Tage Alter Musik – Jubiläumsschrift 2009

Alte Musik und Moderne Grundsatzdebatten über die Alte Musik – eine Bestandsaufnahme 25 Jahre ‚Tage Alter Musik‘ – 25 Jahre Alte-Musik-Bewegung. Ein Vierteljahrhundert, das den bemer- kenswerten Aufschwung der Alte-Musik-Bewegung (in den 80er Jahren) und deren feste Etablierung im Musikleben der Gegenwart erlebte. Verstummt sind die skeptischen Stimmen der 60er und 70er Jahre, die der flüchtigen historischen Mode bzw. der bloßen Nische für Spezialisten ein baldiges Ende prophe- zeiten. 1 Gleichzeitig hat innerhalb der sog. historischen Aufführungspraxis eine bemerkenswerte Entwicklung des Selbstverständnisses stattgefunden und es wurde eine kontinuierliche Grundsatz- debatte geführt, die es lohnt resümiert zu werden. Die terminologische Diskussion Die grundlegenden Probleme des Selbstverständnisses spiegeln sich nach wie vor, ja z.T. verschärft in den anhaltenden terminologischen Debatten 2 wider. Es geht um die Schlüsseltermini ‚Alte Musik‘, ‚historische Aufführungspraxis‘, ‚Authentizität‘, ‚Originalklang‘, ‘Werktreue‘‚ historisierende‘ bzw. ‚historisch informierte Aufführungspraxis‘ (‚Historically Informed Performance‘ = HIP), im Übrigen auch um Gegenbegriffe wie ‚neu‘, ‚modern‘, ‚konventionell‘. Nur auf den ersten Blick wirkt der Begriff ‚Alte Musik‘ einfach und verständlich. Bei näherer Betrachtung werden rasch seine Probleme sichtbar: Die Konnotationen des Wortes ‚alt‘ sind alles ande- re als präzise. (Ist nicht fast alles ‚alt‘, auch die inzwischen hundert Jahre währende Besetzung eines ‚modernen‘ Orchesters? Ist nur alt, was ‚veraltet‘ ist, ‚vergessen‘ ist, also einen Traditionsbruch erlebt hat? Oder kann das ‚Alte‘ in die Gegenwart hinein wirken, ist es einfach nur ‚bejahrt‘?) Besonders strit- tig ist die musikhistoriographische Grenzziehung: Wo liegt die Zäsur zwischen alter und ‚moderner‘, ‚neuer‘ Musik? Für die Frühphase der Alte-Musik-Bewegung bis in die 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts war konstitutiv, die musikalische Überlieferung vor der Klassik (Beethoven) als ‚alte‘ Musik zu bezeichnen, doch z.T. bevorzugte man es, den Begriff auf die Zeit vor dem 18. Jahrhundert, also die eigentlich ‚frühe‘ bzw. ‚ältere‘ Musik (des Mittelalters und der Renaissance) zu beschränken; das trifft sich übrigens mit dem Geschichtsverständnis der ‚Neuen Musik‘ (Schönbergs, Adornos), das neben Beethoven gerne auch Bach als Ahnherrn der Moderne betrachten mochte. Inzwischen werden neben dem lange akzeptierten Epocheneinschnitt 1750 auch die Jahre 1800 oder 1830 mit guten Argumenten als Zäsuren vertreten. 3 Und wo beginnt die ‚moderne Musik‘? Mit Beethoven? Mit der sog. ‚Neuen Musik‘? Hat man nicht vom ‚Veralten der neuen Musik‘ gesprochen? Was ist eigentlich mit der Musik des 19. Jahrhunderts – zwischen der ‚Alten‘ und der ‚Neuen‘ –, welche das Hauptrepertoire des heutigen Musiklebens (E-Musik) ausmacht? Ist sie ‚Alt’ oder ‚alt‘ oder wirklich schon ‚neu‘, ‚modern‘? Das Problem der Grenzziehung hat sich aber gerade in den letzten 25 Jahren insofern verschärft, als das Repertoire der Alten Musik sich tief ins 19. Jahrhundert (z.T. 20. Jahrhundert) hinein ausgeweitet hat. Über die Klassik (Mozart, Beethoven) hinaus hat die Alte-Musik-Bewegung längst auch von der Romantik Besitz ergriffen, selbst das spätere 19. Jahrhundert, von Berlioz über Brahms, Strauß, Wagner, Tschaikowsky bis ins 20. Jahrhundert hinein, wird nicht mehr ausgenommen. Damit stellt sich aber in aller Dringlichkeit das Problem des Abgrenzungskriteriums. Scheint uns schon die Periodisierung durch die Musikgeschichtsschreibung im Stich zu lassen, so werden drei weitere Kriterien ins Spiel gebracht: 11

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