Tage Alter Musik – Almanach 2022

32 nmz eue usikzeitung 7. Juni 2022 // Autor: Martin Koch Fangen wir deshalb einmal mit bemerkenswerten Konzertmeisterinnen an, mit der Geigerin Stéphanie de Failly zum Beispiel. Zusammen mit ihrem Ensemble Clematis servierte sie auf hohemNiveau Kuriositäten des 17. Jahrhunderts, darunter Carlo Farinas berühmtes „Capriccio stravagante“. Die eigentlich im Zentrum stehenden, eher unspektakulären Sonaten von David Pohle gingen demgegenüber und in der Nachbarschaft mit den klangmalerischen Köstlichkeiten Johann Jakob Walthers allerdings ein wenig unter. Als unerschrockene Solistin präsentierte sich auch Olivia Schenkel, die gemeinsam mit dem (fast ausschließlich weiblich besetzten) orchester le phénix in Michel Correttes „Concerto comique“ brillierte und in einem weiteren Konzert des französischen Barockkomponisten demCembalisten und Ensembleleiter Vital Julian Frey die Stirn bot. Der führte in lockerem Tonfall auch ein wenig durchs Programm und bereitete das Publikum entsprechend auf die Cembalo-Effekte von Correttes Seeschlachtengemälde vor. Louise Ayrton führt die Streichergruppe im Ensemble Jupiter an. Weil dessen Leiter, der Lautenist Thomas Dunford, sich leicht an der Hand verletzt hatte, übernahm sie kurzerhand und mit verblüffender Selbstverständlichkeit die Solopartien in den Ecksätzen von Vivaldis Konzert RV 93. Das schwindelerregende Niveau der Truppe bestätigte Cellist Bruno Philippe mit zwei hervorragend gestalteten Sätzen aus Bachs Solosuiten und einer zupackenden Version von Vivaldis Konzert RV 416. Dies alles wurde bei diesem Konzert aber noch übertroffen vom sensationellen Auftreten der Mezzosopranistin Lea Desandre in diversen Arien Vivaldis. Die vokale Finesse und kontrollierte Energie, mit der sie mal finsterste Rachearien in den Raum schleuderte, mal zarteste Empfindungen besang, spottete jeder Beschreibung. Besser ist bei den Tagen Alter Musik wohl kaum je gesungen worden. Guckkasten-Händel und Solo-Bach An Konzertmeisterin Lenka Torgersen orientierten sich vielfach auch die Mitglieder des CollegiumMarianum, nachdem die Dirigentin und Flötistin Jana Semerádová eher mit der Koordination zur Bühne beschäftigt war. Das klappte in Georg Friedrich Händels Pastoraloper „Acis and Galatea“ dann auch problemlos, und so gelang zum Festivalfinale im Theater am Bismarckplatz eine hinreißende Aufführung, an der das Marionettentheater Buchty a loutky großen Anteil hatte. Mit kindlicher, aber nie kindischer Spielfreude wird in dieser Koproduktion mit den Händel-Festspielen Halle der antike Stoff in einem kleinen Guckkasten-Triptychon zum Leben erweckt, das von leibhaftigen Sängern, Puppen und allerlei an Angeln hereinschwebenden Tieren bevölkert wird. Als buchstäblicher Running Gag machen sich immer wieder possierliche Schafe breit, bevor das Unglück in Gestalt einer riesigen, Pappsteine schleudernden Polyphem-Puppe seinen Lauf nimmt. Schöner als das von Helena Hozovás charmanter Galatea angeführte Ensemble, spritziger als das CollegiumMarianum kann man das kaum singen und spielen. Das anspruchsvollste Programm unter den Geigerinnen hatte Leila Schayegh zu bewältigen und hatte dabei außerdemmit der Tücke des Objekts zu kämpfen. Genauer gesagt, mit dem Aufeinandertreffen temperaturempfindlicher Violinsaiten mit empfindlich hohen Temperaturen im Reichssaal des Alten Rathauses („Mir ist warm, meiner ESaite auch…“). Wie sie dieses StimmungsProblem meisterte und dennoch ein prägnantes Bild vom Repertoire für Solovioline bis einschließlich Bach zeichnete, war aller Ehren wert. Neben Nicola Matteis’ spontan an den Anfang gestelltem „Passaggio rotto“ hinterließen vor allem die Sarabande aus Johann Paul Westhoffs D-Dur-Partita und die über einem absteigenden Vierton-Motiv sich kraftvoll aufbauende Passacaglia von Heinrich Ignaz Franz Biber einen starken Eindruck. Bei Johann Georg Pisendel und seiner in den Mittelsätzen eher länglichen aMoll-Sonate wurde die Luft in Sachen Intonation dann bisweilen schon arg dünn. Um so bewundernswerter, wie die Schweizer Geigerin für Bachs d-Moll-Partita noch einmal Kraft schöpfte und mit der überlebensgroßen Chaconne den Widrigkeiten mutig trotzte. Frauenpower und Opernglück – Eindrücke von den Tagen Alter Musik Regensburg 2022 Anlässlich der miserablen Frauenquote von „Rock am Ring“ kann konstatiert werden: Die Alte Musik ist weiter. Beim Regensburger Festival standen beinahe so viele Frauen wie Männer auf den Bühnen historischer Spielstädten. Zählt man die leitenden Positionen separat, so waren diese immerhin fast zur Hälfte mit Frauen besetzt.

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