenkirche wie ein Zauberinstrument mit dem Zink von Bruce Dickey, dem Grandseigneur des Cornetto. Mit nahezu identischen Klangfarben und kongruentem Tonansatz gestalten sie italienische Musik des 17. Jahrhunderts, dass einemHören und Sehen vergeht. Da schnurren die Terzen und fetzen die Sex- ten, aber auch lange Töne werden zum Er- eignis und harmonische Wechsel messer- scharf seziert. Aus diesen vokal-instrumen- talen Duellen gehen beide als strahlende Sie- ger hervor. Dass Johann Sebastian Bach das Land, in dem die Zitronen blühen. leider nie gesehen hat, die Musik der Italiener aber bestens kannte. zeigte ein sorgsam ausgewähltes Programm mit dem Geiger Robin Peter Müller und dem La Folia Barockorchester & Ensemble Polyharmonique. Bach begnügte sich bekanntlich nicht damit, die Werke sei- ner italienischen Kollegen zu studieren, er bearbeitete sie und fügte gleich noch ein paar weitere Stimmen hinzu. Stücke von Peranda, Conti, Durante und auch Palestrina erscheinen plötzlich in ganz anderem, vielleicht auch etwas evangelisch geprägtem Licht. Einen der Höhepunkte setzte die Kantate „Languet anima mea“ von Francesco Conti, nicht zuletzt dank der be- törenden Sopranstimme von Joowon Chung. Eröffnet wurden die Tage Alter Musik wie immer mit einemHeimspiel der Regensbur- ger Domspatzen, diesmal mit Orchester- unterstützung durch Concerto Köln. Men- delssohns „Lobgesang“. und die Choralkan- tate „Verleih uns Frieden“ erklangen mit spürbarer Ambition und vokaler Begeiste- rung der Knaben unter der Leitung von Ro- land Büchner. Duelle mit Doppelsieg Veronika Skuplik, Hana Blažíková, Bruce Dickey (v. l.)

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