Tage Alter Musik – Almanach 2022

Tage Alter Musik Regensburg 2022 47 was wenig verwunderlich ist, da „Praetorius“ die damals gängige Latinisierung des recht häufigen Namens „Schulze“ darstellte. Wie auch immer, Hieronymus Praetorius ist bisher total unbekannt und das sehr zu Unrecht, denn es ist überaus beglückend, seine vielstimmigen Kompositionen zu hören, die bis zur Zwanzigstimmigkeit gehen, wie in der Motette „Decantabat Populos Israel“. Hieronymus Praetorius wirkte zeitlebens in Hamburg an der Hauptkirche St. Jacobi. Anders als seine Zeitgenossen Hans Leo Hassler und Heinrich Schütz kannte er wohl Italien und die dort seit dem Ende des 16. Jahrhunderts besonders in Venedig bei Gabrieli Vater und Sohn ausgefeilte Doppelchörigkeit nur vom Hörensagen und von Partituren. Aber seine Werke sind jenen allen absolut ebenbürtig, aber eben unbekannt. Das zu ändern haben sich aber Skinner und seine Sänger:innen, die im hochklassigen britischen Bläserensemble His Majestys Sagbutts & Cornetts meisterhafte Mitstreiter:innen fanden, auf die Fahnen geschrieben. Wer weiß, Regensburg 2022 könnte Comeback dieses Hamburgers auf demKontinent begründen. Extravagante Launen Sehr viel gebe es noch zu anderen Konzerten sagen, zum Beispiel zu einem außerordentlich gelungenen Kammermusiknachmittag mit Sonaten und Fantasien des sogenannten Stylus Phantasticus mit dem belgischen Ensemble Clematis. Es fand seinen Höhepunkt in dem goldenen Raumambiente der Basilika U.L. Frauen zur Alten Kapelle in der exaltierten und ausgedehnten „Capriccio Stravagante“ (zu Deutsch etwas „extravagante Laune“) des aus Italien stammenden und lange amDresdner Hof wirkenden Carlo Farina (1600-1639). Bewundernswert bei diesemKonzert war aber auch die Tatsache, dass die Geigerin Louise Ayrton dort quicklebendig und höchst agil an der Violine mitwirkte, nachdem sie wenige Stunden zuvor bereits beim oben erwähnten Vivaldi-Starkonzert bereits in selbiger Manier als Konzertmeisterin gezaubert hatte. Manche haben halt Energie ohne Ende – beneidenswert! Leider hatte da der Bayerische Rundfunk seine Mikrofone nicht dabei, aber natürlich am Abend des Pfingstsonntags bei einer ganz besonderen Marienvesper. Nicht etwa der von Claudio Monteverdi, die für viele ja „die“ Marienvesper überhaupt ist, sondern einer Marienvesper von Chiara Margarita Cozzolani. Sie war eine Mailänder Benediktinerin, die von 1602 bis 1678 lebte. Das Werk entstand einige Jahrzehnte nach Monteverdis Vesper von 1610 und ist überaus kunstvoll gesetzt. Das Ensemble I Gemelli brachte es mit viel Herzlut und Engagement da, verkörpert insbesondere durch den lebhaft singenden wie zugleich dirigierenden Tenor Emiliano Gonzalez Toro. Auch das muss man können und wollen ... Lust am Tun Der Ausklang der Tage Alter Musik geriet nochmals zu einem wunderschönen Höhepunkt: Mit großer Virtuosität und sicht- und hörbarer Lust am Tun spielte und sang sich die Musikerinnen und Musiker des tschechischen Collegium Marianum durch Händels kleine Oper – Fachausdruck: Masque beziehungsweise Schäferspiel, deren Handlung schnell erzählt ist: Der Schäfer Acis (Vojtěch Semerád, Tenor) liebt die Nymphe Galatea (Helena Hozová, Sopran), die seine Liebe erwidert. Herrlich. Aber ist das eine Geschichte? Ja, insofern, als dass diese Liebe demmonströsen Zyklopen Polyphem (Tomáš Král) gar nicht gefällt. Er rast vor Zorn und Eifersucht, als er das Glück der beiden sieht, und als ihn dann auch die von ihm umgarnte Galatea entsetzt stehen lässt, beschließt er Acis, den Rivalen, zu töten. Den wiederum können seine beiden Co-Schäfer und Co-Tenöre Damon (Ondřej Holub) und Coridon (Tomáš Lajtkep) auch mit schönstem Gesang nicht davon abhalten, sich dem riesigen Zyklopen keck im Kampf zu stellen, statt das Weite zu suchen. O weia. Es kommt wie es kommen muss: Ein Felswurf des monströsen Fieslings und Acis ist tot. Die besondere Attraktion der Aufführung lag darin, dass sowohl die realen Sänger und die Sängerin als auch die Marionetten agierten. Neben der bezaubernden und herrlich dargebrachten Vokal- und Instrumentalmusik kam alles recht heiter daher. Denn irgendwie schließt die Nymphe Galatea in der sagenhaften Geschichte ihren Frieden mit dem getöteten Acis, der sich in einen stetig quellenden Bach wandelt und so der Nymphe verbunden bleibt. Andere Rollenverteilung Ende gut, alles gut? Naja. Schon bei der hinreißend kurzweiligen und musikalisch bravourösen Vorstellung mögen einige im Publikum von einer anderen Rollenverteilung in diesem zeitlosen Spiel bedrängt worden sein, die sich imHirn einnistete: Acis, Galatea und die Schäfer als Europa, der zürnenddestruktive Polyphem als Putins Russland? Natürlich wäre das platt gewesen, aber eigentlich auch nicht, denn genauso stellt es sich ja momentan da: Brutale Zerstörung gegen wachsende Liebe und Verbundenheit, die sich ausleben will. Aber gut, dass Regisseur Vit Brukner vom Marionettentheater Buchty A loutky und die Musiker dieser Versuchung einer gegenständlichen Politisierung und Aktualisierung widerstanden haben. Vielleicht wären sie auch gar nicht auf die Idee gekommen. Doch der Autor dieser Zeilen konnte sich diesen düsteren Assoziationen nicht entziehen. Und leider kann Musik die Überfälle und Kriege unserer Welt nicht ungeschehen machen. Aber sie kann lindern, sie kann – auch das muss mal sein – ablenken und sie kann in unvergleichlicher Weise Lust und Schmerz Ausdruck verleihen und damit irgendwie auch wieder neue Perspektiven und neue Energien vermitteln, um sich den schlimmen Fährnissen unserer Zeit zu stellen. Doch genug solcher finsteren Gedanken, die auch mit dem überbordenden Schlussapplaus rasch verflogen waren. Vielmehr gilt: Wunderbar, dass nach drei Jahren zu Pfingsten an der Donau die sogenannten Alte Musik wieder so frisch, überraschend und jung daherkam. Möge es so bleiben und auf ein Neues – so Gott will und wir leben – im nächsten Jahr zu Pfingsten (26. bis 29. Mai 2023) bei den Tagen Alter Musik in Regensburg! Das britische Vokalensemble Alamire & His Majestys Sagbutts & Cornetts in der Dreieinigkeitskirche

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