Tage Alter Musik – Almanach 2023

Tage Alter Musik Regensburg 2023 71 dern als ersten Satz in seinemVersepos „Reineke Fuchs“ (einWerk, das mich als Kind in Form einer Europa Schallplatte mit dem unvergleichlich-gruselig-genialen Kurt Meisel bis in Träume verfolgte). Johann Wolfgang von Goethe hingegen war nur einmal in Regensburg zu Gast. Das war 1786, als der Dichterfürst im Zuge seiner Italienischen Reise dort eine Rast einlegte und sich unter dem Decknamen „Joh. Phillip Moeller aus Leipzig“ ins Fremdenbuch des dortigen Naturalienkabinetts eintrug. Aber das ist eine andere Geschichte … Offiziell hatten die TAM auch 2023 wie üblich mit einem Konzert der Regensburger Domspatzen begonnen – jenem Knabenchor, den es seit dem Jahr 975 (in Worten: Neunhundertundfünfundsiebzig) gibt. Die Knaben und jungen Männer sangen erfreulich frisch und klangstark die durchaus herausfordernden Koloraturen der Chöre, die das sogenannte Osteroratorium (Kantate „Kommt eilet und laufet“, BWV 249) und das Himmelfahrtoratorium (BWV 11) bereithalten. In den aparten Arien und Duetten und Duett-Rezitativen, deren Vorhandensein ein stückweit auch der Tatsache geschuldet ist, dass Bach eigene weltliche Schäferkantaten als musikalische Vorbilder nutzte, wusste das Solistenquartett durchaus zu überzeugen, aus dem Tenor Michael Mogl mit einem ganz feinen und mühelosen Timbre hervorstach. Im Ganzen aber, was sollte er ob der Größe des Gesamtapparates auch machen, wählte Domkapellmeister Christian Heiß eher verhaltene Tempi und spielte so ein bisschen Sicherheitsfußball. Alles trotzdem schön, auch wenn sich möglicherweise sein Orchester in Gestalt von L’Arpa Festante etwas mehr Tempo und „Stuhlkantigkeit“ im Musizieren gewünscht hätte … Wie es anders geht Dass es auch sehr anders geht, zeigte sich am Pfingstsonntagnachmittag in der Basilika Unserer Lieben Frau am Kornmarkt, die St. Emmeram in Sachen Gold und Prunk in nichts nachsteht. Dort erklangen Bachkantaten im gänzlich anderem Gewande: Ein solistisch besetztes Orchester (Alia Mens aus Frankreich), vier exzellente Solisten und drei Kantaten, die unfraglich zu den schönsten Bachs zählen, auch wenn ein Ranking unter ihnen wirklich schwer ist. Schon der Eingangschor von „Liebster Gott, wenn werd ich sterben“ (BWV 8) im 12/8-Takt kommt in einer „exeptionellen Klangregie“ (Konrad Klek, 2015) daher, die ihresgleichen sucht: Zwei Oboen d’amore spielen konzertierend in Sechzehnteln, oft parallel in wohlklingenden Terzen und Sexten geführt, über von den Streichern im gedämpften con sordino-Modus fast unablässig eingebrachten, gebrochenen Dreiklängen in Staccato-Achteln. Darüber setzt an verschiedenen Taktpositionen immer wieder die Traversflöte mit geradezu penetranten, extrem hohen Tonrepetitionen ein. Sterbeglocken! Es klingt wie die stete Vermeldung eines Todesfalls, zu dem die Streicher in Achteln das Ticken einer Uhr imitieren. Dann setzt der Choral ein mit dem Cantus Firmus im Sopran und den wohlig wogenden Unterstimmen. Musikalische unio mystico pur und grandios umgesetzt in exakt gezähmter Ekstase von den Ausführenden unter der Leitung von Olivier Spilmont! Und danach das zehrende „Meine Seufzer, meine Tränen“ (BWV 13), dessen Bassarie man selten mit so viel Ruhe und hingebungsvoller Zelebration leidender Chromatik gehört hat – großartig gesungen von Romain Bockler. Erwähnt werden sollte auch die als Einzelstück von Altus Paul-Antoine Bénos-Djian meisterhaft vorgebrachte Arie „Wie furchtsam wankten meine Schritte“ aus BWV 33. Ja, die Unsicherheit und Todesnähe wurde hier zelebriert, aber sie wurde dann - ganz Bach-like - überwölbt oder zumindest gekontert von der Hoffnung auf Christus und die Gnade Gottes. Das wurde besonders in der abschließenden Kantate BWV 127 „Herr Jesu Christ, wahr‘ Mensch und Gott“ deutlich – auch hier ist schon der Eingangschor ein musikalisch überreiches Stück: Zwei Blockflöten, Oboen, natürlich Streicher und sogar eine Trompete, die den Chorsopran verstärkt – herrlich! Hoch oben jubilieren die Blockflöten, dazwischen spielen sich Oboen und Violinen die Bälle zu. Doch damit nicht genug: Außer der reichhaltigen Ausformung des Chorals, „Herr Jesu Christ, wahr‘ Mensch und Gott“ zitiert Bach in diesem edlen Getümmel noch einen Choral, nämlich „Christe, du Lamm Gottes“, und zwar gleich ab dem ersten Takt in rhythmischer Vergrößerung, erst in den Streichern, dann in den Oboen – was für ein wundersamer Wechsel, ein Bälle-Zuspielen der besonderen Art! Und dann ist da ja noch der Chor oder in diesem Fall zu Regensburg eben die eine tolle Sängerin mit den drei tollen Sängern. Unter dem cantus firmus des Soprans singt sich das Terzett der drei Unterstimmen in eine kontrollierte Ekstase, zu der ganz am Schluss dann auch der Sopran hinzutritt: „Du wolls’t mir Sünder gnädig sein …”. Ensemble Oslo Circles und der Countertenor David Hansen am 27.5. 2023 in der Basilika St. Emmeram STIMMEN ZUM FESTIVAL TAGE ALTER MUSIK 2023 I just wanted to thank you and tell you how beautiful it was to sing in your festival. It was a pleasure and an honour, Regensburg is a wonderful city, the festival was very well organized and I enjoyed my stay very much. I hope I will have the chance to come back! All the best. Romain Bockler Bass, Ensemble Alia Mens

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