Tage Alter Musik – Almanach 2023

Konzepte, Gegenkonzepte, Diskussionen - das finden sie schön. Und dann kommt man nach Frankreich und staunt, dass sie dort über gar nichts diskutieren wollen. Sie spielen einfach und hoffen, dass man hört, was passiert. Sie reden nicht, sie spielen nur. Einmal hat der Oboist die erste Violine gefragt: „Wie spielst du das?“ Und mein französischer Kollege Julien Chauvin hat einfach seine Geige genommen und vorgespielt. Das war’s! Das war die komplette Antwort! Und diese französische Methode funktioniert für uns auch deshalb besser, weil sie mehr Raum lässt für Kreativität, für die Freiheit im Augenblick. Freiheit auf der einen Seite, Treue zu den historischen Quellen auf der anderen – das ist ja immer auch ein gewisser Spagat. Wie gelingt es Ihnen, Musik, die 300, 400 Jahre alt ist, für ein Publikum von heute lebendig werden zu lassen? Martyna pastuszka: Die eine Sache ist es, die Werke intensiv studiert zu haben und zu wissen, was man spielt – also mit der Notation vertraut zu sein und mit allem, was die historische Praxis betrifft. Das ist ein absolutes Muss, sonst könnten wir die alten Manuskripte gar nicht lesen. Aber auf der anderen Seite sehen wir, dass das Publikum nicht jünger wird, wir verlieren die jungen Leute. Deshalb sollten wir unbedingt darüber nachdenken, was wir mit unserer Musik transportieren wollen, damit die Menschen fühlen: Ja, das ist es, was ich brauche. Und was eben ein ganz anderes Erlebnis bietet als im Einkaufszentrum oder im Kino. Das wichtigste dabei ist Authentizität, würde ich sagen, ehrliche Gefühle, dass dich etwas berührt, dass du die Schönheit oder den Schmerz in der Musik unmittelbar erleben kannst. Ich möchte in der Lage sein, diese Gefühle dem Publikummöglichst ehrlich zu vermitteln. Freilich ist das bis zu einem gewissen Grad imaginär, denn ich führe ein relativ glückliches Leben, es gibt nichts, worüber ich mir Sorgen machen müsste: Meine Eltern und meine Kinder sind gesund, in meiner Heimat herrscht Frieden. Aber wir können uns trotzdem ganz gut den Schmerz in Kriegszeiten vorstellen und darüber in einer Kantate singen. Oder die Trauer Marias bei der Kreuzigung ihres Sohnes – man kann sich das tatsächlich vorstellen und diese Gefühle dann beim Spielen vermitteln. Also wir müssen einen Weg finden, dass das, was wir in der Musik des 17. Jahrhunderts lesen, auch für ein junges – und älteres – Publikum im 21. Jahrhundert noch funktioniert. …sagt Martyna Pastuszka, die Leiterin des {oh!} Orkiestra – vielen Dank für das Gespräch! Musik: Jakub Golabek, {oh!} Orkiestra Musik von Jakub Golabek mit dem {oh!} Orkiestra – das Abschlusskonzert bei den Tagen Alter Musik Regensburg übertragen wir heute ab 19 Uhr live auf BR-KLASSIK. Sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich: Zwei Zwillingsschwestern leiten das Ensemble Holland Baroque. Judith Steenbrink, sie spielt Geige, und Tineke Steenbrink, sie spielt Orgel. Gemeinsam sind sie ganz tief eingetaucht in die Geschichte ihres Landes, haben Bibliotheken verfallener Klöster durchforstet und nun vorgestern etwas ganz Besonderes aus Holland nach Regensburg mitgebracht: katholische Lieder und Motetten, die in der Zeit des Calvinismus heimlich gesungen wurden, in provisorischen Kirchen, Scheunen, Stadthäusern. ”O-Ton Tineke Steenbrink: „..das ist eigentlich auch ein Zufall, weil meine Schwester und ich kommen aus der Gegend, wo das früher war. In Holland ist man nicht Luther gefolgt, sondern Calvin. Es gab keine Kirchenmusik, nur ganz kleine Inseln, in denen so gesungen wurde, aber das ist in unserer Musikgeschichte nicht erwähnt. Es gab ein paar Musikwissenschaftler , die das wussten und es hat aber niemand angefangen, diese Musik rauszusuchen und zu spielen. Das haben wir gemacht .“ Musik: Anonym: Adoro te, Holland Baroque ”O-Ton Tineke Steenbrink: „..Man denkt immer, dass in Holland nichts war, aber das ist nicht so. Da war eine reiche Kultur und ich bin froh, dass wir jetzt die Chance gehabt haben und die Möglichkeiten haben, das herauszufinden. Die Musik Deutschlands ist total schön, aber wir haben gemerkt: das haben wir auch! Dann ist es natürlich auch ganz toll in einem Festival wie hier in Regensburg zu stehen, das rührt mich auch und ich bin froh und stolz das zu präsentieren. Man kann immer was finden, die Alte Musik ist nicht tot, da ist so viel zu finden. Musik: Anonym: Amo te, Holland Baroque Katholische Musik aus dem calvinistischen Holland, die am Samstag Abend in Regensburg das Publikum tief berührt hat. Das Ensemble Holland Baroque hat damit für einen weiteren Höhepunkt gesorgt bei den Tagen Alter Musik. Ja, und mit Musik aus diesem Konzert klingt unser Tafel-Confect aus Regensburg nun auch aus, und ich hoffe, Sie haben es gespürt: Es war wieder ein vielfältiger und spannender Jahrgang, den die Festival-Macher Ludwig Hartmann und Stephan Schmid da zusammengestellt haben. Danke an alle, die hier vor Ort an dieser Sendung mitgewirkt haben, Gudrun Petruschka, Ilona Hanning, Quirin Seilbeck, Falk Häfner und Wolfgang Schicker, an die Aufnahmeteams um Michaela Wiesbeck, Almut Telsnig und Bernhard Albrecht, und an Christine Bauer an den Reglern. Einen schönen Pfingstmontag wünscht Ihnen Thorsten Preuß. Musik: Benedictus à Sancto Josepho: Tantum ergo, Holland Baroque Tage Alter Musik Regensburg 2023 27 Holland Baroque mit Judith & Tineke Steenbrink in der Schottenkirche

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